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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 20.1909

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Clemen, Paul: Der Clarenaltar im Kölner Dome: eine Revision
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https://doi.org/10.11588/diglit.5951#0073

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KUNSTCHRONIK

WOCHENSCHRIFT FÜR KUNST UND KUNSTGEWERBE

Verlag von E. A. SEEMANN in Leipzig, Querstraße 13

Neue Folge. XX. Jahrgang 1908/1909 Nr. 9. 11. Dezember.

Die Kunstchronik erscheint als Beiblatt zur »Zeitschrift für bildende Kunst« und zum »Kunstgewerbeblatt« monatlich dreimal, in den Sommer-
monaten Juli bis September monatlich einmal. Der Jahrgang kostet 8 Mark und umfaßt 33 Nummern. Die Abonnenten der »Zeitschrift für bildende
Kunst« erhalten die Kunstchronik kostenfrei. — Für Zeichnungen, Manuskripte usw., die unverlangt eingesandt werden, leisten Redaktion und
Verlagshandlung keine Gewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an e. A. Seemann, Leipzig, Querstraße 13. Anzeigen 30 Pf. für
die dreispaltige Petitzeile, nehmen außer der Verlagshandlung die Annoncenexpeditionen von Haasenstein & Vogler, Rud. Mosse usw. an.

DER CLARENALTAR IM KÖLNER DOME
Eine Revision., Von Paul Clemen

Seit fünf Monaten befinden sich die Flügel des
Clarenaltares, von dem Mittelschrein losgelöst, im
Atelier des Kölner Malers und Restaurators Heinrich
Fridt. Zum ersten Male ist dadurch die Möglichkeit
gegeben, die vielgenannten Gemälde einer sorgfältigen
Untersuchung zu unterziehen, die im Dom, zumal seit
der gewaltige Altarschrein dort auf der alten Mensa
als Hochaltar aufgerichtet ist, fast ausgeschlossen war.
Und in dem nüchternen und klaren unbestechlichen
Lichte der letzten Monate hat die nun endlich mög-
liche eingehende Beobachtung der Flügel zu so über-
raschenden und seltsamen Ergebnissen geführt, daß
alle unsere Anschauungen über die Anfänge der Kölner
Tafelmalerei ins Wanken zu kommen scheinen. Nur
eine vorläufige Mitteilung sollen diese Zeilen bringen,
da nun einmal schon allerlei über die Entdeckungen
durchgesickert ist, und da vielleicht zu befürchten ist,
daß wie bei der Feststellung der Schäden an der
Bausubstanz des Kölner Domes die öffentliche Meinung
den Befund nur noch übertreiben möchte — eine
eingehende Darlegung wird nach dem endgültigen
Abschluß der Untersuchungen zu veröffentlichen sein.

Seit den dreißiger Jahren hatte dieser Ciarenaltar
als Schöpfung und als Hauptwerk des Meister Wilhelm
gegolten. Diese Taufe war gewissermaßen ex con-
sensu gentium erfolgt, wenn auch die Gründe auf sehr
schwachen Füßen standen. Die bekannte Stelle in der
Limburger Chronik vom Jahre 1380 hatte die Ver-
anlassung gegeben. Der Limburger Chronist Tilman
Elhen von Wolfshagen hatte von einem Maler Wilhelm
zu Köln gesprochen . . . der was der beste meler in
Duschen landen, als he wart geachtet von den meistern,
want he malte einen iglichen menschen von aller
gestalt, als hette er gelebet. Allzuviel hat das Lob
des Chronikenschreibers nun freilich nicht zu besagen,
denn Tilman Elhen ist reichlich freigebig mit den
Superlativen, und sein Gesichtskreis ist so eng, daß
man seinem Werturteil nicht eben große Bedeutung
beilegen möchte. Nun war weiter in den Kölner
Schreinsbüchern, die das älteste Grundbuch der Stadt
Köln darstellen, ein Maler Wilhelm von Herle bekannt,
der von 1358 bis 1372 wiederholt genannt wird, in
den letzten Jahren eine ganze Zahl von Erb- und
Leibrenten erwirbt, also sich eines wachsenden Wohl-

standes erfreut und von dem wir nach 1372 nichts
mehr erfahren; im Jahr 1378 ward er ausdrücklich
als verstorben erwähnt. Mit diesem historischen Wil-
helm schien der legendarische Wilhelm des Limburger
Chronisten zusammenzufallen.

Nun gab es in jenen Jahren einen großen Monu-
mentalauftrag in Köln, von dem wir genaue Kunde
haben: die Ausmalung des Hansasaales im Rathause.
Auf diese bezieht sich sehr wahrscheinlicher Weise
die von dem Archivar Ennen schon 1859 entdeckte
und mitgeteilte Notiz in einer städtischen Rechnung,
wonach im Jahr 1370 die Summe von 220 mr (nach
unserem Geldwert etwa 8000 Mark) pictori pro pictura
domus civium ausgezahlt seien. Leider wird aber
der Name des Malers nicht genannt. Ennen hatte
mit aller Sicherheit auf Meister Wilhelm, der in
anderen Rechnungen ausdrücklich genannt wird, als
den Schöpfer dieser Bilder geschlossen, Firmenich -
Richartz hatte wenigstens »die Möglichkeit der Urheber-
schaft des Wilhelm von Herle« eingeräumt. Für diese
Hypothese ließ sich der Umstand anführen, daß jener
Wilhelm gerade in den Jahren nach 1370 im Besitz
größerer Geldmittel ist — er hätte dann also sein
Künstlerhonorar als guter Hausvater in sicheren Renten
angelegt.

Den Clarenaltar mit dem Meister Wilhelm in Ver-
bindung zu bringen, dazu hatte nur der an sich
wenig methodische Schluß verleitet: auf der einen
Seite war der Name eines Meisters ersten Ranges be-
kannt (so schien es nach der Limburger Chronik)
und auf der anderen Seite stand ein Werk ersten
Ranges, das in jene Jahre zu gehören schien —
ergo mußte jenes Werk die Schöpfung des be-
rühmten Meisters sein.

Die Beweisführung war nicht weniger als zwingend.
Aber wenn das Werk wirklich aus der Zeit war, warum
sollte man es nicht dem Meister Wilhelm lassen? Auf
den Namen selbst kommt es doch weniger an als
auf die Charakteristik des Mannes. Und Wilhelm ist
nun einmal eine populäre Figur in Köln — Eduard
Steinle hat ihn im Treppenhaus des Museums Wallraf-
Richartz abgemalt, am Gürzenich steht er lebensgroß
ausgehauen, und in früheren Jahren erschien er in Köln
in Karnevalszügen und Festspielen — und darüber
hinaus ist der Begriff Kunst Meister Wilhelms und
Schule Meister Wilhelms einfach ein Stilbegriff geworden.
 
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