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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 20.1909

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Osborn, Max: Die Winterausstellung der Berliner Sezession
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https://doi.org/10.11588/diglit.5951#0113

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KUNSTCHRONIK

WOCHENSCHRIFT FÜR KUNST UND KUNSTGEWERBE

Verlag von E. A. SEEMANN in Leipzig, Querstraße 13

Neue Folge. XX. Jahrgang 1908/1909 Nr. 14. 29. Januar.

Die Kunstchronik erscheint als Beiblatt zur »Zeitschrift für bildende Kunst« und zum »Kunstgewerbeblatt« monatlich dreimal, in den Sommer-
monaten Juli bis September monatlich einmal. Der Jahrgang kostet 8 Mark und umfaßt 33 Nummern. Die Abonnenten der »Zeitschrift für bildende
Kunst« erhalten die Kunstchronik kostenfrei. — Für Zeichnungen, Manuskripte usw., die unverlangt eingesandt werden, leisten Redaktion und
Verlagshandlung keine Gewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E. A. Seemann, Leipzig, Querstraße 13. Anzeigen 30 Pf. für
die dreispaltige Petitzeile, nehmen außer der Verlagshandlung die Annoncenexpeditionen von Haasenstein & Vogler, Rud. Mosse usw. an.

DIE WINTERAUSSTELLUNO DER
BERLINER SEZESSION

Es waren ursprünglich äußere Gründe, die der
Berliner Sezession vor Jahr und Tag den Oedanken
nahe legten, ein Winterpendant zu ihren großen
Sommerveranstaltungen einzuführen. Man wollte das
Haus nicht ^monatelang leer stehen und zugleich die
kleineren Kunstübungen, für die bei den Hauptaus-
stellungen kein Raum blieb, zu Worte kommen lassen.
Tatsächlich aber haben diese Winterrevuen eine ganz
andere Bedeutung gewonnen. Sie haben in einer
Zeit, da das Malerische, die Farbe allmächtig ge-
worden war, das Interesse der Schaffenden wie der
Genießenden mehr und mehr auch den »Zeichnenden
Künsten", wieder zugewandt, die ihnen den Namen
liehen. Nicht nur der Graphik und der Illustration,
sondern der »Handzeichnung« im eigentlichen Sinne,
wie sie als Notiz, Studie, Skizze, Entwurf, Hilfsmittel
oder als »zwecklose« Übung des Auges auftritt. Es ist
kein Zweifel: diese bunten und lustigen Ausstellungen,
die meist so ungebunden und übermütig daher-
kommen, daß sie als eine Art Satyrspiel der repräsen-
tativen Sommerausstellungen erscheinen, haben außer-
ordentlich viel dazu getan, in Berlin den Sinn für
das Wesen des Schwarzweißausdruckes, für die be-
sondere Sprache der Linie zu beleben und zu ver-
tiefen. Hinzu kam, daß in derselben Zeit die neue
Betonung der Tendenzen aufs Formale in der Kunst
überhaupt einsetzte. So wuchsen die Vergnügungen
der Sezession um die Jahreswende in doppelter Hin-
sicht: in ihrer Wichtigkeit wie in ihrer Qualität.
Diesmal gab es einen besonderen Ruck in der Steige-
rung, und was man sah, war nicht lediglich ein fröh-
liches Weihnachtsdurcheinander voll Witz, Laune und
geistreicher Impressionen, sondern zugleich ein sehr
ernsthaftes Spiegelbild moderner deutscher, speziell
norddeutscher Zeichenkunst in weitem Umfang. Viel-
leicht wäre es passend, jetzt einmal ein übersichtliches
Arrangement eintreten zu lassen: in klarer Ordnung
die Graphik (und sie wieder nach den Einzeltech-
niken), das Studienartige, die planmäßigen Bildent-
würfe, die dekorativen Schmuckblätter (für Bücher,
Zeitschriften usw.), die zum Massendruck bestimmten
lllustrationsoriginale und die leichteren Farbendinge,
die dem Brauch nach hier zugelassen werden (Aqua-
relle, Gouachen, Pastelle), zu scheiden. Möchte man

das nicht im nächsten Jahre zur Probe einmal ver-
suchen? Es klingt vielleicht zuerst doktrinär, könnte
aber, ohne Pedanterie durchgeführt, die Erkenntnis,
Kenntnis und Belustigung der Besucher wesentlich
fördern und die Wirkung in manchem Betracht ver-
tiefen helfen. Ein Beispiel nur: wie lehrreich und
amüsant wäre es, etwa die neuen Bemühungen um
den Holzschnitt im Zusammenhang verfolgen und
vergleichen zu können.

Immerhin gaben auch diesmal einige Inseln in
dem schillernden Gewoge dem Auge einen festen
Halt. Die größte hatte historischen Charakter und
trug den Namen -»Franz Krüger«. Daß man sie mit
viel Mühe und Arbeit aufschichtete, ist symptomatisch
für die Zeitstimmung. Sie wuchs nicht aus einem
zufälligen Angebot, sondern aus dem energischen
Wunsch. der Ausstellungsleitung (sprich: Max Lieber-
mann), auf die einheimisch-berlinische Tradition zu
deuten und der unruhig umherspringenden Jugend,
nicht zur blöden Nachahmung, sondern zum Studium
und zur Beherzigung, ein ehrfurchterweckendes Vor-
bild solidesten Könnens, das Muster einer sicher und
fest in sich geschlossenen Persönlichkeit vor Augen
zu führen. Es hat nicht an spöttischen Fragen ge-
fehlt: Wie kommt Saul unter die Propheten? Was
hat Krüger mit der Sezession zu tun? Tatsächlich
hat sich auch hier das Schauspiel wiederholt, das wir
immer wieder erleben: daß gerade die Anhänger des
modernen Bekenntnisses sich der ganz oder halb ver-
gessenen tüchtigen Meister des neunzehnten Jahrhun-
derts mit besonderer Liebe annehmen. Franz Krüger
aber hat doppelten Anspruch auf eine Huldigung der
Berliner jungen Garde. Denn es ist eine direkte
Linie, die von ihm über Menzel zu Liebermann führt
(dessen erster Lehrer noch dazu der Krüger-Schüler
Steffeck war); diese drei Namen vertreten drei Gene-
rationen bodenständiger Berliner Kunst, von denen
jede in anderer Art den preußischen Grundsatz un-
erschütterlicher Ernsthaftigkeit und Naturtreue in der
realistischen Ergründung von Welt und Leben be-
folgte. Krüger, der 1857 sechzigjährig starb, dessen
Schaffenszeit also zusammenfiel mit der Blüte des
kornelianischen Kartonstils und der düsseldorfischen
Romantik, hat kein anderes Ziel gekannt, als die
Menschen seiner Zeit und das Berlin des Vormärz zu
studieren und abzuspiegeln. Was die Nationalgalerie
 
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