Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 20.1909

DOI Artikel:
Schmidt, Karl Eugen: Pariser Brief, [1]
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.5951#0137

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
KUNSTCHRONIK

WOCHENSCHRIFT FÜR KUNST UND KUNSTGEWERBE

Verlag von E. A. SEEMANN in Leipzig, Querstraße 13

Neue Folge. XX. Jahrgang 1908/1909 Nr. 17. 26. Februar.

Die Kunstchronik erscheint als Beiblatt zur »Zeitschrift für bildende Kunst« und zum »Kunstgewerbeblatt« monatlich dreimal, in den Sommer-
monaten Juli bis September monatlich einmal. Der Jahrgang kostet 8 Mark und umfaßt 33 Nummern. Die Abonnenten der »Zeitschrift für bildende
Kunst« erhalten die Kunstchronik kostenfrei. — Für Zeichnungen, Manuskripte usw., die unverlangt eingesandt werden, leisten Redaktion und
Verlagshandlung keine Gewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E. A. Seemann, Leipzig, Querstraße 13. Anzeigen 30 Pf. für
die dreispaltige Petitzeile, nehmen außer der Verlagshandlung die Annoncenexpeditionen von Haasenstein & Vogler, Rud. Mosse usw. an.

PARISER BRIEF

Die Stadt Paris hat wieder eine Neuerung auf
dem Gebiete der Kunstpflege eingeführt, welche dar-
tut, daß sie weniger als der Staat in den Banden der
Tradition befangen ist. Überhaupt muß man zu-
geben, daß die Stadt viel rühriger und auch verstän-
diger in ihrer Kunstpflege ist als der französische
Staat. Allerdings lassen sich sowohl Stadt als auch
Staat ihre Hauptwerke schenken, und die Museen
der Stadt wie des Staates würden nicht gerade glän-
zend aussehen, wenn man darin sonst nichts zu zeigen
hätte, als was aus den zur Verfügung stehenden Geldern
gekauft worden ist. Aber auch hier ist die Stadt
verständiger und besser beraten als der Staat. Den
besten Beweis dafür liefert das Petit Palais, verglichen
mit dem Luxembourg. Die Zahl der Nieten, der
langweiligen, gleichgültigen, mittelmäßigen, akade-
mischen Schularbeiten ist in dem Museum des Staates
ungleich größer als in der städtischen Sammlung, und
wer eine ziemlich gute Übersicht über die französische
Kunst der letzten dreißig Jahre haben will, ohne sich
durch Berge von Langweile durcharbeiten zu müssen,
der kommt im Petit Palais viel besser auf seine Rech-
nung als im Luxembourg. Dazu kommen dann noch
die Sonderräume mit den zahlreichen Zeichnungen
von Puvis de Chavannes, den allerdings weit weniger
interessanten Gemälden, Aquarellen und Zeichnungen
Ziems, den Skulpturen und Töpfereien von Carries
und vor allen Dingen den Skizzen und fertigen Ar-
beiten Dalous, den man sicherlich in fünfzig Jahren
als den größten französischen Bildhauer des letzten
Viertels des neunzehnten Jahrhunderts nennen wird,
trotz Rodin, Bartholome oder gar Maillol, deren Ruf
zu ihren Lebzeiten lärmender erschallt ist als der
dieses ebenso stillen und bescheidenen wie genialen
und großartigen Meisters. Diese Sammlnng der Ar-
beiten Dalous ist heute überhaupt das herrlichste und
interessanteste, was man von französischer Skulptur
in Paris sehen kann, und ich habe noch keinen nach
Paris gekommenen deutschen Bildhauer auf diese
Ecke im Petit Palais aufmerksam gemacht, ohne immer
wieder das nämliche bewundernde Urteil zu hören.

Wie schlecht der Staat einkauft, kann man nicht
nur immerwährend im Luxembourg sehen, sondern
alljährlich wird uns im Dezember Gelegenheit geboten,
die Erwerbungen des Jahres zu beurteilen. In der Natio-

nalen Kunstschule waren an die tausend Gemälde, Zeich-
nungen, Radierungen, Lithographien, Skulptureu usw.
vereinigt, die unter der Ägide des einstigen Soldaten-
malers und jetzigen Kunstministers Dujardin-Beaumetz
in den letzten zwölf Monaten vom Staate angekauft
worden sind. Die ersten zwei Tage hatte diese Aus-
stellung, die sonst nicht gerade viel Anziehungskraft
auf das große Publikum besitzt, einen Clou, der die
Massen des Volkes in Bewegung setzte: ein Bild
nämlich von dem Maler Steinheil, dessen Name jetzt
in aller Munde ist. Um Ärgernis zu vermeiden, ließ
Herr Dujardin das Bild, worauf das Atelier Albrecht
Dürers abkonterfeit war, entfernen. Es hieß, der
Kunstminister habe zu den Verehrern der schönen
Frau gehört, die sich ihre Gunst durch Einkäufe bei
ihrem Manne bezahlen ließ, und Herr Dujardin habe
sich der Dame erkenntlich gezeigt, indem er zwar
nicht selbst ein Bild bezahlte, wohl aber den Staat,
der einen weiten Säckel hat, ein unsterbliches Werk
Steinheils anschaffen ließ.

Nachdem dieser Clou nicht mehr zur Stelle war,
mußte man sich mit den noch übrigen tausend Sachen
begnügen. Steinheil hätte bleiben können, denn seine
banale Mittelmäßigkeit hätte ganz gut in seine Um-
gebung gepaßt. Das kann ja auch nicht anders sein:
wie kann ich tausend in einem einzigen Jahre und
in einer einzigen Stadt entstandene Kunstwerke kaufen,
ohne meiner so erworbenen Sammlung den Stempel
der Mittelmäßigkeit zu geben? Selbst zur Zeit Raf-
faels und Michelangelos wäre das nicht anders möglich
gewesen. Obendrein aber wird in Frankreich wie
anderswo nicht nur um der Kunst willen angekauft,
sondern der Staat hat gewissermaßen die Verpflichtung,
der hinkenden Kunst auf die Beine zu helfen, und
das tut er, indem er die lahmen Künstler unterstützt.
Die allermeisten Ankäufe des Staates gelten nicht der
zu fördernden Kunst, sondern dem unterstützungs-
bedürftigen Künstler. Es handelt sich weniger um
die Anschaffung unsterblicher Werke als um die
Fütterung sterblicher Hungerleider, die aus oft recht
unverständlichen Gründen »Künstler« geworden sind.

Natürlich sind auch gute Sachen unter den an-
gekauften. Die ganze Sammlung entspricht eben dem
Bilde der jährlichen Ausstellungen: wenige gute,
wenige schlechte und viele mittelmäßige Arbeiten.
Wenn man auf das Verständnis des Herrn Dujardin-
 
Annotationen