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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 20.1909

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Tietze, Hans: Franz Wickhoff
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Verschiedenes / Inserate
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371

Nekrologe

372

Michelangelos, Rembrandts dankt ihm wertvolle Bei-
träge. Von einem eng begrenzten Thema ausgehend,
erhob er sich in mühelosem Schwung zur allgemeinen
Bedeutung der betreffenden Frage und legte in klaren,
jedes überflüssige Wort vermeidenden Sätzen, die die
lebenslange, intensive Beschäftigung mit Goethe durch-
leuchten lassen, das Wesentliche dar. Das scheinbar
geringfügigste Objekt konnte ihm genügen, um das
Walten allgemein gültiger Gesetze zu zeigen; denn
ihm lag daran, die Nichtigkeit der dogmatisch ge-
zogenen Grenzen der Stilepochen zu erweisen und
das Evangelium der ununterbrochen strömenden Ent-
wickelung zu verkünden. Das unvergängliche Ver-
dienst seines Hauptwerkes, der Wiener Genesis, ist
es, das Herüberströmen der Antike in die christliche
Kultur dargestellt und dadurch die Bedeutung der
römischen Kunst, deren Schönheit er in feinfühligsten
Analysen zergliederte, als erster erfaßt zu haben.
Was Kärrnerfleiß auch seitdem an einzelnen Partien
hin- und hergerückt, umdatiert und modifiziert,
bekrittelt und sogar widerlegt hat, verschlägt der
stolzen Pracht des Werkes keinen Deut. Denn
wenn auch jedes Detail falsch wäre, als Ganzes sind
die Resultate der Genesis uns in Fleisch und Blut
übergegangen und das Buch mit seinen nicht ganz
hundert Seiten bleibt einer der Höhepunkte deutscher
Geschichtswissenschaft, die geniale Konzeption einer
starken und einheitlichen Persönlichkeit, die sich mit
diesem Werke den ersten Meistern, den Historikern
vom Rang eines Ranke, Burckhardt und Haym eben-
bürtig an die Seite stellt.

Dieser Eindruck der prächtigen, geschlossenen
Persönlichkeit war es auch, der Wickhoffs Größe als
Lehrer ausmachte. In seinem oberösterreichischen
Dialekt, in einfachen warmen Worten, die jede Spur
von Rhetorik vermieden, brachte er vor, was er zu
sagen hatte; aber aus der Formlosigkeit strahlte die
unbedingte Ehrlichkeit des Sprechers hervor. Die
Schlichtheit seines Wesens zwang auch die Schüler
zu Wahrhaftigkeit und ich glaube, niemand von uns
hätte den Mut gehabt, ihm in einer Seminarübung
auf Schüler weise etwas vorzuflunkern; sein trockenes:
Woher wissen's denn das? erstickte jeden Ansatz zum
Phrasendreschen. Seine Kritik ging nicht nur gegen
andere, er hat sich selbst nicht geschont, und die
ruhige Selbstverständlichkeit, mit der er eigene Fehler
und Irrtümer bekannte, haben einen tiefen Eindruck
auf uns junge Leute gemacht. Nicht nur seine schöne
Menschlichkeit, der absolute Mangel professoralen Un-
fehlbarkeitsglaubens sprachen daraus, sondern auch
seine tiefe Durchdrungenheit von der relativen Gültig-
heit aller Wissenschaft, deren fester Halt für ihn in
der unbedingten Treue gegen sich selbst lag. Wie
schneidend ließ er das manchen Anfänger fühlen, der
statt mit eigenem Auge zu sehen und mit eigenem
Sinn zu denken, irgend ein fragliches Problem da-
durch zu erledigen glaubte, daß er aus irgend einem
alten Aufsatz die Ansicht Wickhoffs zitierte. »Aber
gehn's, graben's den toten Hund nicht aus«, war die
Antwort, die in ihrer drastischen Fassung eine um so
bleibendere Lehre sein mochte. Es ist kein Wunder,

daß ihm die Herzen der Jugend zuflogen; er aber hat
diese Liebe voll und ganz erwidert; er war vor dem
Fluche des Stelzengehenmüssens gefeit, den Spitteier
im »Prometheus« den Lehrern der »hohen Schule«
zuteil werden läßt, und so konnte er bis zu seinem
Ende mit den Jungen jung sein, konnte mit ihnen wie
mit seinesgleichen verkehren und doch das leuchtende
Vorbild bleiben, das kein Fleckchen Philistertum ent-
stellte.

Wickhoffs Persönlichkeit, die ich als den Kern
seiner Bedeutung als Forscher und als Lehrer zu
charakterisieren versucht habe, erklärt auch seine Auf-
fassung der wissenschaftlichen Kritik; stark und ganz
im Lieben wie im Hassen, hat er seiner Zuneigung
oder Abneigung stark und ganz Ausdruck gegeben.
Er hätte sicher dem Ausspruch zugestimmt, den Goethe
einmal im Gespräch mit Boisseree macht: Die Sache
läßt sich von der Person nicht trennen. Auch für
Wickhoff waren Sache und Person eines, eine un-
redliche Arbeit das Zeichen eines unredlichen Menschen
und darum ein fressender Schaden an dem, was für
Wickhoff das Höchste war, der Reinheit der Wissen-
schaft. Wo er Unehrlichkeit und Phrasentum merkte,
ging er, unbekümmert um die Mißbilligung der an
höfischere Manieren und kollegialere Behandlung ge-
wöhnten Zunftgenossen, schonungslos zu Gericht und
auch seine Gegner müssen zugeben, daß er solche
Arbeit gründlich zu verrichten pflegte; hinter dem
raschen Witz und der beißenden Ironie seiner Be-
sprechungen blieb aber stets der hohe sittliche Ernst
bemerkbar, der sein Tun veranlaßte. So fassen die
viel befehdeten »Kunstgeschichtlichen Anzeigen«, die
letzte Schöpfung Wickhoffs und das Lieblingskind
seiner letzten Jahre, noch einmal all das zusammen,
was er sein ganzes Leben hindurch angestrebt hat
und bilden das Programm der Gruppe von Kunst-
historikern, die er in der wissenschaftlichen Welt in
Liebe oder Haß, aber kaum je geringschätzig, all-
gemein die Wiener Schule nennen hörte. Daß sie
trotz der schweren Lücken, die ihr der vorzeitige Tod
so vieler hochbegabter Mitglieder schlug — ich nenne
nur Alois Riegl, Hermann Dollmayr, Wolfgang Kailab
— sich erhalten konnte, verdankt sie der Werbekraft
Wickhoffs, zu dessen Schülern sich gar mancher der
Besten in Deutschland freiwillig zählt, ohne je seine
Vorlesungen gehört zu haben. Seinem Andenken
schuldet sie deshalb unverbrüchliches Festhalten an
seinen Lehren und ehrliche Weiterarbeit in seinem
Sinne. HANS TIETZE.

NEKROLOGE

X In Berlin starb am 8. April der Maler Wilhelm
Fechner, der in früheren Jahren als Porträtist einen guten
Ruf genoß, seit längerer Zeit hauptsächlich als Photograph
tätig war. Der Verstorbene, der Vater des bekannten
Malers Prof. Hanns Fechner, dessen ersten künstlerischen
Unterricht er leitete, war am 30. November 1835 in Sprottau
in Schlesien geboren und hatte in den Jahren 1853—57
auf der Berliner Akademie studiert.

Im Alter von nur 37 Jahren starb am 25. März in seiner
Vaterstadt Breslau Franz Hancke. Zehn Jahre hat Hancke
als Sekretär und Geschäftsführer der Wiener Sezession
gewirkt und sich dabei durch sein tüchtiges verbindliches
 
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