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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 21.1910

DOI Artikel:
Fischer, J. L.: Der IX. internationale kunsthistorische Kongress in München, 17. - 20. September, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.5952#0025

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KUNSTCHRONIK

WOCHENSCHRIFT FÜR KUNST UND KUNSTGEWERBE

Verlag von E. A. SEEMANN in Leipzig, Querstraße 13
Neue Folge. XXI. Jahrgang 1909/1910 Nr. 3. 22. Oktober.

Die Kunstchronik erscheint als Beiblatt zur »Zeitschrift für bildende Kunst« monatlich dreimal. Der Jahrgang kostet 8 Mark und umfaßt 40 Nummern.
Die Abonnenten der »Zeitschrift für bildende Kunst« erhalten die Kunstchronik kostenfrei. — Für Zeichnungen, Manuskripte usw., die unverlangt
eingesandt werden, leisten Redaktion und Verlagshandlung keine Gewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E.A.Seemann,
_Leipzig, Querstraße 13. Anzeigen 30 Pf. für die dreispaltige Petitzeile, nehmen außer der Verlagshandlung die Annoncenexpeditionen an.

DER IX. INTERNATIONALE KUNSTHISTORISCHE
KONORESS IN MÜNCHEN, 17.—20. SEPTEMBER

IL

Die Vorträge begannen mit der Ehrung eines großen
Toten. M. Dvorak (Wien) sprach: Über die letzten lite-
rarischen Projekte Franz Wickhoffs. Franz Wickhoff,
erst vor kurzem in Venedig gestorben, ist, nach der Dar-
legung des Redners, der Begründer der modernen Kunst-
geschichte als Wissenschaft. Der Sieg der modernen
Malerei reifte in Wickhoff die klare Erkenntnis von dem
tiefen inneren Zusammenhang, der zwischen der Kunst-
betätigung und dem kulturellen Leben einer Periode
besteht, diese Erkenntnis leitete ihn weiter zu dem in
anderen wissenschaftlichen Disziplinen längst herrschen-
den Entwicklungsgedanken, der in die Kunstbetrach-
tung statt der bisher aprioristischen, doktrinären Me-
thode das evolutionistische Prinzip einführte. Bereits
in der Einleitung zur Wiener Genesis hat Wickhoff
diese neuen Ideen vertreten. Er wies die Brücke, die
von der griechischen Kunst, die man bisher regel-
mäßig mit der Diadochen-Zeit abschloß, in die römische
führt, fand das innere Band, das beide verknüpft und
in der Kaiserzeit eine neue Kunst schuf. Bei dieser
Arbeit erweiterte sich Wickhoffs Gesichtskreis immer
mehr, so daß er in einem dreibändig gedachten Werke
außer der bereits neu erfaßten römischen Kunst zeigen
wollte, daß noch andere Epochen der Kunst, speziell
Skulptur, eben weil sie vom herrschenden Doktrinaris-
mus einseitig betrachtet waren, eine Ehrenrettung aus
ihrer bisherigen Verkanntheit zuteil werden müsse,
nämlich der von Burckhardt verachteten venezianischen
Skulptur und der römischen Kunst vom Tode Raffaels
bis zum Auftreten Berninis. Diese Ehrenrettung könne
keine andere sein als der Nachweis, daß die genannten
Epochen in ihrem Verhältnis zur Entwicklung der
Kunst und Kultur der Menschheit von eminenter Be-
deutung seien. Das großzügig gedachte Werk Wick-
hoffs blieb unvollendet, da er in einer Geschichte des
Naturalismus seine eigentliche Lebensaufgabe sah. Sie
sollte in dem Bestreben zu zeigen, wie sich die Kunst
als ein geradliniger Fortschritt vom unbestimmten Er-
innerungsbild bis zur genauesten Naturbeobachtung
darstelle, eine Weltgeschichte der Kunst werden. Zwei
weitere Arbeiten von Wickhoff, die unveröffentlicht
blieben, sollten seine dritte Neuschöpfung auf dem
Gebiete der Systematik, die wissenschaftliche Attri-
butionsmethode, darlegen. In ihnen gedachte Wick-

hoff zu zeigen, daß für das Attributionssystem das
vorhandene Quellenmaterial nicht nach aprioristischen
Gesichtspunkten, sondern durch kritische Quellen-
vergleichung bearbeitet werden müsse. Die Beispiele,
an denen Wickhoff diese wissenschaftliche Forderung
klar machen wollte, waren eine Arbeit über die Zeich-
nungen Raffaels und seiner Schule, sowie eine Mono-
graphie über Giorgione, in der er außerdem nachzu-
weisen die Absicht hatte, daß nicht Giorgione, sondern
Tizian der Begründer der modernen Malerei ist.
Wenn es Wickhoff nicht vergönnt war, so schloß
Dvorak, in den genannten Werken, die neuen Ideen
selbst zum Ausdruck zu bringen, so gehen sie in die
kunstwissenschaftliche Forschung über, das schönste
Denkmal für einen großen Toten.

Ventun (Rom) sprach über das Verhältnis der
Kunstgeschichte zu den übrigen historischen Disziplinen.
Aus seinen bewegten Worten war zu entnehmen, daß
sich Italiens Kunsthistoriker fest zusammenschließen,
um dtr jungen kunstwissenschaftlichen Disziplin aus
den Kindheitsjahren heraus zu helfen, sie äußerlich,
wie besonders innerlich durch eine feste Methode aus
der Rolle des »Aschenbrödels« zu befreien und in
die Systematik der Wissenschaften, besonders der histo-
rischen Wissenschaften einzugliedern.

Graf Vay de Vaya (Abt von S. Martin-Ungarn)
eröffnete mit seinem Vortrag über den Ästhetizismus
und Inipressionismus Japans die Reihe der die orienta-
lische Kunst behandelnden Mitteilungen: Japans Kunst,
keineswegs autochthon, sondern durch Vermittlung
Koreas und Chinas aus den Quellen der in den Hi-
malayatälern urheimischen Kulturschöpfend, ist während
ihrer ganzen Entwicklung vom Impressionismus be-
herrscht, indem die Künstler ihre Eingebungen auf
das Publikum zu intuitiver Beschaulichkeit übertragen
wollten. Dieser Impressionismus wurzelt in' der ab-
strakten und völlig idealen Weltanschauung Japans.
In allen Entwicklungsstufen der japanisch-nationalen
Malerei, die durch Kose-Uo-Kanaoka begründet wurde
und die drei Stationen des Naturalismus, der Ver-
feinerung und Überfeinerung durchlief, zeigte sich das
Bestreben der Künstler, nicht Leidenschaften, sondern
Ideen zu erwecken, um den harten Alltag poetisch
zu verklären; daher ist Japans Kunst volkstümlich ge-
worden und in die Hütten der Arbeiter eingedrungen,
um verbessernd, veredelnd, erhebend auf die Gesell-
schaft zu wirken.
 
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