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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 21.1910

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Schmidt, Karl Eugen: Der Pariser Herbstsalon
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https://doi.org/10.11588/diglit.5952#0041

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KUNSTCHRONIK

WOCHENSCHRIFT FÜR KUNST UND KUNSTGEWERBE

*83 SS«

Verlag von E. A. SEEMANN in Leipzig, Querstraße 13
Neue Folge. XXI. Jahrgang 1909/1910 Nr. 5. 5. November.

Die Kunstchronik erscheint als Beiblatt zur »Zeitschrift für bildende Kunst« monatlich dreimal. Der Jahrgang kostet 8 Mark und umfaßt 40 Nummern.
Die Abonnenten der »Zeitschrift für bildende Kunst« erhalten die Kunstchronik kostenfrei. — Für Zeichnungen, Manuskripte usw., die unverlangt
eingesandt werden, leisten Redaktion und Verlagshandlung keine Gewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E.A.Seemann,
_Leipzig, Querstraße 13. Anzeigen 30 Pf. für die dreispaltige Petitzeile, nehmen außer der Verlagshandlung die Annoncenexpeditionen an.

DER PARISER HERBSTSALON
Der Herbstsalon hat, was man in Frankreich eine
»schlechte Presse« nennt, und man kann nicht sagen,
daß er dieses Schicksal nicht verdiente. Von Anfang
an war den ein klein wenig hinter die Kulissen des
Pariser Kunstgetriebes schauenden Beobachtern sehr
bemerklich, daß bei der Gründung dieser neuen großen
Kunstausstellung die Kunsthändler mehr als billig be-
teiligt waren. Und dieser Einfluß ist von Jahr zu
Jahr stärker und augenfälliger geworden. Die Pariser
Händler haben sich des Herbstsalons bemächtigt, um
ihre Leute und ihre Ware vor das Publikum und
an den Mann zu bringen. Es ist ja kein Geheimnis,
daß seit dem Bombenerfolge, den der Pariser Händler-
trust mit den Impressionisten hatte, sich ein neuer
Trust gebildet hat, der ein gleiches mit der allerneuesten
Richtung versucht, mit den Nachahmern und Nach-
folgern von Gauguin, Cezanne und Toulouse-Lautrec.
Ob das dem Trust gelingen wird, bleibt abzuwarten,
sicher ist, daß die Sache recht geschickt und tüchtig
gemacht wird und daß nicht nur die französische,
sondern auch die deutsche Kritik, aus lauter Angst
rückständig zu scheinen, den Rummel mitmacht. Nur
das kaufende und zahlende Publikum, auf das es
doch schließlich ankommt, bleibt widerspenstig, und
wenn man die Erzeugnisse dieser Cezannenachahmer
und Gauguinschüler betrachtet, fühlt man sich ver-
sucht, dem Publikum zu dieser seiner kühlen Haltung
Glück zu wünschen. Übrigens ist die Sache doppelt
komisch oder doch merkwürdig für denjenigen, der
mit den verzweifelten Bemühungen der genannten
Kunstheroen näher Bescheid weiß. Alle drei, Cezanne,
Gauguin und Toulouse-Lautrec waren unglücklich,
weil sie niemals vollbrachten, was ihnen als Ideal
vorschwebte. Cezanne besonders hielt die Leute, die
seine nach seiner eigenen Ansicht schlechten, unfertigen
und wertlosen Versuche für vollkommene Meister-
werke ausgaben und teuer bezahlten, für Ignoranten
und Verrückte, und so oft ein junger Maler zu ihm
kam und ihn um Rat fragte, sagte er ihm: »Machen
Sie, was ich machen möchte, aber nicht, was ich
mache!«

Wenn nun der Herbstsalon infolge dieses Um-
Standes dem Salon der Unabhängigen ähnlich ist, so
unterscheidet er sich doch ganz wesentlich von diesem
durch den Umstand, daß er eine Jury hat. Diese
Jury, in der die von den Händlern geschobenen Kory-

phäen den Ausschlag geben, läßt nur zu, was zu dem
Ring gehört oder ihm nahe verwandt ist. Und dann
wird die Vorführung pompös und prätentiös herge-
richtet. Dies ganz besonders ist der Unterschied
zwischen den Herbstlichen und den Unabhängigen.
Bei den Unabhängigen geht es zwanglos und bescheiden
zu. Da findet man in jedem Jahre ein paar unbe-
kannte und neue Namen von Leuten, die redlich und
ehrlich das malen, was ihnen richtig und schön scheint.
Ob sie damit recht oder unrecht haben, ist ganz
einerlei, solange die Leute ehrlich sind und keinen
Humbug treiben, und solange sie sich als Suchende
bescheiden vorstellen. Wenn sie aber, wie sie es im
Herbstsalon tun, als Heroen auftreten, die bereits den
Gipfel des Parnasses erreicht haben und nun aus
unnahbarer Höhe voller Verachtung auf die armselige
Plebs zu ihren Füßen herabschauen, dann —; nun
dann wendet sich der Gast mit Grausen und denkt,
den Kunsthändlern sollte doch eigentlich der fran-
zösische Staat kein Ausstellungslokal zur Verfügung
stellen.

Da nun im Herbstsalon eigentlich nur die echten
oder falschen wilden Männer des neuesten Kunst-
handeltrustes ausstellen, — sehr viele von ihnen sind
nämlich nicht echter als die wilden Männer unserer
Jahrmärkte, die lebendigen Tauben den Kopf abbeißen,
solange sie im Käfig vorgeführt werden, nachmals
aber fein gesittet im Wirtshaus sitzen wie andere
Sterbliche auch — so fände das Publikum überhaupt
kein Interesse mehr an dieser Ausstellung, wenn es
nicht in jedem Jahre einige Sonderanstalten gäbe, die
das Interesse reizen und den Besucher locken. Frei-
lich macht auch dabei die Händlerschaft ihr Geschäft.
In der heurigen Ausstellung von Figurenbildern Corots
sieht man fast nur Sachen, die man in den Schau-
fenstern der Händler schon seit Jahren gesehen hat.
Trotzdem ist die Sache schön und interessant. Frei-
lich muß man über die wilden Männer staunen, die
mitten unter ihre Talmi-Urwaldkunst einen ebenso
begabten wie ehrlichen Meister zu versetzen wagen,
und man kommt beinahe auf den Verdacht, in ge-
wissen Dingen seien die Leute wirklich so naiv,
wie sie in ihren Malereien glauben machen möchten.
Im vorigen Jahre haben sie ja sogar Zeichnungen
von Ingres ausgestellt! Einige der Sachen Corots,
die hier gezeigt werden, sind ausgezeichnet, die meisten
sind nur von der Bank gefallene Hobelspäne. Das
 
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