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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 21.1910

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Graul, Richard: Zur Neuaufstellung des Victoria und Albert-Museums in London
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https://doi.org/10.11588/diglit.5952#0049

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KUNSTCHRONIK

WOCHENSCHRIFT FÜR KUNST UND KUNSTGEWERBE

Verlag von E. A. SEEMANN in Leipzig, Querstraße 13
Neue Folge. XXI. Jahrgang 1909/1910 Nr. 6. 19. November.

Die Kunstchronik erscheint als Beiblatt zur »Zeitschrift für bildende Kunst« monatlich dreimal. Der Jahrgang kostet 8 Mark und umfaßt 40 Nummern.
Die Abonnenten der »Zeitschrift für bildende Kunst« erhalten die Kunstchronik kostenfrei. — Für Zeichnungen, Manuskripte usw., die unverlangt
eingesandt werden, leisten Redaktion und Verlagshandlung keine Gewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E.A.Seemann,
Leipzig, Querstraße 13. Anzeigen 30 Pf. für die dreispaltige Petitzeile, nehmen außer der Verlagshandlung die Annoncenexpeditionen an.

ZUR NEUAUFSTELLUNO DES VICTORIA UND
ALBERT-MUSbUMS IN LONDON
Von Richard Graul

Bald nach der Weltausstellung des Jahres 1851
wurde auf die Anregung des Prinzgemahls Albert das
South Kensington-Museum eröffnet, um die Industrie
und das Gewerbe Großbritanniens mit lehrreichen
Vorbildern guten Geschmackes zu versehen. Das Unter-
nehmen wurde in ganz Europa mit Begeisterung auf-
genommen. Überall auf dem Kontinent war man
bestrebt, ähnliche Institute zur Förderung des guten
Geschmackes zu gründen, und zumeist verband man
mit der Einrichtung eines Museums die einer Unter-
richtsanstalt, wie es auch in London geschehen war.
Für alle diese Gründungen war und blieb für lange
Zeit das South Kensington-Museum das unübertreff-
liche Muster.

In einer Zeit, in der Meisterwerke alter Kunst zu
uns heute lächerlich gering erscheinenden Preisen
allenthalben zu erwerben waren, in der die Kon-
kurrenz anderer fehlte, noch keine nationale Kunsteifer-
sucht, keine Kunstschutzgesetze den Export berühmter
Kunstwerke erschwerten oder unmöglich machten,
entwickelte das South Kensington-Museum eine ebenso
sachkundige wie schnell zugreifende Sammeltätigkeit.
In der Tat ist die weitsichtige Sammelarbeit des Institutes
lange Zeit musterhaft gewesen, denn in verhältnißmäßig
kurzer Zeit wurde ein Bestand an Werken erlesener
Kunst, hoher Kunst wie angewandter, zusammen-
gebracht, der dem Museum einen von anderen jüngeren
Museen nicht wieder einzuholenden Vorsprung auf
einigen der wichtigsten Gebiete alter Kunst gegeben
hat. So dankt das Museum der geschickten Sammel-
tätigkeit von Sir Charles Robinson den Besitz der
herrlichsten Sammlung italienischer Skulpturen der
Renaissance außerhalb Italiens. Durch große Ver-
mächtnisse und Stiftungen wuchsen die Sammlungen
weit hinaus über den Rahmen des ursprünglichen
Programms, das vor allem die Bedürfnisse der In-
dustriellen, der Zeichner und Handwerker im Auge
hatte. Es braucht nur an das Jones Bequest und an
die großartige Leihgabe von George Salting erinnert
zu werden, um die Vorstellung von außerordentlichen,
in gleicher Vollkommenheit und gleichen Mengen
nicht wieder käuflichen Kunstwerken wachzurufen.
Aus allen Weltteilen strömten die Kunstschätze aller
Art zusammen, mehr und mehr An- und Ausbauten

wurden nötig. Magazine, Depots wurden an verschie-
denen Stellen angelegt, und alle diese Provisorien ver-
wandelten sich schließlich in dauernde Unbequem-
lichkeiten. Die Überfüllung und Unübersichtlichkeit
war allgemach so groß geworden, daß der Nutzen
des Museums in Frage gestellt wurde. Das South
Kensington-Museum war ein Kunstspeicher geworden,
in dem das Studium eine Strafe und der Genuß eine
Qual wurde.

Durch Jahrzehnte schleppte sich dieser unwürdige
Zustand hin. 1891 hörten wir von dem Wettbewerb
für einen großen Anbau, erst 1898 wurden die nötigen
Mittel bewilligt, endlich 1900 hat das mittlerweile in
das Victoria und Albert-Museum umgetaufte Kensington-
Museum die langersehnte Ausbreitungsfähigkeit er-
halten. Mit Geduld ertrugen wir die lange Warte-
zeit und, wenn uns auch die allmählich sichtbar
werdende äußere Banalität des riesigen Neubaues
mißfiel, so warteten wir doch guten Mutes in der Zu-
versicht, daß die Aufgabe im Inneren des Neubaus
doch eine ihrer Größe entsprechende Lösung finden
würde.

Wir glaubten, daß die Engländer, die in kurzer
Zeit eine in ihrer Vortrefflichkeit nicht mehr zu über-
bietende Kunstsammlung zusammengebracht hatten,
auch Mittel und Wege finden würden, diese Schätze
in bestmöglicher Weise dem allgemeinen Nutzen zu-
gänglich zu machen. Ist die Londoner National
Gallery in ihrer Art nicht unvergleichlich, eine muster-
hafte Galerie? Ihr Wachstum hat der Qualität ihrer
Schätze nicht geschadet. Die Auswahl von Meister-
werken, die sie vereinigt, erfreut den naiven Kunst-
freund und befriedigt den Kunsthistoriker, und trotz
der Überfüllung einiger Säle sind die Kunstwerke
gleich gut für das kritische Studium wie für den
ästhetischen Genuß dargeboten.

Was lag näher, als anzunehmen, daß die Er-
weiterung und Neuaufstellung der mannigfachen Kunst-
gegenstände im Victoria und Albert Museum Zeugnis
von gleicher Sorgfalt und Einsicht ablegen würde, daß
die mannigfachen musealen Erfahrungen der letzten
Jahrzehnte genützt würden, und daß die neue Ordnung
ein Exempel statuieren würde, die den gesteigerten
Ansprüchen an die Zweckmäßigkeit und den Ge-
schmack in der Aufstellung der Museumsschätze ent-
spräche. Die Gelegenheit, Besseres zu bieten, als man
gemeinhin in der Museumsaufmachung gewohnt war,
 
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