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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 21.1910

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https://doi.org/10.11588/diglit.5952#0054

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Sammlungen

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Gebieten. Er hat sogar einen großen Oberonsaal, mit
wandbreiten Szenen, geschaffen; im Hause des Seifen-
fabrikanten Taussig auf der Schönbrunnerstraße. Denn
auch dem modernen Kunstgewerbe hat er sich als einer
der ersten zugewandt. Was ihm noch fehlt, ist der Ausweg
aus selbstverständlicher Eklektik, und zwar, nach heutigen
Begriffen, zum Stil hin. Darum ist er im Frühjahr nach
Griechenland gegangen; in Delphi und dem Akropolis-
museum, bei der vornehmen Archaik, kann einer von Talent
auf den Stil kommen. Und er wird wieder hingehen, was
dann zunächst seinen neuen plastischen Aufgaben zugute
kommen dürfte. Die erste wird das Waldmüller-Denkmal
sein. — In der Galerie Miethke ist Toulouse-Lautrec aus-
gestellt. Mehrere Hundert Lithographien, Zeichnungen,
Pastelle; der Hauptstock aus der Sammlung Walter August
von Heymel in München. Dieser merkwürdige Künstler
braucht nicht erst von Wien aus gewürdigt zu werden.
Nützlich ist es unserem Publikum jedenfalls, diese neue
Einsicht zu bekommen, namentlich nachdem es in denselben
Räumen Daumier gesehen hat. Daumier und Gavarni kari-
kierten Menschen, Sachen, Stände, Systeme; Toulouse-
Lautrec karikiert Stimmungen, Nervenzustände, Milieus.
Das heißt, sie karikieren sich selbst, indem er sie darstellt,
ohne angreiferische Absicht, nicht als Moralist, sondern als
Miterleber, der zufällig ein Künstler von unersättlichem
Darstellungstrieb ist. Und ein Darsteller, dem sich aus
den Lebensformen und dem ganzen Wurf der »louchen«
Welt, in der er allein leben kann, neue Handfertigkeiten
und auch entsprechende Wirkungen ergeben. Die Aus-
stellung hat reichlichen künstlerischen Erfolg. — Der Hagen-
bund dagegen stellt Wilhelm Busch aus, in Tausenden von
Blättern. Auch die Albertina hat einen stattlichen Ankauf
gemacht, die Bilderfolge: »Das Bad«. Auch über diesen
lieben Meister seiner eigenen Kunst ist das Sagbare längst
gesagt. Aber man sieht ihn gern in seiner unverfälschten
Handschriftlichkeit, die sich heute schon so vergangen an-
sieht, so jugenderinnerungsmäßig. Sollte Busch die letzte |
Inkarnation des Herrn Biedermeier gewesen sein? Als
solcher natürlich Selbstpersifleur, der die ganze Geschichte
ja nicht mehr ernst nehmen kann und sich hilft, indem er
diese Tragik in ihrer ganzen Komik auffaßt. — Von be-
sonderer Wichtigkeit ist aber die große kunstgewerbliche
Ausstellung im Österreichischen Museum. Der neue Direktor,
Dr. Eduard Leisching, kommt aus der historischen Schule,
aus der er aber die richtigen Folgerungen zieht. Wie jede
Zeit ihre Zeitkunst hatte, so muß auch die jetzige mit der
ihrigen allem anderen vorangehen. In den Krankheitsjahren
des früheren Direktors war dieser Zusammenhang abge-
rissen und es fanden überhaupt keine solchen Ausstellungen
mehr statt. Der neue Mann läßt dem neuen Geist wieder
sein Recht werden. Man muß sich freuen, daß er, der
mit der Wiener Moderne stets gut gestanden, jetzt diese
ganze Jugend mit herangezogen hat. An Raum fehlt es
ja nicht, da der neue Nebenbau hinter dem alten Museum,
ein (allerdings unerfreuliches) Werk Baumanns, einstweilen
ganz und gar Ausstellungshaus ist. Natürlich stellt nun
auch die »Wiener Werkstätte* hier aus, diese richtung-
gebende Privatanstalt, deren Geist immer mehr in das
Getriebe des Wiener Kunstgewerbes eindringt. Ihre beiden
Schauschränke enthalten lauter mustergültige Arbeiten, in
der bekannten Art, und geben den Ton an, dem sich das
Übrige anbequemen soll. Josef Hoffmann, Kolo Moser,
die Keramiker Löffler und Powolny, dazu noch die zahl-
reichen Hoffmannschüler, die den größten Teil der Aus-
stellung überhaupt eingerichtet haben. Der Hauptarchitekt
ist Otto Prutscher, seit kurzem Professor an der staatlichen
Kunstgewerbeschule, die jetzt unter Alfred Roller sich neu
organisiert. Aber auch sein Bruder Hans und andere

Schulgenossen, Karl Witzmann, Zeymer, Margold, Deutsch
(Biünn) und andere, haben sich stark beteiligt, namentlich
an den 44 Interieurs. Ihr Einfluß ist auch in der älteren
Wiener Großgewerbekunst nachgerade zu spüren; einige
Firmen (Glas, Keramik, Textilien) legen darauf ihr Haupt-
gewicht. So ist diese Ausstellung, die, nach jahrelanger
Pause, die Menge wieder einmal zum Kunstgewerbe lockt,
herzlich zu begrüßen. Sie stellt der neuen Direktion ein
sehr günstiges Horoskop. Ludwig Hevesi.

Wien. Die Genossenschaft der bildenden Künstler
Wiens eröffnet ihre Herbstausstellung und eine Gedächtnis-
Ausstellung von Werken des Malers Professor Andreas
Groll am 13. November 1909.

SAMMLUNGEN
Die Pleißnersche Uhrensammlung. Für den Mathe-
matisch-physikalischen Salon in Dresden ist soeben die
Pleißnersche Sammlung alter Taschenuhren angekauft
worden. Der Dresdener Uhrmachermeister Herr Robert
Pleißner hat diese Sammlung, die nicht weniger als 120
auserlesene Stücke umfaßt, in zwanzigjähriger Sammel-
tätigkeit mit voller Sachkenntnis und feinem Kunst-
verständnis zusammengebracht und sie jetzt in dankens-
werter Weise zu einem verhältnismäßig niedrigen Preise
der staatlichen Sammlung überlassen, in der sie eine
empfindliche Lücke ausfüllt. Denn in der an sich bedeut-
samen Uhrensammlung des Mathematisch-physikalischen
Salons war die Taschenuhr bisher nur ganz spärlich ver-
treten. Die Pleißnersche Sammlung beginnt mit einer
Brustuhr in Dosenform aus der Zeit um 1540, der ältesten
Art, wie Taschenuhren hergestellt wurden. Peter Henlein
erfand diese Art der Uhren um 1505, in dem er zuerst die
Spiralzugfeder als Kraftspeicher in der Kleinuhr anwendete.
Das vergoldete Bronzegehäuse und der Deckel dieser älte-
sten Uhr sind durchbrochen und mit Hermen und Jagd-
bildern in Flachbildern verziert. Weiter folgen sogenannte
Nürnberger Eier, darunter das kleinste bisher bekannt ge-
wordene von 26 mm Längsdurchmesser aus der Zeit um
1660. Aus demselben Jahrhundert stammen drei prächtige
Brustuhren mit Gehäusen in Bergkristall und schön gra-
vierten und durchbrochenen Gehäusen. Weiter finden wir
Uhren mit köstlicher Emailmalerei — die 1632 vonJeanToutin
erfunden wurde — mit Piquearbeit, die in den ersten Jahr-
zehnten des 18. Jahrhunderts aufkam (Ornamentik aus
feinen Silbernägeln auf Leder, Fischhaut oder Schildkrot),
dann wieder mit getriebener und ziselierter Ornamentik,
wie sie die Rokokokunst neben der Emailmalerei pflegte,
mit Automaten, wie sie die Empirezeit liebte usw. Die
gesamte Kunstentwickelung von der Renaissance bis zum
Biedermeierstil wandelt so in Gestalt von köstlichen Taschen-
uhren in der Pleißnerschen Sammlung an uns vorüber.
Sie schließt mit Uhren aus der Zeit um 1850 ab, in der
die Herstellung der Uhren mit Maschinen einsetzte. So
sehr unsere gegenwärtigen Uhren die alten an Genauigkeit
des Ganges übertreffen, so sehr sind die alten den unseren
an künstlerischer Ausgestaltung überlegen. Das ist freilich
nicht verwunderlich, denn dreieinhalb Jahrhunderte hin-
durch war die Taschenuhr ein Luxusstück und demgemäß
ein »kunstgewerbliches Einzelerzeugnis«, während sie heute
in erster Linie ein Gegenstand des Massenbedarfs und der
Massenherstellung, ihre künstlerische Durchbildung aber
noch nicht Allgemeinbedürfnis ist. Müssen wir uns auch
sagen, daß so kostbare Stücke, wie sie die Pleißnersche
Sammlung aufweist, in unserer Zeit nur die Ausnahme
bilden könnten, so sollten sie doch auch in künstlerischer
Richtung erneute Anregungen geben. Ihre Unterbringung
in dem Mathematisch-physikalischen Salon — anstatt im
Kunstgewerbemuseum — wird dem gewiß nicht hinderlich
 
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