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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 21.1910

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Osborn, Max: Berliner Brief, [1]
DOI Artikel:
Bredius, Abraham: Die Entstehung des Rijks-Museums
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https://doi.org/10.11588/diglit.5952#0068

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Berliner Brief — Die Entstehung des Rijks-Museums

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grinsenden Totenkopf, — das träumte er, wenn er
beim matten Lämpchen im Stollen hämmerte, und
das wühlte seine Hand, wenn er wieder ans Licht
kam, aufs Papier. Natürlich: es ist eine Auswahl des
Besten, die hier zusammengestellt ist; aber sie geht
in der Qualität zu Höhen empor, die man nicht für
möglich gehalten hätte. Einer ist da, der offenbar
Ausstellungen besucht hat und vielleicht Bilder von
Curt Hermann sah, die ihn dem Problem des Poin-
tillismus nahebrachten und ihn zu Bildern von
schlechthin ausgezeichneten Wirkungen anregte. Andere
machen Landschaften von einer Frische der Farbe,
daß jeder moderne Maler von dieser Unbefangenheit
der Naturanschauung lernen kann — es ist nicht zu
viel, was ich sage! Wieder einer stellt seinem Kinde
ein selbstgezeichnetesfamosesTierbilderbuchzusammen,
mit eigenen hübschen Versen. Wieder einer zeichnet
Schmetterlinge und Teile von Insekten mit minu-
tiöser Akkuratesse ab. Naturalistisches mischt sich
mit Romantischem und Dekorativem. Einer malt Zu-
kunftsstaatsvisionen, daneben aber eine Reihe innig
empfundener Heiliger, die ihn offenbar beim Ein-
marsch in das marxistische Dorado schützen sollen. Eine
reiche, neue Welt öffnet sich hier — wahrscheinlich
um sich bald wieder zu schließen und uns nach-
denklich-schwermütig zurückzulassen. Interessant ist,
daß alle die Kreise, in denen der Veranstalter auf
Kunstarbeit gestoßen ist, der organisierten Sozial-
demokratie angehört haben, während die christlichen
Arbeiterkreise keine Funde lieferten. Und alle diese
Männer haben höchstens ein paar Jahre Volksschule
hinter sich, keinen Unterricht, keine Anregung, die
sie nicht selbst gesucht haben.

Das Ergebnis der Ausstellung? 183 Besucher in
vier Wochen! . . . Das Publikum des Berliner Westens
(die Veranstaltung findet in einer leeren Etage am
Potsdamerplatz statt) hat offenbar keine Zeit für
solche Dinge. . . .

Soeben ist nun auch die Winterausstellung der
Sezession eröffnet worden, die wieder den zeichnenden
Künsten gilt. Es ist zweifellos die glänzendste Zu-
sammenstellung von Handzeichnungen und graphi-
schen Werken > die man hier je sah. Eine fast er-
drückende Fülle von Qualität. Zudem ein Pronuncia-
miento von einer Kühnheit und Rücksichtslosigkeit,
daß es eine Lust ist. Man hat es der Sezession hoch
anzurechnen, daß sie trotz der kühlen Gleichgültig-
keit, mit der das Publikum über diese winterlichen
Veranstaltungen zur Tagesordnung überzugehen pflegt,
doch dem Geschmack oder Ungeschmack der Menge
nicht die geringsten Konzessionen gemacht hat. So
bekommt das Ganze allerdings einen stark radikalen
Charakter, und es fehlt gewiß nicht an tollen Sprüngen
ins Gewagte, Groteske, Wilde und Extravagante.
Wohin wir gelangen, wenn wir uns so weiter ins
Zügellose verlieren, steht auf einem andern Blatt.
Neben dieser Frage existiert zunächst die Tatsache,
daß heute ein Riesenprozentsatz der besten jüngeren
Talente in dieser ungebändigten Art auf die Eindrücke
von Welt, Natur und Leben reagiert. Das unter-
drücken wollen, wäre sinnlos. Nein: heraus damit!

alles ans helle Licht des Tages! Nur so werden wir
zur Klärung gelangen. Und wo soll denn den
Suchenden und Experimentierenden gestattet sein, sich
auszutoben, wenn nicht in Skizzen und Studien, in
Entwürfen und raschen Notizen, in Zeichnungen und
graphischen Blättern, deren technische Bedingungen
freiere sind als die der schwereren Malerei? Über-
dies hält auf der jetzigen Ausstellung ein fester Stamm
von Kollektionen reifer und gesicherter Meisterschaft
jenen Kühnheiten die Wage. Man sieht neue Litho-
graphien von Liebermann, Corinth, Sievogt (Lieber-
mann hat sich zum erstenmal mit dem Steindruck
beschäftigt), fast das gesamte Radierwerk von Manet,
von Zorn, von Hans Thoma, von Fritz Böhle, von
Kalckreuth, eine prachtvolle Serie feiner Zeichnungen
von Jan Toorop, merkwürdige j Bleistift- und Feder-
phantasien des schwedischen Malers Ernst Josephson
aus den letzten Jahren seines Lebens, da sich düstere
Schatten über seinen Geist senkten. Weiter eine
Folge von unbekannten Zeichnungen van Goghs.
Sehr übersichtlich ist die Anordnung. Man hat die
Radierungen, die Holzschnitte, die Lithographien, die
Handzeichnungen, die Aquarelle (diese Werke leich-
terer Malerei sind wiederum zur Auffrischung des
Gesamteindruckes zugelassen) reinlich geschieden und
in den einzelnen Räumen vereinigt; Walser und Weiß
haben die Wände mit hellen Leisten gegliedert, die
unteren Felder mit zarten Farben, mit Hellblau, Gelb,
Mattviolett getüncht, auf denen die kleinen Kunst-
werke eine vorzügliche, intime Wirkung gewinnen.
Zum Kontrast hängen im großen Hauptsaal zwei
dekorative Riesenbilder von Hodler: »Der Aufstieg«
und »Der Abstieg«, zwei Gebirgsszenen von kolos-
salem Format, die leider eine Enttäuschung bedeuten.
Mancherlei Kleinplastik ist außerdem eingestreut.
Alles in allem stellt sich die Ausstellung bei einem
ersten Rundgang als eins der charaktervollsten,
frischesten Dokumente der gesamten modernen Be-
wegung dar. MAX OSBORN.

DIE ENTSTEHUNG DES RIJKS-MUSEUMS1)

Die Herren Moes und van Biema haben eine außer-
ordentlich nützliche und interessante Arbeit ans Tageslicht
gefördert. Das schön ausgestattete, geschmackvoll illu-
strierte Buch ist ein wertvoller Beleg für die Geschichte
des Rijks-Museums, besser gesagt der Gemäldegalerie,
welche es enthält.

Ich will gleich hinzufügen, daß dabei eine Reihe höchst
kurioser Dokumente publiziert werden, die uns einen
Einblick gewähren in den Geschmack der damaligen Kunst-
beflissenen, Museumsdirektoren und Kunsthändler. Um
gleich ein Beispiel anzuführen: Im Jahre 1801 werden
Rembrandts »Staalmeesters« käuflich angeboten. Der Kunst-
händler Roos, gleichzeitig Inspektor der noch jungen
Sammlung, achtet den Ankauf nicht erwünscht. Er schreibt
unter anderem: »Dieses Bild . . . würde auf die Dauer
nicht gefallen; zuerst ist es 10 Fuß breit und 8 Fuß hoch,
würde also einen fürchterlichen Raum fortnehmen . . .
dazu sind es nur fünf Herren, alle in Schwarz gekleidet,
die nichts tun als Sitzen um porträtiert zu werden. Als

1) De Nationale Konst-Gallery en het koninklijk Museum.
Beiträge zur Geschichte des Rijks-Museums von E.W. Moes
und E. van Biema. Amsterdam, Fred. Muller & Co., 1909.
 
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