Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 21.1910

DOI Artikel:
Münchener Brief, [1]
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.5952#0086

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
155

Münchener Brief

156

MÜNCHENER BRIEF

Unsere Großstädte, soweit sie als alte Kulturzentren
in Wissenschaften und Künsten ein reges geistiges
Leben entwickeln, an dem nicht nur der engere Kreis
der Fachleute, sondern überhaupt jeder wirklich ge-
bildete und empfindende Mensch teilzunehmen ge-
wohnt ist, haben gelegentlich auch in den genannten
Kategorien ihre Ereignisse, die auf die Dauer einiger
Wochen oder Monate die Gemüter heftig erregen und
eine Flut der verschiedensten Urteile und Meinungen
zur Folge haben. München hatte nun in der letzten
Zeit auf dem Gebiete der Kunst ein Ereignis zu ver-
zeichnen, welches das Interesse und die Aufmerksam-
keit seiner Bewohner in einer über das gewöhnliche
Maß hinausgehenden Weise fesselte. Ich meine die
durch den Deutschen Kaiser am 18. September voll-
zogene Eröffnung der in die neuen Räume an der
Prinzregentenstraße übergesiedelten Schackgalerie. Die
Kunstchronik hatte damals kurz von der Tatsache
Notiz genommen und nur nebenbei bemerkt, daß
»das Urteil über die innere Anordnung und Ausstattung
der Galerieräume geteilt sei«. Es sei mir gestattet,
hierzu einige Worte zu sagen. Die Direktoren unserer
großen Museen klagen fast durchweg über die Ungunst
und Mangelhaftigkeit ihrer Sammelräume. Die Gebäude,
größtenteils aus dem vorigen Jahrhundert, wenn nicht
aus noch früherer Zeit stammend, waren schon von
Anfang an für die Menge kostbaren Gutes zu klein
angelegt, nun vermehrten Neuerwerbungen, Schen-
kungen usw. das Vorhandene, Bilder der verschiedensten
Formate und Schulen, sollten noch untergebracht werden
und so mochten manchmal nahezu höhere mathematische
Kenntnisse dazugehören, um auszurechnen, wo noch ein
Gemälde durch Verschiebung der anderen hineinzu-
zwängen war. Daß man beim Betreten solcher Bilder-
ställe sich unwillkürlich an eine ins Große übersetzte
Briefmarkensammlung erinnert fühlt, ist nur natürlich.
Ein reiner Genuß wird da unmöglich. Und doch
können wir den Direktoren kaum einen Vorwurf
machen, denn sie müssen mit den Räumen rechnen,
die ihnen zur Verfügung stehen und ein freieres Schalten
(wie Ausscheiden von Minderwertigem) verbietet mei-
stens ein pedantisches Ministerium oder eine noch
höhere Instanz. Wenn nun aber für eine bestehende
Sammlung ein Neubau errichtet werden soll, wenn
man die Möglichkeit hat, mit einem Schlage die Sünden
langer Jahre gut zu machen, dann ist wohl als selbst-
verständlich anzunehmen, daß die leitende Stelle sich
alle erdenkliche Mühe geben wird in Anlage und Aus-
stattung des Neubaues, vor allem aber in der Neu-
aufstellung der Kunstwerke das Beste zu leisten und
den Anforderungen unseres geläuterten Geschmackes
Rechnung zu tragen. Genügend große Räume mit
gutem Licht sind erste Bedingung. Dann wird man
bedacht sein, die Werke einer Künstlers zu vereinigen
und sie nicht durch ein halb Dutzend Säle zerstreuen,
man wird in ihre Umgebung Passendes und Ver-
wandtes hängen, das sich nicht gegenseitig totschlägt,
man wird die Galerie so anlegen, daß der Besucher
nicht gleich im ersten Raum die ärgsten — sit venia
verbo — Schinken, die leider auch aufgehängt werden

müssen, zu sehen bekommt, sondern wird sich be-
mühen, gerade hier Bestes zu geben, damit der erste
Eindruck ein guter sei usw. Es ließe sich noch manches
anführen, was bei der Neueinrichtung einer Galerie
zu beobachten wäre und was man — leider muß es
gesagt sein — bei der Schackgalerie fast vollkommen
außer acht gelassen hat. Über das wenig glückliche
Äußere ließe sich noch hinwegsehen, wenn nur das
Innere einigermaßen den Erwartungen entspräche. So
aber glaubt man beim Durchschreiten der Räume eine
Mietskaserne vor sich zu haben, aus deren nüchternen
Zimmern die Möbel entfernt und dafür Bilder, die
weder nach Größe noch künstlerischem Gehalt hinein-
passen, aufgehängt wurden. Es würde zu weit führen,
wollte ich auf Einzelheiten eingehen, nur das wich-
tigste sei in einigen Beispielen erwähnt. Betritt man
die Reihe der kleinen und größtenteils schlecht be-
leuchteten Kabinette des Erdgeschosses, so bietet sich
den Augen als Erstes Pilotys Columbus und Zimmer-
manns Walpurgisnacht. Ob der Besucher damit gleich
den richtigen Eindruck des Wertes dieser Sammlung
bekommt, möchte ich dahin gestellt sein lassen. Ge-
nellis unbedingt große Räume fordernde Werke gehen
hier völlig verloren. Je eine Wand wird von einem
Bilde bedeckt und zwar so, daß vom Bildrahmen bis
zum Türrahmen ein Zwischenraum von 4 cm bleibt.

Und nun stelle man sich ein Kabinett mit drei solchen
Bildern vor. Was würde man wohl sagen, wenn es
Tschudi einfiele, die Löwenjagd von Rubens oder den
Raub der Töchter des Leukippos in der Pinakothek
in die Kabinette zu hängen? Steinle, Schleich, Bam-
berger, Morgenstern und noch manche andere hängen
zerstreut. Schwind hat verhältnismäßig gutes Licht
— nur der Graf von Gleichen spiegelt — leidet aber
unter der Nüchternheit der beiden Räume und dem
Mangel an beschaulicher Ruhe und Abgeschlossenheit
(das eine Kabinett hat drei offene Türen). Am besten
wirkt der große Lenbachkopiensaal im ersten Stock.
Er hat gutes Oberlicht und macht mit seiner dunkel-
roten Tapete und den pompösen Türeinfassungen einen
prunkvollen Eindruck. Um ihn bei Festlichkeiten als
Repräsentationsraum benutzen zu können, ist eine Ver-
bindung mit den Wohnräumen der preußischen Ge-
sandtschaft hergestellt worden. Daher wohl auch seine
prächtige Ausstattung. Die Originale Böcklins und
Feuerbachs, mit denen sich meiner Meinung nach ein
Prunksaal nicht weniger würdig hätte ausstatten lassen,
müssen mit Räumen vorlieb nehmen, die ihren Genuß
zum allermindesten sehr beeinträchtigen, in einigen
Fällen aber fast unmöglich machen. Böcklin füllt zwei
Säle, die sich an den genannten Kopiensaal anschließen.
Die Bilder sind etwas weiträumiger gehängt als im
Parterre und soweit sie an den Seitenwänden befind-
lich, gut zu sehen. Alles aber, was den Fenstern
gegenüber hängt, spiegelt derart, daß man genötigt
ist seinen Standpunkt soweit nach der Seite zu ver-
legen, daß ein befriedigendes Betrachten wiederum un-
möglich wird. Das köstliche Vinum novum mußte
wegen Platzmangel in das folgende ungenügend be-
leuchtete Kabinett verbannt werden, das es mit Spitz-
weg, Marees und anderen teilt. Von der Hänge-
 
Annotationen