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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 21.1910

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Dehio, Georg: Heinrich von Geymüller
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https://doi.org/10.11588/diglit.5952#0103

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i8q Heinrich von

haben, Geymüller, von der wissenschaftlichen Seite
her beurteilt, den ersten Platz ein. Ihn unterscheidet
von den meisten anderen die rechtzeitig gewonnene
Einsicht, daß es sich hier um ein Entweder — Oder
handele. Niemand kann ohne Schaden seinen geistigen
Schwerpunkt zwischen künstlerischem Schaffen und
wissenschaftlicher Kunstbetrachtung beliebig hin- und
herschieben. Jede der beiden Tätigkeiten fordert den
ganzen Mann. Sobald Geymüller, in dessen Gemüt
Ehrfurcht vor dem Großen ein unabweisliches Be-
dürfnis war, sich der historischen Forschung zuge-
wandt hatte, machte er sie zu seinem einzigen Beruf
unter Verzicht auf alle Praxis. Der künstlerische
Trieb in ihm ordnete sich unter, ohne zu verkümmern.
Wir verdanken ihm historische Einsichten, die nur
ein Künstler gewinnen kann. Er hat wertvolle Restau-
rationen geliefert — aber nur auf dem Papier. Das
klassische Gegenbeispiel ist Viollet-Ie-Duc: bei glänzen-
der Begabung weder recht ein freier Künstler noch
ein echter Gelehrter. Kleine und kleinste Viollet-le-
Ducs haben wir auch in Deutschland nur zu viel, der
Typus Geymüller ist eine Seltenheit. Es ist ein zum
Nachdenken auffordernder Gegensatz: auf der einen
Seite die vielen alltäglichen Architekten, die sich in
naivem Selbstvertrauen jedem architekturgeschicht-
lichen Problem gewachsen fühlen, weil sie ja doch
Architekten seien, — auf der andern Seite ein Gey-
müller, der in seiner großen Ehrlichkeit sich immer
durch das Bewußtsein gedrückt fühlte, daß er in
der historischen Forschungsmethode Autodidakt war.
Man kann dies akzeptieren, doch nur um ihn in die
Reihe jener Männer verschiedenster Wissensgebiete zu
stellen, die mit ihrem Autodidaktentum die Wissen-
schaft reicher befruchtet haben, als bloße Schulge-
rechtigkeit es jemals tun kann.

Ganz wieder als Künstler zeigte sich Geymüller
in der Auswahl seiner Arbeitsstoffe. Nur Gegen-
stände, bei denen ihm warm ums Herz wurde, konnten
seinen Erkenntnistrieb in Schwung setzen. Es zog
ihn zur Renaissance, als zu der schönsten Vereinigung
des Geistes der christlichen Jahrhunderte mit dem
Geist der Antike. Er fand das Feld durch Jacob
Burckhardt in den großen Zügen abgesteckt vor, seine
eigene Forschung wandte sich sogleich dem zentralen
Meister zu, Bramante. Das in der Tradition verblaßte
und zerstückelte Bild dieses von ihm am höchsten
verehrten Künstlers wiederherzustellen, betrachtete er
als die eigentliche Aufgabe seines Lebens. Aber nur
in ganz besonnener, geduldiger, jede leiseste Spur er-
wägender, langsam ausreifender Arbeit sollte es ge-
schehen, wie die Würde des Gegenstandes es allein
zuließ. Jetzt stehen wir erschreckt vor der Tatsache,
daß er zu lange gezaudert hat.

Geymüllers kleine Schriften sind abwechselnd in
vier Sprachen (deutsch, englisch, französisch, italienisch)
geschrieben und schon dadurch schwer zu übersehen;
es ist dringend zu wünschen, daß ihre Titel dem-
nächst mit bibliographischer Sorgfalt zusammenge-
stellt werden. Weithin bekannt, so daß ich nur an
sie zu erinnern brauche, sind drei Hauptwerke. — In
den Untersuchungen über die Entwürfe zur Peterskirche

Geymüller f igo

trat er mit einer Methode hervor, die bis dahin noch
nie systematisch ausgenutzt worden war: aus ver-
schollenen, unverstandenen Zeichnungen entwickelte
er die innere Geschichte dieses einflußreichsten Bau-
werkes der neueren Zeiten. Man vergleiche damit
den Stand des Wissens, der durch die erste Auflage
von Burckhardts Geschichte der Renaissance repräsen-
tiert wird, und man muß über die Fülle und das
Gewicht der neuen Aufschlüsse erstaunen. Auch sah
man hier, einstweilen nur in Umrissen, die letzte,
größte, bis dahin ganz unbekannte Phase des späten
Bramante aus dem Dunkel hervortreten. Knappe, aber
wichtige Ergänzungen boten Geymüllers Beiträge zum
Cicerone und sein Buch über Raphael als Architekt.
— Das Riesenwerk über die Architektur der Renais-
sance in Toskana ist nicht Geymüllers eigener Initiative
entsprungen. Ein Kreis von acht jungen deutschen
Künstlern, die sich den Namen Societä San Giorgio
beigelegt, hatten den Gedanken zuerst ins Auge ge-
faßt. Ihm Gestalt zu geben, hätte ihre Begeisterung
nicht genügt, wäre ihnen nicht Geymüller zu Hilfe ge-
kommen: er entwarf den eingehenden Plan und über-
nahm den Text. Durch Geymüllers (unfreiwilliges)
Ausscheiden und den frühen Tod der tüchtigsten Mit-
arbeiter drohte dem großartigen Unternehmen ein un-
rühmliches Ende durch Versumpfung. Da trat Gey-
müller in wunderbarer Selbstlosigkeit noch einmal
an die Spitze und rettete es. Freilich, für seinen
Bramante hatte er damit kostbare Jahre verloren, aber
er tröstete sich, daß auch dieses eine nutzbringende
Vorbereitung sei. — In anderem Sinne gilt dasselbe
von der Geschichte der Renaissancearchitektur in Frank-
reich. Wie mir scheint, ist man sich bei uns noch
gar nicht recht klar darüber geworden, welche Summe
neuer, an den hergebrachten Lehren gemessen, gerade-
zu revolutionärer Wahrheiten hier dargeboten wird.
Für Geymüller selbst war das wichtigste Ergebnis
der Nachweis umfassendsten Einflusses der von Bra-
mante herkommenden Tradition. In Frankreich hat
man diese Enthüllungen nicht gern gehört. Langsam
aber notwendig wird Geymüllers Lehre durchdrungen.
Denn sie ist durch eine der bisher angewandten weit
überlegene Methode gewonnen. An umfangreicher
Archivforschung hatte man es nicht fehlen lassen;
Geymüller aber zeigte, daß diese nur in die Irre
führt, wenn sie nicht mit selbständiger Stilkritik ver-
bunden ist.

Das Buch über Bramante ist ungeschrieben ge-
blieben. Aber eigentlich nur für uns ungeschrieben.
In Geymüllers Geiste lag es fertig da. In seinen
letzten Jahren war er am Ziele seines Lebens tafsäch-
lich angelangt: er wußte, wer und was Bramante ge-
wesen ist, er übersah alte historische Fäden, die auf
ihn hin und von ihm weiter führten. Nur die zu-
sammenfassende letzte Aufzeichnung fehlte noch. Daß
sie nicht erfolgt ist, ist ein Verlust schwerster Art.
Geymüller hat sein Wissen um Bramante, gleichsam
wie ein persönliches Geheimnis, mit ins Grab ge-
nommen. Sein Nachlaß wird vielleicht einige Frag-
mente ans Licht bringen, mehr kaum, und wieviel
Zeit wird verstreichen, bis wieder jemand mit gleicher
 
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