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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 21.1910

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Dehio, Georg: Heinrich von Geymüller
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Florentiner Brief
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https://doi.org/10.11588/diglit.5952#0104

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Florentiner Brief

192

Hingebung, gleicher Anempfindungskraft die Aufgabe
in die Hand nimmt1).

Zur Ergänzung, einem mehrfach laut gewordenen
Wunsche nachgebend, lasse ich nun noch die Worte
folgen, die ich an seinem Grabe gesprochen habe:

»Ich habe den Freund, von dem wir nun Abschied
nehmen, zum letztenmal gesehen an jenem leuchten-
den Maientage, an dem wir seinen 70. Geburtstag
feierten. Die Antithese ist zu schmerzlich —- lassen
Sie uns den Blick zu dem hinwenden, was dauert.

Gemeinsame Interessen des Faches führten mich
zum erstenmal mit Heinrich v. Geymüller zusammen.
Schon in dieser ersten Stunde wußte ich, daß ich
noch einen anderen Gewinn, als den gesuchten, einen
sehr großen, davongetragen hatte: ich hatte einen
edlen Menschen kennen gelernt.

Wie mir, so ist es allen den vielen gegangen,
deren Gedanken aus der weiten Welt in diesem Augen-
blick hier zusammentreffen: aus Fachgenossen wurden
Freunde. Heinrich v. Geymüller gekannt zu haben,
rechne ich zu den Glücksfällen meines Lebens. Ich
suche nach einem Gleichnis: wie wenn man in der
Konstruktion einer modernen Maschinenhalle plötzlich
ein edles Bramantesches Profil auftauchen sähe, so
ist er mir in dieser Zeit erschienen. Sein Lebens-
werk als Forscher und Schriftsteller zu schildern, wäre
der gegebene Ort die Sitzung einer Akademie, nicht
hier. In der großen Organisation der wissenschaft-
lichen Arbeit, die wir uns eingerichtet haben, ver-
schwindet so leicht der Einzelne hinter seinem Werk.
Heinrich v. Geymüllers Werke waren Früchte an
einem Baum, der auch an sich, als Baum, schön war;
einem Baum, den man nicht klassifizieren konnte,
weil er nur in diesem einen Exemplar vorkam. Ein
merkwürdiger Reichtum lag in seiner Persönlichkeit,
ein eigener poetischer Schimmer umfloß ihn. Das
kam daher: drei Wesen, die wir sonst nur getrennt
zu sehen gewohnt sind, hatten in ihm sich zu einer
kostbaren Einheit verschmolzen: der Edelmann, der
Künstler, der Gelehrte. Den meisten, die Erfahrung
lehrt es, gereicht eine solche Mehrseitigkeit der Be-
gabung und Lebensführung nicht zum Heil; bei starken
Charakteren entstehen schwere innere Konflikte, bei
schwachen Zersplitterung und Verflachung. Bei Hein-
rich v. Geymüller war alles in Harmonie. Dies habe

1) Aus einem Nachruf in der Deutschen Bauzeitung
vom 25. Dezember Nr. 103 wird mir folgender Satz mit-
geteilt: »In seinen letzten Lebensjahren ist er in der weiteren
Öffentlichkeit bekannt geworden durch sein Auftreten gegen
den Ausbau des Ott-Heinrichsbaues des Heidelberger
Schlosses und sein Eintreten für die Wiedererrichtung der
Hohkönigsburg, Handlungen, die der inneren Beziehungen
und Logik entbehrten«. Ich will mit dem Thersites, der
dies geschrieben hat, in keine Polemik eintreten. Unter
allen Homines bonae voluntatis kann darüber kein Zweifel
sein, daß bei den beiden fraglichen Denkmälern die Vor-
aussetzungen durchaus verschieden liegen. Im übrigen
hat Qeymüller die Wiederherstellung der Hohkönigsburg
auch nur unter Reserve gutgeheißen. Die Bedeutung seiner
gegen den Ausbau des Ott-Heinrichsbaues gerichteten Aus-
führungen wird durch diese angebliche Inkonsequenz nicht
im geringsten abgeschwächt.

ich an ihm am meisten bewundert und ich weiß, es
war nicht nur Gabe eines glücklichen Temperaments,
sondern sein persönlichstes erworbenes Verdienst.
Seine Beschäftigung mit der alten Kunst bedeutete
nicht die Ergötzlichkeit eines ästhetisch angelegten
Menschen, sondern war erfüllt von ganzem Ernst, ich
darf es wohl sagen: von heiligem Ernst. Denn jene
heitere glänzende Dreiheit, von der ich sprach —
des Edelmannes, des Künstlers und des Gelehrten —
sie ruhte auf dem Grunde eines tief religiös gestimmten
Idealismus. Kunst war ihm eine der Offenbarungen
Gottes.

So glaube ich ihn verstanden zu haben und aus
dieser hohen Auffassung seiner Lebensaufgabe deute
ich mir die tiefe Bescheidenheit, mit der er von seinen
Leistungen dachte. Oft habe ich mich versucht ge-
fühlt dieser Bescheidenheit als einer Selbstverkennung
zu widersprechen. Aber sie nötigte mir so große
Achtung ab, daß ich schwieg. Und diese selbe Ach-
tung verbietet es mir, ihn hier laut zu preisen. Uns
bedaure ich, daß er nicht alle seine Arbeitspläne hat
zu Ende führen können; nur uns, nicht ihn. Was
für ihn selbst der Ertrag seiner Lebensarbeit gewesen
ist, das war kein Stückwerk. Denn sein schönstes
Werk war er selbst. Wir nehmen Abschied von
einem Vollendeten.« GEORG DEMO.

FLORENTINER BRIEF

Unter den Geschehnissen, welche in den letzten
Jahren das Gesamtbild der Florentiner Sammlungen
nicht unwesentlich verändert haben, ist die Über-
führung von sechs Figuren Michelangelos in die Aka-
demie ohne Zweifel eines der bedeutsamsten. Bedeut-
sam namentlich deshalb, weil die vier Kolossalgestalten
der »prigioni«, an denen der Meister 151g arbeitete,
und die nach seinem Tode der Neffe Leonardo Buo-
narroti dem Herzog Cosimo zum Geschenk machte,
aus der Umklammerung des Tuffgesteins der Boboli-
grotte, wohin sie ein im Wollen starker barocker
Geschmack versetzt hatte, befreit und zum erstenmal
dem Studium — und der Bewunderung — sichtbar
gemacht worden sind.

Die Urteile, die man über die Werke hört, lauten
sehr verschieden; viele scheinen der Ansicht zuzuneigen,
es gehöre die besondere Schulung des Fachmannes
dazu, um diesen unvollendeten Figuren gerecht werden
zu können. Nichts erscheint mir falscher: so wie
sie sind, erwecken sie unmittelbare Bewunderung, eben
weil sie in ihrer Nichtvollendung jenen Hauch des
lebendigen Schaffens bewahrt haben, der die Zeich-
nungen großer Meister zu den anregendsten Doku-
menten künstlerischen Wollens erhebt. Es ist, fast
möchte ich sagen, etwas Dramatisches in ihnen, wenn
man hier den quadratischen Block sieht, wie er von
den Steinmetzen zubehauen war, dort die Arbeit des
starken Bohrers, die dazu diente, die Konturen vom
Stein loszuschälen, die groben Meißelschläge an jener
Stelle, welche die Formen erst in großen Zügen fest-
legten, und nun an einzelnen Partien die penible
Arbeit vieler Stunden beobachten kann, die dem Stein
den Charakter schwellenden Fleisches geben sollte.
 
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