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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 21.1910

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Römischer Brief, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.5952#0107

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Römischer Brief

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an dem auf historisches Empfinden gegründeten Prinzip
der Erhaltung, welches als eins der schönsten modernen
Errungenschaften angesehen wird, rütteln und die
Folgen eines solchen Fehltrittes wären unabsehbar.
Was den spezifischen Fall des Kapitols dann betrifft, so
sieht jeder einigermaßen gebildete Mensch ein, daß
die Hand an ein nach Michelangelos Plänen aus-
geführtes Werk zu legen ohne zwingende Notwendig-
keit einfach frevelhaft wäre. Man sagt wohl, daß
man an der Architektur der Paläste selbst nichts
ändern würde, und bedenkt dabei nicht, daß Michel-
angelos Plan noch mehr als für die Gebäude für die
Anordnung des Platzes gilt, daß es dem großen
Künstler durch harmonisches Zusammenwirkenlassen
von Linien und Maßen gelungen ist, einen kleinen
Platz großartig zu gestalten, und daß in seiner groß-
zügigen Komposition nicht nur die Bauten wirken,
sondern auch Licht und Fernsicht mächtig mitsprechen.
Wenn man sich den Senatorenpalast nicht mehr mit
den zwei Ausblicken auf das Forum, sondern durch
anschließende Seitenbauten beengt denkt, wird man
sich gleich vorstellen können, daß die Fassade nied-
riger und breiter, also in ihren Verhältnissen gestört
erscheinen wird und auch der Turm durch die brei-
tere Unterlage niedriger würde. Auch werden die
Seitenbauten das Licht, welches jetzt so hell und
freudig auf die herrliche Freitreppe fällt, beeinträch-
tigen, und man wird die schönen Ausblicke auf
die großen Treppen, welche zum Portico del Vignola
und nach Aracoeli führen, vermissen. Dies ist so
deutlich, daß wohl keine weiteren Erläuterungen nötig
sind, um den Verbindungsplan zu verwerfen, aber
nicht minder verwerflich erscheint er uns, wenn man
ihn vom historischen Standpunkte aus betrachtet.
Der Senatorenpalast ist nicht nur das mittelalter-
liche Rathaus Roms, welches seit dem 12. Jahrhundert
n. Chr. besteht, sondern es erhebt sich auf dem römi-
schen Tabularium an der durch das Asylum Romuli
geheiligten Stelle, so daß die mittelalterlichen Sagen
das Capitolium zum Palladium Roms gemacht haben,
zum Sinnbild aller römischen Macht und Herrlichkeit.
Als solches ist es bis auf die Neuzeit gekommen, als der
Gedanke des einigen, freien Italiens, mitten in den
Kämpfen und den Drangsalen der Freiheitskämpfe in
dem Kapitol gipfelte und verkörpert wurde. Als feste
zinnengekrönte Burg stand das propugnaculum liber-
tatis der freien Bürgerschaft seit dem 12. Jahrhundert
der päpstlichen und kaiserlichen Herrschaft zum Trotz.
Jeder Stein an dem festen Bau ist ein Zeuge erbitterter
Kämpfe des wiedererstandenen Senats gegen die Söld-
ner der Päpste, und kein anderer Bau der ewigen
Stadt kann wie dieser sinnbildlich sein für die kampf-
mutige Freiheitsliebe des römischen Bürgertums. Die
Renaissancefassade verdeckt die alten Lauben und die
massigen Ecktürme zeigen sich nur von den Seiten.
Der alte Mittelturm, dessen Glocken so oft das Volk
zu den Waffen riefen, hat seinen kriegerischen Zinnen-
schmuck verloren, aber dem Ganzen haftet noch der
Burgcharakter an. Baut die Verbindungen mit den
Seitenpalästen und aus der freistehenden Burg wird
eine Hoffassade und eine Stimme mehr aus der Ver-

gangenheit wird schweigen. Schon hat die Verbin-
dung der römischen Architekten ihre Stimme erhoben
gegen den Plan und überall bereiten sich Proteste
vor, so daß man mit Sicherheit auf dessen Vereitelung
sehen kann.

Von kleinerer Wichtigkeit ist die Frage von Piazza
Colonnas Regulierung. Ein mächtiger Palast, ein Vier-
zehnmillionenbau mit großen gedeckten Gängen und
Passagen, soll dort gebaut werden, durch Masse und
Dekoration nicht im Einklänge mit dem sonst so
harmonischen Platz. Das neue Gebäude sollte sich
da erheben, wo vor ungefähr zwanzig Jahren der
Palazzo Piombino stand, und der Kampf dagegen
wird mit viel weniger Siegesfreudigkeit geführt. All-
gemeinen Beifall in allen gebildeten Kreisen findet statt
dessen Corrado Riccis Projekt, die Kirche von Santa
Maria degli Angeli, in welche Michelangelo den größten
Saal der Diokletiansthermen umbaute, und die im
18. Jahrhundert durch Vanvitellis Rundkapelle einen
Eingang auf der Seite bekommen hat, wieder zu ihrer
einstigen Form zu verhelfen.

Papst Pius IV. beschloß, in den Diokletiansthermen,
wo seit dem Mittelalter die kleine Kirche von San
Ciriaco gewesen war, eine große Basilika zu errichten,
und wie Ascanio Condivi und Vasari erzählen, be-
kam Michelangelo nach einer Konkurrenz den Auftrag.

Der große Meister wählte das wohlerhaltene Tepi-
darium und orientierte die neue Kirche nach der
Längsachse des Saales, so daß der Eingang gegen
Osten zu stehen kam, also in der Richtung, wo jetzt
der Zentralbahnhof steht. Das Werk Michelangelos
bestand also in einer Wiederbelebung des mächtigen
Thermensaales. Nun ließ aber der Meister auch
einen Seiteneingang offen, durch welchen man aus
der jetzigen Piazza delle Terme, wo der Najaden-
brunnen steht, in die Kirche treten konnte. Als man
im Jahre 1749 dem seligen Kartäuser Niccolö Alber-
gati eine Kapelle in Santa Maria degli Angeli, welche
ja zu der Kartause gehörte, weihen wollte, beschloß
man Buonarrotis Eingang zuzumauern und an dieser
Stelle die neue Kapelle einzurichten. Mit der Arbeit
wurde kein Geringerer als Luigi Vanvitelli betraut
und so hat der große Barockarchitekt es verschuldet,
daß man den Seiteneingang zum Haupteingang machte,
und daß man bei dem Eintreten in Santa Maria degli
Angeli nicht mehr den Thermensaal in seiner ganzen
Länge vor sich hat und somit der großartige Ein-
druck vernichtet ist. Corrado Riccis Plan besteht
darin, den Seiteneingang zu schließen und den ur-
sprünglichen von Michelangelo wiederherzustellen.
Diese Arbeit wird zugleich mit dem anderen größeren
Unternehmen > die Thermen von den späteren häß-
lichen Anbauten zu befreien, Hand in Hand gehen.

Zuletzt noch eine gute Nachricht für die Freunde
des alten Roms. Die Arbeiten zur Restaurierung von
S. Eligio degli orefici, welches als erster Bau Raffaels
gilt, sind in diesen Tagen unternommen worden.

Fed. H.
 
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