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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 21.1910

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Londoner Brief, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.5952#0129

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KUNSTCHRONIK

WOCHENSCHRIFT FÜR KUNST UND KUNSTGEWERBE

Verlag von E. A. SEEMANN in Leipzig, Querstraße 13
Neue Folge. XXI. Jahrgang 1909/1910 Nr. 15. 4. Februar.

Die Kunstchronik erscheint als Beiblatt zur »Zeitschrift für bildende Kunst« monatlich dreimal. Der Jahrgang kostet 8 Mark und umfaßt 40 Nummern.
Die Abonnenten der »Zeitschrift für bildende Kunst« erhalten die Kunstchronik kostenfrei. — Für Zeichnungen, Manuskripte usw., die unverlangt
eingesandt werden, leisten Redaktion und Verlagshandlung keine Gewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E. A. Seemann,
Leipzig, Querstraße 13. Anzeigen 30 Pf. für die dreispaltige Petitzeile, nehmen außer der Verlagshandlung die Annoncenexpeditionen an.

LONDONER BRIEF

Die außerordentlichen Anforderungen an die Privat-
galerien Englands zur Darleihung von Gemälden alter
Meister für die »Grafton-Gallery« und für die Winter-
ausstellung in der Akademie haben das Komitee des
Burlington Fine Arts Club nicht abgehalten, in ihren
Räumen gleichfalls eine Ausstellung alter Meister zu
veranstalten. Diesmal handelt es sich insonderheit um
Vorführung von Kunstwerken aus der umbrischen
Schule des 15. und 16. Jahrhunderts. Entgegengesetzt
den Schulen von Florenz und Siena, blieb die um-
brische Schule nicht innerhalb des Kreises der Ein-
gebornen, sondern fremde Elemente beeinflußten die
Lokaltendenzen nicht unwesentlich.

Schon das erste Bild des Katalogs »Die Jung-
frau mit Kind und Engeln« wird ziemlich allgemein
einem der problematischsten Meister der umbrischen
Schule, dem Fiorenzo di Lorenzo aus Perugia zuge-
schrieben. Wessen Einfluß die in seinen selten vor-
kommenden Werken ausgeprägten Eigentümlichkeiten
zugewiesen werden sollen, darüber sind die gewieg-
testen Spezialkenner uneins. Es gibt vielleicht keinen
Maler der Renaissance, dessen Kunstehtfaltung in Be-
schreibungen auf eine so unsichere Basis gestellt wird,
wie gerade die von Fiorenzo — nämlich auf ein ein-
ziges signiertes und datiertes Altarblatt. Eine Durch-
musterung aber des Fiorenzo-Saales in Perugia wird
jeden unparteiischen Kritiker dazu nötigen, einzuräumen,
daß von der Liste seiner wenigen Werke daselbst die
Hälfte gestrichen werden muß, wenn man die andere
Hälfte als echt bezeichnen will. Dasselbe gilt selbst-
verständlich für die Umkehrung der Behauptung! Des
verstorbenen Mr. Saltings obig genannte Madonna ist
wahrscheinlich das einzig authentische Werk des Meisters
in England. — Ungeachtet erheblicher Restaurierungen
sollte man das von Christ Church in Oxford geliehene
Gemälde von Pierro della Francesca als eins der wich-
tigsten Beispiele festhalten, das uns die Malweise
dieses gleichfalls nur selten vorkommenden Meisters
gut veranschaulicht. Die Zahl seiner erhaltenen Staf-
feleibilder wird kaum ein Dutzend überschreiten. Hier
haben wir ein so schönes Gemälde vor uns, daß dies
allein wert erscheint, die Ausstellung zu besuchen.
Die Kolorierung zeigt die charakteristischen Eigenschaf-
ten Pierro della Francescas: Harmonie, vorherrschend
bläulich - graue Töne, verbunden mit einer gewissen
kühlen Farbengebung. Der Typus der Madonna läßt

zweifellos Verwandtschaft mit dem von demselben
Künstler in der »National-Gallery« befindlichen und
dort »Nativity« bezeichneten Bilde erkennen. Ein
unter den englischen Sammlern stets beliebter Meister
bleibt Luca Signorelli, von dem nicht weniger als zehn
Arbeiten, meistens allerdings nur kleine, aber sehr gut
durchgeführte Predellen vorhanden sind. Unter diesen
sind besonders hervorzuheben die »Pietä«, geliehen
von Sir John Stirling-Maxwell, ein Bild, ausgezeichnet
durch die tragische Intensität leidenschaftlichen Aus-
drucks und an die Kunst der letzten Periode Botti-
cellis erinnernd, als dieser unter dem Banne von Savona-
rolas fanatischem Eifer stand. Kaum weniger dramatisch
und lebhaft in der Geste sind Mr. Bensons »Der Gang
nach Emmaus« und »Die Abendmahlzeit in Emmaus«.
Sowohl dies Werk Luca Signorellis wie ein von Lord
Crawford zur Ausstellung gesandtes Gemälde desselben
Meisters ist namentlich bemerkenswert durch seine vor-
zügliche Erhaltung.

Selbstverständlich, und wie wenigstens nicht anders
erwartet werden konnte, hat das Komitee der Aus-
stellung das möglichste getan, um auch diejenigen
Meister würdig vertreten zu sehen, die den Kulmina-
tionspunkt der umbrischen Schule bezeichnen. So
sehen wir hier zwei Werke von Perugino, geliehen
vom Mr. Holford und Lady Wantage. Ersteres stellt
eine kleine Madonna, letzteres zwei Heilige dar, die
aller Wahrscheinlichkeit nach ehemals zusammen ein
Triptychon bildeten. Der uns hier gebotene Raffael
bildete einst die Predella zu dem großen Altarwerk,
bekannt unter dem Namen »Madonna von St. Antonio«,
die von Mr. Pierpont Morgan der englischen »National-
Gallery« geliehen wurde. Die in Rede stehende Pre-
della, das Eigentum von Lord Plymouth, war ehedem
das Mittelstück des aus fünf Teilen zusammengesetzten
Gemäldes, dessen übrige Glieder zerstreut in verschie-
denen Händen sind, und wohl kaum jemals wieder
vereinigt werden dürfen. Dies Zentralblatt veranschau-
licht die Prozession zum Kalvarienberg und gibt eine
große Menge von Figuren wieder, sämtlich jene cha-
rakteristischen Eigenschaften aufweisend, die sich in
Raffaels frühen Werken erkennen lassen. Auch Pinto-
ricchio findet sich in der Ausstellung vertreten. Je-
doch von größerem Interesse sind Arbeiten nur sehr
seltener Meister, wie unter anderen Francesco Gentile
da Fabriano, seines Vaters Gentile da Fabriano und
Bernardino di Maritto, sowie endlich einige gute
 
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