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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 21.1910

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KUNSTCHRONIK

WOCHENSCHRIFT FÜR KUNST UND KUNSTGEWERBE

Verlag von E. A. SEEMANN in Leipzig, Querstraße 13
Neue Folge. XXI. Jahrgang 1909/1910 Nr. 17. 25. Februar.

Die Kunstchronik erscheint als Beiblatt zur »Zeitschrift für bildende Kunst« monatlich dreimal. Der Jahrgang kostet 8 Mark und umfaßt 40 Nummern.
Die Abonnenten der »Zeitschrift für bildende Kunst« erhalten die Kunstchronik kostenfrei. — Für Zeichnungen, Manuskripte usw., die unverlangt
eingesandt werden, leisten Redaktion und Verlagshandlung keine Gewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E.A.Seemann,
Leipzig, Querstraße 13. Anzeigen 30 Pf. für die dreispaltige Petitzeile, nehmen außer der Verlagshandlung die Annoncenexpeditionen an.

———= LITERATURN UMMER -

Seidlitz' »Leonardo da Vinci«. (Leonardo da Vinci, der
Wendepunkt der Renaissance, von Woldemar von Seydlitz.
Zwei Bände mit 152 und mit 63 Abbildungen. Berlin,
Julius Bard, 1909).

Abermals ist in deutscher Sprache ein Hauptwerk über
einen der großen italienischen Renaissancemeister erschienen.
Den Werken von Passavant über Raffael, von Julius Meyer
über Correggio, von Ludwig Justi über Oiorgione, von Her-
man Grimm, von Heinrich Wölfflin, von Henry Thode,
von Karl Frey, von Hans Mackowsky und von Karl Justi
über Michelangelo reiht sich — last not least — das große,
seit langer Zeit mit eindringlicher Sorgfalt vorbereitete und
mit Sehnsucht erwartete Werk über Leonardo da Vinci von
Woldemar von Seidlitz an. In der Leonardo-Literatur des
Auslandes hat es im letzten Jahrzehnt nicht an tüchtigen
zusammenfassenden Werken gefehlt. In Frankreich folgte
auf das große Werk von Müntz das inhaltreiche Buch von
Seailles (1892). In Italien wurden die älteren Forschungen
von Uzielli und anderen durch das bedeutsame Werk von
E. Solmi überflügelt. In England, in dessen Dienst auch
J P.Richter undO.Gronau (1902)ihre Leonardo-Forschungen
gestellt hatten, schrieben H. P. Hörne (1903) und Edw. Mac
Curdy (1904) klare und einsichtige Bücher über den Meister.
Gerade in Deutschland, wo seit Müller-Waldes nur teilweise
annehmbaren Leonardo-Forschungen nur das kleine Buch
von Ad. Rosenberg (1898) über den großen Meister ge-
schrieben war, war das Erscheinen eines Meisterbuches über
Leonardo da Vinci ein wirkliches Bedürfnis; und daß Seidlitz'
großes Werk, das sich mehr als ebenbürtig den besten
ausländischen Werken über den gewaltigen Florentiner an-
reiht, die Lücke vollständig und überzeugend ausfüllt, ver-
steht sich für alle, diedesVerfassers bisherige schriftstellerische
Tätigkeit verfolgt haben, von selbst. Auch Seidlitz' eigenen
früheren Werken über Rembrandts Radierungen, über den
japanischen Farbenholzschnitt usw. reiht sein Leonardo sich
als die bisherige Hauptarbeit seines Lebens, der hoffentlich
noch manche andere folgen werden, erfolgreich an.

Ein Buch über Leonardo da Vinci, den allseiligen großen
Renaissancemenschen, in dem sich der Übergang von der
Auffassung des Quattrocento zur Auffassung des Cinque-
cento vollzieht, zu schreiben, setz,t eine ungewöhnliche Fülle
und Mannigfaltigkeit gründlicher Vorstudien voraus. Haben
sich doch künstlerische Schöpfungen seiner Hand nur in so
kleiner Anzahl erhalten, daß sich selbst unter Einbeziehung
der Kunsttheorien seines berühmten Trattato della Pittura
kaum zwei stattliche Bände über Leonardo als bildenden
Künstlerschreiben ließen. Aber ihn nurals bildenden Künstler
zu feiern, hieße auch ihn mißverstehen und unterschätzen.
Kennen und Können, Forschen und Schaffen, Denken und
Handeln waren in keinem Menschen so unauflöslich mit-
einander verknüpft, wie in ihm. Auf allen Gebieten der

Naturbeobachtung, von der Anatomie des menschlichen
Körpers bis zu den Wasserläufen im Schöße und auf der
Oberfläche der Erde hatte er selbständige, vielfach bahn-
brechende Forschungen unternommen; aber auch auf allen
Schaffensgebieten, in denen die Hand des Menschen die
Vorstellungen des Hirnes verarbeitet, hatte er sich mit er-
staunlichen Erfolgen betätigt. Es gab Zeilen, in denen er
sich nicht zunächt als Bildhauer oder als Maler, sondern
als Ingenieur im weitesten Sinne des Wortes, im Kanalbau
wie im Maschinenbau, ja in der ganzen angewandten
Mechanik, einschließlich der »Aviatik«, fühlte und bewährte.
Wenn seine künstlerischen Schöpfungen in der Nachwelt
auch am unmittelbarsten und offensichtlichsten weiterwirken,
so läßt sich doch nicht einmal sagen, daß erfür die Künste, ein-
schließlich der Musik, die er völlig beherrschte, in höherem
Maße begabt gewesen sei als für die exakten Wissenschaften
und deren praktische Verwertung. Schon daß er so viele
Kunstschöpfungen unvollendet ließ, spricht dagegen. Seid-
litz hat daher den Kapiteln, die von Leonardos naturwissen-
schaftlichen Forschungen und seinen theoretischen, tech-
nischen und mechanischen Arbeiten handeln, dieselbe
Sorgfalt gewidmet, wie den natürlich doch überwiegenden
Abschnitten, die uns seine künstlerische Entwicklung vor
Augen führen; und diese technischen Kapitel machen, so-
weit ein Laie es beurteilen kann, durchaus den Eindruck,
als habe der Verfasser sich an der Hand fachmännisch
gebildeter Berater in ihre Grundlagen und ihre Probleme
vertieft. Schon im ersten Bande gehört das Kapitel »Ka-
nalbauten«, im zweiten gehören die Kapitel »Die Kanali-
sierung des Arno«, »Exakte Naturwissenschaften«, »Ange-
wandte Mechanik«, »Biologische Wissenschaften«, und »Er-
fahrungswissenschaft« hierher.

Unzweifelhaft aber ist Leonardo als Schüler Ver-
rocchios von Haus aus doch bildender Künstler gewesen.
Als bildender Künstler aber gehörte er zu den allseitigen
großen Renaissancemeistern. Er war so gut Architekt
wie Bildhauer und Maler. So interessant indessen
die architektonischen Entwürfe sind, die Leonardo hinter-
lassen hat, so wenig können wir an ausgeführten Bau-
werken seine Größe auf diesem Gebiet nachempfinden.
Was Seidlitz in dieser Beziehung ausführt, konnte daher
auch nicht über das von Geymüller Beigebrachte hinaus-
gehen. Auf demGebietederBildhauereiliegt dieSache kaum
anders. Leonardos bildnerische Hauptschöpfung, das Reiter-
denkmal des Francesco Sforza, ging bekanntlich unvollendet
zugrunde. Ein zweites, das des Trivulzio, blieb im Ent-
würfe stecken. Von den gelegentlich erwähnten kleineren
plastischen Werken des Meisters sollen nach der Ansicht
einiger namhafter Kenner hier und dort freilich einige Über-
bleibsel in Gestalt von Reliefs, von Büsten und Köpfen er-
halten sein. Die meisten Leonardoforscher aber stehen mit
 
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