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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 21.1910

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Die Winterausstellung der Sezession in München
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KUNSTCHRONIK

WOCHENSCHRIFT FÜR KUNST UND KUNSTGEWERBE

»»SS KS«»

Verlag von E. A. SEEMANN in Leipzig, Querstraße 13
Neue Folge. XXI. Jahrgang 1909/1910 Nr. 18. 4. März.

Die Kunstchronik erscheint als Beiblatt zur »Zeitschrift für bildende Kunst« monatlich dreimal. Der Jahrgang kostet 8 Mark und umfaßt 40 Nummern.
Die Abonnenten der »Zeitschrift für bildende Kunst« erhalten die Kunstchronik kostenfrei. — Für Zeichnungen, Manuskripte usw., die unverlangt
eingesandt werden, leisten Redaktion und Verlagshandlung keine Gewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E.A.Seemann,
Leipzig, Querstraße 13. Anzeigen 30 Pf. für die dreispaltige Petitzeile, nehmen außer der Verlagshandlung die Annoncenexpeditionen an.

DIE WINTERAUSSTELLUNG
DER SEZESSION IN MÜNCHEN

Noch nicht sehr lange besteht die Einrichtung der
Münchener Sezession, im Winter eine Ausstellung zu ver-
anstalten, die sich aus größeren Kollektionen nur einiger
weniger Künstler (gewöhnlich drei) zusammensetzt, die
dadurch aber Gelegenheit bietet, die Betreffenden wirklich
gründlich kennen zu lernen und ihren Entwickelungsgang
von den ersten Stufen einiger Bedeutung bis zum gegen-
wärtigen Stand ihrer Kunst zu verfolgen. Man muß diese
Idee als sehr glücklich bezeichnen, nicht nur, weil sie dem
Aussteller die Möglichkeit gibt, einmal ganz für sich allein
zu Wort zu kommen, ohne durch etwas seiner Ausdrucks-
weise vollkommen Entgegengesetztes in der nächsten Um-
gebung gestört zu werden, sondern auch, weil sie den Be-
schauer in Ruhe und Sammlung das Vorgeführte in sich
aufnehmen läßt und ihn nicht fortwährend aus einer Emp-
findung in die andere reißt. Da es Voraussetzung zum
Qenuß und Verständnis eines Kunstwerkes ist, daß im Innern
des Betrachters verwandte Saiten mitklingen, wie sie der
Schaffende angeschlagen, und da Kunst nie mit dem bloßen
Verstand erfaßt werden kann, sondern immer empfunden
werden muß, so ist es klar, daß unsere großen Ausstellungen,
wie wir sie alljährlich in Paris, Berlin, München und anderen
Kunstzentren über uns ergehen lassen müssen, in denen
Tausende verschiedener Künstler und Nichtkünstler gesehen
und verstanden sein wollen, eigentlich ein Unding sind, denn
unser Kunstempfinden müßte zum stets wechselnden Cha-
mäleon werden, wollte es in den paar Stunden eines Aus-
stellungsbesuches all das Gesehene wirklich in sich auf-
fassen und voll erkennen. Leider lassen sich aber diese
alljährlichen Ablagerungen künstlerischer Produktion als
ein notwendiges Übel nicht umgehen und so müssen wir
froh sein, wenigstens zeitweise Gelegenheit zu haben,
einzelnen Künstlern in Sammelausstellungen näher zu treten
und ihre Werke in Muße und bedächtiger Betrachtung auf
uns wirken zu lassen.

Hugo Freiherr von Habermann, der verstorbene Schwabe
Otto Reiniger und der Bildhauer Hermann Hahn sind die
drei, deren Werke seit einigen Wochen die Räume des
Kunstausstellungsgebäudes am Königsplatz füllen. Die um-
fangreichste Kollektion istdieHabermannsmitl32Nummern,
größtenteils Ölgemälden, einer kleineren Anzahl von Pastellen
und einigen Zeichnungen. Die Arbeiten erstrecken sich
ihrer Entstehung nach von 1874 bis zum verflossenen Jahr
und lassen, nimmt man noch die Ausstellungen bei Thann-
hauser und Brackl, deren Objekte in der Sezession nicht
mehr Platz gefunden, dazu, den Entwickelungsgang und
die Art des Genannten in erschöpfender Weise erkennen.
Daß Habermann, der als Sohn eines Kavallerieoffiziers 1849
in Dillingen geboren wurde, zuerst Jurist werden wollte,
nach dem Feldzug aber, den er als Landwehroffizier mit-

machte, im Jahre 1871 in die Akademie der bildenden Künste
zu München eintrat, eine sehr starke malerische Begabung
besitzt, zeigt sich schon bei seinen frühesten Werken deut-
lich. Uberhaupt hatte die MünchenerMalerei in den siebziger
Jahren des vergangenen Jahrhunderts ein ziemlich hohes
Niveau inne. Nicht lange vorher waren die Werke der be-
deutenden modernen Franzosen in Süddeutschland bekannt
geworden und der hierbei gestreute Same war überraschend
schnell in der jungen Generation aufgegangen. Nament-
lich Courbets Einfluß machte sich besonders stark bemerk-
bar. Um Victor Müller, den leider viel zu früh verstorbenen
Vorkämpfer einer neuen Kunstanschauung, hatte sich eine
Anzahl junger, bedeutender Talente geschart, deren Namen
heute allgemein bekannt sind, deren Werke damals aber
beim Publikum aufs äußerste verpönt waren. Jedoch nicht
nur diese außerhalb der offiziellen Schulen stehenden Künst-
ler gingen neue Wege, auch an der Akademie gab es zwei
Stätten, in denen man sehr danach trachtete, die Natur mit
anderen Augen anzusehen wie bisher, in denen man auch
Pinsel und Farbe beherrschen lernen wollte, die Klassen
Piloty und Wilhelm Diez. Die vor einiger Zeit veranstalteten
Ausstellungen der Schulen dieser beiden Männer, die manche
Überraschungen brachten, ließen erkennen, daß damals in
München wirklich eine ganze Anzahl junger Künstler malen
konnte, was heute leider verschiedene davon wieder ver-
lernt haben. In diese Zeit und in diesen Kreis fällt nun
die erste Entwickelung Habermanns, der von 1874 — 1880
Schüler Pilotys war. Die Werke dieser Epoche, bei deren
Beurteilung man auch vielederbeiThannhauser ausgestellten
Skizzen heranziehen muß, zeigen ihn ganz in den genannten
Bahnen wandelnd, in eifrigem Ringen um den malerischen
Ausdruck, ohne sich einstweilen stark durch eine persön-
liche Note von den Mitstrebenden zu unterscheiden. Die
Farben, bei denen der Gebrauch von Asphalt sich auch in
dem Erhaltungszustand einzelner Bilder oft unangenehm
bemerkbar macht, sind meist sehr dunkel gehalten, manch-
mal so, daß die Unterscheidung schwer wird. Neben einer
großen Beherrschung des Materials macht sich bereits das
außerordentliche Formgefühl des Künstlers geltend.

Die malerische Behandlung des Gegenstandes und die
Form scheinen auch hauptsächlich sein Interesse in Anspruch
genommen zu haben; weniger scheint ein tief innerliches
Erfassen des Darzustellenden und ein Deuten der mensch-
lichen Psyche in ihren so mannigfaltigen Ausdrucksformen
erstrebt worden zu sein. Ich nenne aus dieser Zeit den
Spanier und den Mönch von 1875, die weiblichen Studien-
köpfe mit dem Barett, das außerordentlich feine Stück einer
sitzenden, schwarzen Dame im Besitz von Frau Hiltrud S.
Converse in Philadelphia, die männliche Studie von 1877
und eine ausgezeichnete Landschaftsstudie im Besitz Toni
Stadlers von 1875. Die Skizzen bei Thannhauser zeigen
geschickt komponierte Entwürfe (einer davon in seinem
 
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