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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 21.1910

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Osborn, Max: Berliner Brief, [2]
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Berliner Brief

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Beobachter als ein Fortschritt erscheinen müssen.
Obendrein begünstigte die Debatte, die der Begründung
des Antragstellers folgte, diese Auffassung; denn der
Zentrumsführer Freiherr von Hertling verband seine
Ablehnung mit den wunderlichsten Ausfällen gegen
»moderne« Bemühungen. Es lohnt vielleicht doch,
die Bemerkungen, die ein hervorragender Vertreter
der größten Partei im Reichstage über die zeit-
genössische Malerei gemacht hat, den Kunstfreunden
hier einmal nach dem stenographischen Bericht näher-
zurücken. »Der Satz,« so meinte Freiherr v. Hert-
ling, »der uns in unserer Jugend so selbstverständlich
schien, daß Kunst und Schönheit zusammengehören,
ist ja längst vergessen. Meine Herren, Sie haben ja
alle, wenn Sie moderne Kunstausstellungen besuchen,
oft genug den Eindruck gehabt, daß Sie sich zwei-
felnd gefragt haben, was soll denn das nun eigent-
lich alles? welche Empfindungen will eigentlich
dieser Künstler hervorrufen? Denn der eine Grund-
satz sollte doch wenigstens bleiben, daß die Kunst
die Aufgabe hat, das Leben des Menschen zu erfreuen.
Aber davon ist längst nicht mehr die Rede. Wenn
Sie sich in den Kunstausstellungen die Orgien in
Blau und Grün ansehen, die dort gelegentlich zutage
treten, so fragen Sie sich, was der Künstler eigentlich
gewollt hat, und kommen dann in der Regel zu dem
Resultat, er hat vielleicht gar nichts gewollt oder
nichts anderes, als dem Publikum zeigen, daß er doch
noch etwas ganz anderes machen könnte oder wollte,
als was vor ihm gemacht ist.« Das tiefe Mitleid,
das man beim Hören und Lesen solcher Worte emp-
fand, führte zu der Annahme, die Resolution, gegen
die der Redner sich wandte, sei ein Produkt liberaler
Kunstpolitik. Umsomehr, als gleich darauf der Abg.
Bindewald, der (als »Porträt- und Landschaftsmaler«,
wie das offizielle Handbuch sagt) der einzige bildende
Künstler im Reichstage ist, sein Eintreten für die
Resolution mit freundlichen und anerkennenden Sätzen
für die Sezessionen verknüpfte. Tatsächlich aber liegen
die Dinge erheblich anders. Denn die Organisation
der römischen Ausstellung, wie sie von der Regierung
in die Wege geleitet ist, indem sie (entsprechend dem
von Italien vorgeschlagenen Regolamento) einen Gene-
ralkommissar ernannte, nämlich Artur Kampf, dem
einzelne Nebenkommissare zur Seite gestellt sind
(Räber für Düsseldorf, Man für München, Landen-
berger für Stuttgart, Schönleber für Karlsruhe), —
diese Form der Organisation entspricht durchaus den
Wünschen und Forderungen zahlreicher einsichtiger
Kunstfreunde. Sie bietet am ehesten eine Gewähr
für das Zustandekommen einer richtigen und glück-
lichen Auswahl. Sintemalen kluge und geschmack-
volle, unabhängige Einzelpersönlichkeiten unter allen
Umständen Kommissionen vorzuziehen sind. Es wird
sich bei einer derartigen Leitung ganz von selbst
machen, daß die Wahl der 300 deutschen Werke,
die vorgesehen sind, unter dem Gesichtspunkt der
Qualität und des Talents geschieht, da sich der Ein-
zelne allen Partei-, Gruppen- und Cliqueneinflüssen
weit eher entziehen kann, als eine aus vielen Köpfen
zusammengesetzte Jury.

Schiefheiten und Winkelzüge überall! Auch in
den Fragen der Gestaltung des Berliner Stadtbildes
zeigen sich die wunderlichsten Widersprüche. Mit
herzlicher Genugtuung und lebhafter Anteilnahme
hat die Öffentlichkeit das Ergebnis des Wettbewerbs
»Groß-Berlin« vernommen, und die preisgekrönten
Entwürfe von Genzmer, Brix und der Hochbahn-
gesellschaft, von Hermann Jansen, von Bruno Möh-
ring und Bruno Schmitz, von denen bei anderer
Gelegenheit noch ausführlich zu reden sein wird,
stellen in der Tat eine imposante künstlerische Arbeit
im Dienste der Städtebaugedanken unserer Zeit dar.
Es scheint ausgeschlossen, daß eine solche Fülle
sorgsam durchdachter Pläne und Einzelvorschläge
ohne Wirkung auf die künftige Organisation des
Wachstums unserer Stadt bleiben könnte, und wir
stehen in dieser wichtigsten Frage vielleicht an einem
Wendepunkt zum Guten. Inzwischen aber wird das
historische Stadtbild Berlins lustig und unbekümmert
weiter zerstört. Der Abbruch der Königskolonnaden
am Alexanderplatz ist nun beschlossene Sache. Damit
wird Berlin eines seiner reizvollsten Bauwerke aus
älterer Zeit beraubt. Denn diese Schmuckarchitektur,
die Carl von Gontard in den Jahren 1777—1780
dort als Vorbau der neuen Steinbrücke über den aus
der Zeit des Großen Kurfürsten stammenden Festungs-
graben (den sogen. »Königsgraben«) errichtete, ge-
hört zu den glücklichsten Schöpfungen der Friederi-
zianischen Epoche. Daß sie fällt, ist überdies völlig
unnötig. Es ist schlechthin unwahr, daß sie »den
Verkehr stört«, und wenn man annimmt, daß dies
später einmal der Fall sein könnte, so hätte es andere
Möglichkeiten gegeben, Vorsorge dagegen zu treffen.
Das Baugelände hinter den Kolonnaden hätte eben
anders behandelt werden müssen. Auf der einen Seite
war es bis vor kurzem frei, auf der andern ist es erst
jetzt für eine Bebauung bestimmt worden (es soll ein
Wertheimsches Warenhaus dorthin). Warum war es
nötig, dabei die schönen und ehrwürdigen Denkmäler
des 18. Jahrhunderts ganz unberücksichtigt zu lassen?
Man kennt das schon in Berlin: der eine Beteiligte
redet sich immer mit dem andern heraus, niemand »ist
es gewesen«, aber die Spitzhacke tritt in Kraft und
ein Stück guter Tradition sinkt nieder. Daß es Mittel
gibt, bedrohte alte Bauwerke noch im letzten Augenblick
zu retten, hat man bei der Heiligen Geistkapelle gesehen.
Freilich, da handelte es sich um eine Kirche.

Am meisten erbosen bei solchen Zerstörungen
die Beschwichtigungsversuche, die mit dem biederen
Versprechen des »Wiederaufbaus an anderer Stelle«
gemacht werden. Auch diesmal ist eine solche Aktion
im Werke: die Königskolonaden sollen auf dem Ter-
rain des alten Botanischen Gartens in Schöneberg
»wiederaufgebaut« werden! Man weiß, was bei
solchen Rekonstruktionen auf fremdem Boden heraus-
kommt, und man hat in Berlin die Sinnlosigkeit dieses
Vorgehens beim »Wiederaufbau« der Gerichtslaube
im Park von Schloß Babelsberg bei Potsdam genug-
sam kennen gelernt. Trotzdem will man auch jetzt
wieder die lästigen Kritiker mit diesem Köder zum
Schweigen bringen, und es scheint tatsächlich, als
 
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