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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 21.1910

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Die Städtebau-Ausstellung
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https://doi.org/10.11588/diglit.5952#0242

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Die Städtebau-Ausstellung

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neu erstehenden Großstädten keine Zeit zur Kritik
ließ, solche Erwägungen einfach beiseite gelegt, bis
1889 Camillo Sitte seinen lauten Warnungsruf er-
schallen ließ, der jetzt erst allgemein verstanden und
beachtet wird. Das Schönste ist dabei, daß wir auf
solche Weise uns zugleich in dem Zauberkreise be-
wegen, wo sich das Künstlerische, Ästhetische mit
dem Praktischen, Technischen, Zweckmäßigen ver-
brüdert, um mit diesen befreundeten Werten gemeinsam
im Zentrum der modernen Kulturgedanken zu münden.

Eine solche Ausstellung wird sobald nicht wieder-
kommen, und es ist dringend erforderlich, daß die
Resultate der gewaltigen Arbeit, die hier geleistet ist,
nicht ohne weiteres wieder in alle Winde zerstreut,
sondern in einer großen Publikation für alle Zeit
festgehalten werden. Zahlreiche Kräfte haben zu dem
glorreichen Gelingen beigetragen; der lebhafteste Dank
aber gebührt wohl Otto March, dem Vater der Groß-
berliner Konkurrenzidee, der mit zäher Ruhe diesen
Plan sowie den größeren der Ausstellung verwirklicht
hat, und Werner Hegemann, der die Riesenmasse der
Kleinarbeit auf seinen Schultern trug. Die Anerkennung
und Bewunderung, die man dem Ausschuß schuldet,
soll nicht verkleinert werden, wenn der einzige Ein-
wand ehrlich ausgesprochen wird, der zu erheben ist:
daß nämlich die Übersichtlichkeit der Anordnung in
manchen Punkten zu wünschen übrig läßt. Das liegt
allerdings zum größten Teil am »Lokal«; denn das
weitläufige Gebäude der Akademie am Steinplatz in
Charlottenburg eignet sich zu allem eher als zu einer
Ausstellung. Eine zusammenhängende Reihe von
großen Sälen war nicht vorhanden, und so mußte
man weit auseinanderliegende Räume in verschiedenen
Stockwerken heranziehen und daneben noch die Vesti-
büle, Korridore, Treppenhäuser ausnutzen. Da soll
freilich der Teufel »übersichtlich« bleiben! . . . Und
trotzdem ist das Publikum in Scharen gekommen;
nicht nur die Fachleute, sondern auch die Laienschaft,
deren Interesse angestachelt werden sollte, und es ist
kein Zweifel, daß sich von dieser Veranstaltung aus
ein allgemeines Empfinden, ein alle Volkskreise durch-
dringendes Verständnis für die unvergleichlich wich-
tigen Probleme verbreiten wird, die hier zur De-
batte stehen.

Die vier Großberliner Preisträger nehmen natür-
lich das Interesse vor allem in Anspruch. Nament-
lich Hermann Jansens Pläne überzeugen. Weil dieser
Architekt tatsächlich in den Grenzen des Möglichen
geblieben ist, das historische Stadtbild respektiert und
seine Zukunftsideen aus dem Bestehenden organisch
entwickelt. Ein außerordentliches Organisationstalent
hat hier mit bedeutendem praktischen und ästhetischen
Sinn das Zentrum der Stadt mit den Vororten ver-
bunden und zu einer kolossalen, von grünem Wald-
und Wiesengürtel eingefaßten Einheit zusammenge-
schlossen, nicht nur die westlichen, sondern auch die
östlichen, südlichen und nördlichen Stadtteile und Vor-
orte, die durch den merkwürdigen Entwickelungsweg
nach Westen hin so schwer vernachlässigt sind und
so ausgezeichnete landschaftliche und architektonische
Möglichkeiten in sich tragen. Querwege und Ring-

wege, Querbahnen und Ringbahnen stellen nach einem
wohldurchdachten System die Verbindungen her.
Jansens Entwürfe für die Bebauung des westlichen
Teiles des Tempelhofer Feldes, seine Verteilung ein-
zelner Stadtzentren von bestimmtem Charakter, seine
Durchbruchsvorschläge sind fast durchweg muster-
gültig. Hier könnte ohne weiteres die frische Arbeit
morgen, ja heute einsetzen. Das Projekt Brix-
Genzmer-Hochbahngesellschaft zeichnet sich vor allem
durch die sorgsame Durcharbeitung der Verkehrs-
linien aus, die Jansens' Arbeit in verschiedenen Teilen
ergänzen, obschon manches dann wieder abzulehnen
Ist, wie die Anlage der großen Bahnhöfe. Bruno
Schmitz-Havestadt-Blum gehen hier anders vor, indem
sie zwei große Eisenbahnzentralen im Nordosten
und im Südwesten weiter in die Peripherie hinaus-
rücken. Nur daß Schmitz, der bei dieser Architekten-
gruppe die Führung hat, nun mit dem alten Stadt-
bilde gar zu souverän umspringt, um in glänzenden
Kohlezeichnungen den Traum einer phantastischen
neuen Weltstadt an der Spree aus dem Boden zu
zaubern. Immerhin, so wenig das im einzelnen durch-
führbar wäre: es ist ein Genuß, der weitab vom All-
tag liegt, diese machtvollen Gebilde einer grandios
schaltenden Baumeistererfindung zu betrachten. Und
man gewinnt die Überzeugung, daß dies Genie nicht
übergangen werden darf, wenn in Zukunft an be-
stimmten Stellen monumentale Mittelpunkte geschaffen
werden sollen. Auch an Möhring-Eberstadt-Petersen,
den Trägern des dritten Preises, wird man bei solchen
Aufgaben nicht vorübergehen dürfen; so wenig wie
an zahlreichen beachtenswerten Vorschlägen ihrer Ent-
würfe für die verkehrstechnische Seite des Problems.

Eine Reihe von Hauptfragen hat alle beschäftigt
— auch die nicht preisgekrönten Konkurrenten, die
gleichfalls viel Gutes und Brauchbares bringen. Zu-
nächst eben jene Bahnhofsfrage. Das große Kreuz
der Entwicklungsschwierigkeit an einer wichtigen
Stelle ist die Lage des Potsdamer und Anhalter Bahn-
hofes im neuen Zentrum Großberlins. Kein Zweifel:
so kann es nicht lange mehr bleiben. Entweder man
muß die Stationen tatsächlich in die Peripherie hinaus-
rücken, oder man muß den Verkehr von den jetzigen
Plätzen in elektrischen Bahnen unterirdisch weit nach
Westen führen, wo die Züge dann erst die Dampfloko-
motive erhalten. Denn der Vorteil, mit den Schienen-
strängen bis in die Stadt vordringen zu können, ist doch
ein ungeheurer; ganz wird man ihn schwerlich aufgeben
wollen. Ein zweites Problem ist das: von der City
nach Westen zu neue Ausfallstraßen zu schaffen —
in den übrigen Quartieren ist das viel leichter und
heute schon im Plan beschlossen. Einmütig verlangen
die Architekten den Durchbruch an einer Stelle der
Wilhelmstraße; entweder im Zuge der Behren- oder
der Französischen Straße. Er muß und wird kommen.
Ähnlicher Themata giebt es mehrere; unmöglich, hier
darauf näher einzugehen.

Lehrreich zum Vergleich ist die benachbarte Aus-
stellung der Stadtanlagen Wiens. In der Mitte steht
das große Modell der Altstadt, das Maler Pendl an-
gefertigt hat, und bei dem die Durchbruchsarbeiten
 
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