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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 21.1910

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Die Städtebau-Ausstellung
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Schleinitz, Otto von: Londoner Brief
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https://doi.org/10.11588/diglit.5952#0243

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46g

Londoner Brief

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der letzten Jahrzehnte durch eine über das Häuser-
gewirr gelegte Glasscheibe mit roten Straßenlinien
angezeigt werden. Verlockend sind die Bilder
und Pläne des Wiener Waldgürtels. Dicht dabei
findet man den Plan zur Umgestaltung des Theater-
platzes in Dresden, wo Erlwein einen Ersatz für das
italienische Dörfchen durch niedrige Bauten schaffen
will, die er mit dem Reiterdenkmal des Königs Georg
verbindet und mit einer breiten Treppe zum Elbkai
und zur neuen Augustusbrücke in Beziehung setzt.
Man schreitet weiter durch Pläne bestehender monu-
mentaler Platzanlagen (Mannheim, Straßburg, St. Louis),
durch die Abteilung der Friedhofsanlagen zu der
Ausstellung des großstädtischen Verkehrs- und Transport-
wesens. Man sieht statistische Vergleichs-Tafeln und
Pläne, die in ihrer kühl rechnenden Sprache ganze
Bände reden. So über die Häufigkeit der Züge und
die Zahl der beförderten Personen auf den Stadt- und
Untergrundbahnen in London und Berlin, wobei man
mit wünschenswerter Klarheit erkennt, wieviel bei uns
auf diesem Gebiet noch geschaffen werden kann.
Andere Tafeln geben die Bevölkerungsdichtigkeit an.
Dabei zeigt sich, daß Paris in der Zusammenpferchung
der Einwohnermassen allerdings den Vogel abschießt,
daß dann aber gleich Berlin kommt, während London,
die sonstigen englischen und die amerikanischen
Städte im ganzen mehr Luft und Licht hereinlassen.
Die Bevölkerungsbewegung im Deutschen Reiche von
1871 — igoö, die sehr instruktiv vorgeführt wird, hat
es zuwege gebracht, daß bei einem allgemeinen Be-
völkerungszuwachs von 40,98 auf 60,64 Millionen
die Zahl der Großstädte von 8 auf 41 und ihre Ein-
wohnerzahl von 1,97 auf 11,51 Millionen gestiegen ist,
während die Landbevölkerung nicht nur relativ, sondern
absolut zurückgegangen ist: von 26,22 auf 25,85 Mil-
lionen! Bei so starker Verschiebung zugunsten der
Großstädte tritt nun die Gartenstadtbewegung als
natürlich regulierende Folgerung ein. Sie ist in der
Ausstellung besonders gut bedacht. Man sieht pracht-
volle Bilder und Pläne aus Amerika, aus England,
aber auch aus Deutschland, wo die Beamten- und
Arbeiterwohnstädte der Firma Krupp den Anfang
machten, und wo sich jetzt in Hellerau bei Dresden
(Gesamtanlage von Rieh. Riemerschmid), in Stockfeld
bei Straßburg, in Rathshof bei Königsberg vorzügliche
Beispiele der neuen Art präsentieren. Auch die Pläne
für den neuen Berliner Vorort Dahlem gehören in
diese Gruppe. Sodann schließen sich an die Belege
für die Bemühungen, Wald- und Parkgürtel um die
Städte zu erhalten (Bremen hat hier Vorzügliches
geleistet; daneben Ulm), die Ausstellung der Stadt-
erweiterungen und Vorortbebauungen, eine histo-
rische Abteilung (in der neben Berlin zumal Paris
glänzend vertreten ist), neue Vorschläge für die Be-
handlung größerer Baublocks mit Gärten und Spiel-
plätzen auf dem Hinterland, eine Sammlung ausge-
wählter Städtebilder von interessanten und vorbild-
lichen Anlagen, eine Rubrik »Kunst der Straße« mit
einer sorgsam gewählten Reihe von Beispielen für
Brunnen, Brücken, Theaterbauten. Nur flüchtige An-
deutungen sind hier möglich.

Will man sich den Gegensatz zwischen den
städtischen Wohnungsverhältnissen in Deutschland
und in Amerika vergegenwärtigen, so beachte man
diese zwei Tatsachen: Berlin müßte, bei bescheidener
Rechnung, etwa 230 ha für Spielplätze besitzen, vor-
handen sind jedoch nur 10 ha, d. h. es fehlen für
220000 Kinder (96 °/0) die nötigen Spielplätze! In
Chicago dagegen hat die Südpark-Kommission in den
letzten Jahren etwa 70 Millionen Mark für die Schaffung
eines zusammenhängenden Systems von 22 Volksparks
verausgabt! Quod erat demonstrandum . . . Hier ist
der Hauptpunkt: Das Hygienische, Zweckmäßige,
Ethische muß in die erste Reihe; dann versteht
sich das Künstlerische, wie das Moralische, immer
von selbst. M. O.

LONDONER BRIEF
König Eduards VII. letzte Handlung bestand darin,
sich an die Spitze der Bewegung zur Schaffung eines
großen Reservefonds zu setzen, um bei außerordent-
lichen Gelegenheiten den Ankauf von Kunstwerken
aus solchen Mitteln bewirken zu können. Seinen
letzten Ausgang verband er mit einem Besuch der
damals noch nicht offiziell eröffneten Ausstellung der
königlichen Akademie. Da der Verstorbene wie über-
haupt in den meisten Dingen, so auch in Sonderheit
in Kunstangelegenheiten ein sehr gesundes und treffen-
des Urteil besaß, so wird er aller Wahrscheinlichkeit
nach über sein dort ausgestelltes und den Ehrenplatz
einnehmendes Porträt von Sir Edward Poynter, dem
Präsidenten der Akademie, entsetzt gewesen sein!
In der langen, mir bekannten Liste der Bildnisse des
Königs vermag ich mich kaum eines minderwertigeren
zu entsinnen. Da dies Gemälde im Auftrage der
Akademie und für sie zur dauernden Erinnerung
angefertigt wurde, so bleibt es doppelt bedauerlich,
daß gerade das vornehmste Kunstinstitut den nach-
folgenden Geschlechtern als Probe seines Könnens ein
so unbefriedigendes Porträt überliefert. Im Beratungs-
zimmer, wo es hängen soll, wird es im Gegensatz zu
seinem Nachbar, dem von Reynolds meisterhaft dar-
gestellten Georg III., in seiner harten Zeichnung, seinem
bleiernen Ton, weder lebendig noch majestätisch, weder
als ein Porträt noch als ein Kunstwerk wirken. Daß
es außerordentlich schwer hält, den Geist, die Seele,
die charakteristischen Eigenschaften, und die hinter einer
gewissen Jovialität ruhende Bedeutung Eduards VII.
bildlich gut zum Ausdruck zu bringen, darüber waltet
kein Zweifel. Allein schon rein äußerlich genommen,
und besonders für eine Kunstakademie, mußte der
Künstler es unterlassen, dem Könige das bloße
Schwert in die Hand zu geben! Dies war nicht das
Symbol, Zeichen oder Mittel für ihn, um zum ge-
wünschten Ziel zu gelangen. Was er erreichte, ver-
dankte er den Künsten des Friedens, seinem weit vor-
ausschauenden Blick, ungewöhnlicher diplomatischer
Geschicklichkeit, Selbstbeherrschung, Ruhe und vor
allem der Gabe, den von einer freundlichen, liebens-
würdigen und wohlwollenden Hülle umgebenen Kern
seines innersten Wesens nur schwer erkennen zu
lassen. Die königliche Akademie, in der die Bildnisse
 
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