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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 21.1910

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Schleinitz, Otto von: Londoner Brief
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https://doi.org/10.11588/diglit.5952#0244

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Londoner Brief

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des Verstorbenen seit 65 Jahren ausgestellt wurden,
und die auf diese Weise in eine fast jährlich wieder-
kehrende, regelmäßige Beziehung zu ihm getreten war,
hat keinen Künstler hervorgebracht, der dem heutigen
Urteil der Nation wirklich gerecht geworden und
bildlich Ausdruck verliehen hat, wenn letztere durch
den Mund der Presse verkündet: Eduard VII. war
nicht nur ein Friedensfürst, sondern auch der größte
König, den England je besaß! Vom englischen Stand-
punkte aus vermag man wenigstens ganz gut den
ersten Teil der Sentenz mit dem dabei verbundenen
Nachruf: »beati pacifi« zu verstehen. Selbstverständlich
ist die »Pax Britannica« und der Friede, den wir
meinen, zweierlei, aber wenn jener uns nicht gefällt,
so müssen wir doch zum Teil die Schuld dafür über-
nehmen, und objektiv die Fähigkeiten des verstorbenen
Herrschers um so höher einschätzen. Als Entschul-
digung und ungenügende Ausrede, warum die Bildnisse
des Königs nicht das geworden sind, was sie hätten
sein sollen, sagen die meisten Künstler: Der König
habe zwar in liebenswürdigster und bereitwilligster
Weise Sitzungen gewährt, jedoch infolge seiner viel-
seitigen Geschäftigkeit seien diese nicht genügend
und von zu kurzer Dauer gewesen. Dem gegen-
über muß jedenfalls der heutigen englischen Künstler-
generation die Tatsache in Erinnerung gebracht werden,
daß die großen Porträtisten Reynolds, Gainsborough
und Romney ihre Meisterwerke fast immer in wenigen,
durchschnittlich nicht mehr wie 30—60 Minuten in
Anspruch nehmenden Sitzungen, vollendeten!

Unter den vielen, im Laufe der Jahre von der
Akademie aufgenommenen Porträts Eduards VII. als
Kind, Knabe und Prinz von Wales sowie als König,
sei es nun in einzelner Figur oder in Gruppendar-
stellungen, will ich um der Gerechtigkeit willen wenig-
stens einige der besseren erwähnen, weil historische
Tatsachen sich daran knüpfen, und endlich entschul-
digend in die Wagschale der Umstand fällt, daß vor
der Thronbesteigung niemand die Bedeutung des
einstigen Regenten geahnt, resp. erkannt hat, oder
auch nur voraussehen konnte. Der Vergleich mit
König Heinrich V. liegt nahe.

Das 1845 von Baxter angefertigte Gemälde »Die
Taufe des Prinzen von Wales« ist das früheste
dieser Werke. Dieser Künstler blieb lange Zeit
vollständig vergessen, allein heute wird er besonders
deshalb wieder bemerkt, weil er sich in England
zuerst eingehend mit dem dann später nach ihm
»Baxter-Prozeß« benannten Farbendruck beschäftigte.
Er kündigte auch den Farbendruck des in Rede ste-
henden Bildes an, aber bisher ist kein Exemplar des-
selben zum Vorschein gekommen. Von Nichteng-
ländern lieferten immerhin gute Bildnisse Angeli (1870)
und Bastien-Lepage (1880), der den Prinzen von Wales
im Holbein-Kostüm darstellte. In chronologischer
Reihenfolge sind die Werke von Winterhalter (1850),
Laurent (1852), Landseer (1854), E. M. Ward (1858),
Richmond (1858) und Gordon (1862) zu nennen.
Richmond gab zuerst allein und ohne Nebenfiguren
ein Einzelporträt des Prinzen von Wales. Zu den
populärsten gehört das von W. P. Frith gemalte Bild,

betitelt: >Die Vermählung des Prinzen von Wales mit
der Prinzessin Alexandra von Dänemark in der St.
Georgs-Kapelle in Windsor«, der nunmehrigen, archi-
tektonisch so schönen Bestattungsstelle des Königs,
die symbolisch Leben und Tod für die Herrscher
Englands verbindet. Es folgen dann: Max Cowper
(1901), in dessen Gemälde die erste Parlamentser-
öffnung des neuen Regenten veranschaulicht wird, und
dann Sir Luke Fildes offizielles Staatsporträt (1902).
Gleichfalls in demselben Jahre entstand das in der
Akademie ausgestellte und als Vorlage für die engli-
schen Briefmarken bestimmte Porträt des Königs von
Fuchs, das linke Profil zeigend. Das Porträt Ge-
orgs V. wird rechts profilseitig zur Anschauung ge-
langen.

Die diesjährige, 142. Ausstellung der Akademie
weist im übrigen den gewöhnlichen Durchschnitts-
wert auf; dem großen Publikum fehlt aber das so-
genannte Jahresbild, unter dem in der Regel ein
Sensationswerk verstanden wird. Es sind eine ganz
beträchtliche Anzahl hübscher Landschaften und einige
hervorragende Porträts, namentlich aus Herkomers
Atelier, ausgestellt, jedoch vermag irgend etwas Neues
oder besonders Interessantes nicht zu fesseln.

Die »Qrafton-Gallery« will augenscheinlich die Erb-
schaft der eingegangenen »New-Gallery« antreten und
theoretisch wenigstens den Gegensatz zu der könig-
lichen Akademie fortsetzen, wenngleich praktisch dies
aus den verschiedensten Gründen sich kaum aufrecht
erhalten läßt. Zurzeit stellt daselbst »Die internationale
Gesellschaft der Bildhauer, Maler und Kupferstecher«
aus. Fortschritt, Impressionismus und Modernität re-
gieren hier. Bedauerlich erscheint es, daß zeitlich
weit zurückliegende und früher schon oft gesehene
Werke abermals dem Publikum vorgeführt werden
dürfen, wenngleich diesen ihr innerer bleibender Wert
in einer großen Zahl von Fällen durchaus nicht ab
gesprochen werden soll. Ich muß mich leider darauf
beschränken, nur wenige der wichtigsten Künstler
hervorzuheben, so von Ausländern: Manet, Vuillard,
Denis, Guerin, Vallaton, Bourdelle, Besnard, Blanche,
Forrain, Monet, Rodin, Yglesias und Zuloaga. Unter
den englischen Künstlern zeichnet sich namentlich
William Nicholson durch ein Porträt Lady Pearsons
aus, über das alle Impressionisten ihre helle Freude
bezeugen würden. Jedenfalls aber könnte z. B. dies
Bild und auch andere ebensogut in der Akademie
wie hier hängen. Gleich wie ehemals die »New-
Gallery«, so bietet auch die Verbindung der inter-
nationalen Künstler jungen aufstrebenden Talenten
den Vorteil, ihre Arbeiten einem größeren Publikum
vor Augen bringen zu können. Ich erwähne noch
Miß Irma Richters wahr empfundene Bilder »Im
Hafen«, »Auf dem Marktplatz« und »Fischerboote«.

Die »Grafton-Gallery« will in ihren Räumen
eine Ausstellung von Gemälden »Schöner Frauen«
veranstalten, ein zwar sehr verheißendes und an-
ziehendes Versprechen, das jedoch insofern etwas
ungläubig stimmt, weil unter ähnlicher Ankündigung
von anderer Seite schon mehrfach herbe Enttäuschungen
bereitet wurden. An die letzte, im Jahre 1908 von
 
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