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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 21.1910

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Schmidt, Karl Eugen: Die Pariser Salons
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https://doi.org/10.11588/diglit.5952#0257

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KUNSTCHRONIK

WOCHENSCHRIFT FÜR KUNST UND KUNSTGEWERBE

Verlag von E. A. SEEMANN in Leipzig, Querstraße 13
Neue Folge. XXI. Jahrgang 1909/1910 Nr. 31. 1. Juli.

Die Kunstchronik erscheint als Beiblatt zur »Zeitschrift für bildende Kunst« monatlich dreimal. Der Jahrgang kostet 8 Mark und umfaßt 40 Nummern.
Die Abonnenten der »Zeitschrift für bildende Kunst« erhalten die Kunstchronik kostenfrei. — Für Zeichnungen, Manuskripte usw., die unverlangt
eingesandt werden, leisten Redaktion und Verlagshandlung keine Gewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E.A.Seemann,
Leipzig, Querstraße 13. Anzeigen 30 Pf. für die dreispaltige Petitzeile, nehmen außer der Verlagshandlung die Annoncenexpeditionen an.

DIE PARISER SALONS

In der Societe nationale nimmt Gaston Latouche
wie im Vorjahre den Mittelpunkt ein, heuer noch mehr
als vor einem Jahre, weil inzwischen der als Maler
herzlich unbedeutende, als Dekorator und Arrangeur
des Salons dagegen wichtige Guillaume Dubufe ge-
storben ist und nunmehr Latouche die innere Ein-
richtung übernommen hat. Dadurch hat sich wenig
oder nichts geändert, und nach wie vor sieht es in
den Pariser Ausstellungen wie in Bildermagazinen der
Kunsthändler aus, wenn auch einige wenige Räume
das Bestreben nach Herstellung eines harmonischen
Ensembles verraten.

Gaston Latouche scheint allmählich zum offiziellen
dekorativen Maler der Republik zu werden, und zu
dieser Wahl kann man den Behörden nur Glück wün-
schen. Schon vor vier Jahren zeigte er ein ausge-
zeichnetes Ensemble dekorativer Malereien, die für das
Elysee bestimmt waren, und vor drei Jahren folgten
drei oder vier herrliche Wandgemälde für das Acker-
bauministerium, und jetzt ist es der Justizminister, dessen
Palais von Latouche ausgeschmückt wird. Das schönste
bei diesen offiziellen Aufträgen ist, daß man dem
Künstler durchaus freie Wahl bei der Wahl seiner
Themen läßt. Mancher könnte zwar finden, daß die
liebestollen Faune, die mit modern gekleideten Damen
an den Ufern schwanenbelebter Teiche inmitten barocker
Parkanlagen sich erlustigen, weder mit Ackerbau noch
mit Justiz noch mit den Regierungssorgen des Präsi-
denten der Republik etwas zu tun haben, und ein
solcher Nörgler hätte ohne jeden Zweifel auch sehr
recht, aber um wieviel anmutiger, graziöser und
schöner wird diese Dekoration die Empfangssäle der
Ministerien und des Elyseepalastes schmücken, als
irgend eine schulmeisterlich ausgedachte und vorge-
schriebene Darstellung der Dame Justitia mit der Wage
in der Hand, der Ceres mit ihren Garben oder etwa
des weisen Numa Pompilius im Zwiegespräch mit der
noch weiseren Egeria. Gaston Latouche, der in St.
Cloud wohnt und sich dort und in Versailles in die
Formen des französischen Barocks verliebt hat, also
daß es für ihn kein anderes Elysium gibt als die
Zauberwelt dieser verträumten Schlösser und Gärten,
würde wahrscheinlich eine solche Schulaufgabe nur
widerwillig und mittelmäßig lösen, wohingegen er
die Sachen, die ihm wirklich liegen, mit einer Glut
der Farbe, einem Reize der Ideen, einer Anmut der

Formen darstellt, wie das kein zweiter lebender Maler
vermöchte. Diese Belebungen der alten Schlösser und
Parke aus der Zeit des Sonnenkönigs gehören mit
zum allerschönsten und vollkommensten, was die deko-
rative Malerei Frankreichs seit Watteau geschaffen hat.
Es ist wahr, daß die goldenen und orangeroten Töne,
die der Künstler besonders liebt, mitunter etwas gar
zu stark brausen, aber das ist wohl nur im Salon
selbst der Fall, wo andere, auch sehr gute Bilder in
ganz anderer und der Wirklichkeit mehr entsprechender
Tonalität, wie heuer die im freien Garten sich ab-
spielende Kinderszene von Martha Stettier, uns aus der
Traumfarbenwelt Latouches herausreißen. Ein weiter
Raum dagegen, der an allen verfügbaren Wänden nur
von diesen Gemälden bedeckt ist, muß warm, reich,
harmonisch und doch zugleich zauberhaft fremd und
herrlich wirken.

Von dieser reichen Farbenpracht kommend, erschei-
nen uns die Bilder, die Maurice Denis ausstellt, gar dürftig
und arm in den Formen wie in der Farbe. In seinem
Bestreben, den Bruder Angelico von Fiesole zu er-
reichen und uns einen solchen Klosterheiligen in unsere
Zeit zu bringen, gelingt es Maurice Denis nur, die
natürliche und, eben weil sie natürlich ist, zu Herzen
gehende Einfalt des seligen Malers in eine gesuchte
und gekünstelte Armseligkeit zu verwandeln, die man
auch einfältignennen mag, aber nicht im nämlichen Sinne
wie die Kunst des Mönches von Fiesole. Als Gegen-
satz zu dem uns umgebenden, dem arglosen Einsiedler-
dasein so schroff widerstehenden Leben mag diese
blutlose Malerei wohl interessieren, aber es fehlt ihr
der kräftige Lebenssaft, der allein zu wahrem Blühen
und Gedeihen helfen kann. Schon Puvis de Cha-
vannes verzichtete etwas allzusehr auf Kraft und Saft,
auf Leben und Blut, aber er entschädigte durch den
überirdischen Adel, durch die wundersame Harmonie,
welche in hoher Poesie seine Gestalten und die um-
gebende Landschaft zusammenschloß. Wie bei Ange-
lico lebte man bei Puvis in einer weltentrückten Traum-
welt, an der nichts gekünstelt, sondern alles echt und
wahr empfunden war. Eben das nämliche läßt sich
auch von der dekorativen Poesie Latouches sagen, und
das gleiche gilt von den Fresken des Hans von Marees
in Neapel, von Besnard und Böcklin. Bei Denis sieht
man wohl, daß er uns in solche hehre Welt versetzen
möchte, aber es gelingt ihm schlecht oder gar nicht,
weil wir allenthalben das Studium und die Kunst be-
 
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