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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 21.1910

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Schmidt, Karl Eugen: Die Pariser Salons
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https://doi.org/10.11588/diglit.5952#0258
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Die Pariser Salons

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merken: die sauren Schweißtropfen, die jedes Kunst-
werk ungenießbar machen.

Ein tüchtiger, aber freilich etwas hausbackener
dekorativer Maler ist Victor Koos, der einen recht
handfesten Musikerolymp als Plafond eines Konzert-
saales gemalt hat: man sieht da Wagner, Berlioz, Schu-
mann, Beethoven, Mozart und andere zwischen be-
deutungsvollen griechischen Tempeln wandeln und
sich unterhalten. Nur ein Teil davon ist ausgestellt,
aber das genügt, um einzusehen, daß die Besitzer dieses
Konzertsaales ehrlich bedient werden, ohne daß wir
sie beneiden müßten. Francois Thevenot hat einen
recht unglücklichen Auftrag erhalten, und an seinem
wie am Beispiele Latouches kann man sehen, wie
sehr es darauf ankommt, daß dem Künstler freie Hand
gelassen werde. Denn auch Latouche hätte mit der
Aufgabe, die man Thevenot stellte, nichts anfangen
können. Thevenot ist ein ausgezeichneter, lange nicht
genug geschätzter Maler, der nicht nur im Pastell an
der Spitze der Pariser Künstler steht, sondern auch im
Porträtfach, als Illustrator und endlich als dekorativer
Maler ganz Vorzügliches leistet oder vielmehr leisten
könnte, wenn er nur einmal einen wirklich schönen
monumentalen Auftrag erhielte. Nun hat der Staat
endlich an ihn gedacht und bestellt bei ihm die An-
kunft des Luftschiffers Bleriot an der englischen Küste,
wo ihm inmitten der Uferhügel ein französischer
Zeitungsberichterstatter entgegeneilt und begrüßend
die Trikolore schwenkt. Aus einem solchen Thema
hätte auch der tüchtigste Meister wenig mehr als eine
riesengroße Zeitungsillustration machen können. Der
französische Staat, der bei dem Künstler überlassener
Wahl des Themas von Thevenot ein Meisterwerk be-
kommen hätte, wird nun Mühe haben, einen Platz
aufzufinden, wo man diese große Illustration unter-
bringen kann, ohne jemand damit zu ärgern. Und
man muß Thevenot bedauern, daß ihm jetzt, wo er
endlich einen großen Auftrag erhielt, die Arbeit durch
das elende Sujet verdorben wurde.

An ausgezeichneten Bildnissen ist kein Mangel,
und an der Spitze wäre wohl wiederum La Gandara
zu nennen, an dessen luft- und lebloser Art man
gewiß allerlei auszusetzen finden kann, der aber doch
ein durch seine vornehme Auffassung, seine aparte
Tonalität und seine distinguirte Zeichnung weit hervor-
ragender Künstler bleibt. Die vornehmen Damen, die
ihr Porträt malen lassen, können wirklich kaum einen
besseren Hofmaler finden als diesen spanischen Pariser,
der die modernen Probiermamsellen mit einem Adel
umhüllt, der direkt von Velasquez herstammt. Auf
jeden Fall sind mir bei aller ihrer mumienhaften Leb-
losigkeit die Gestalten La Gandaras bedeutend lieber
als die seines Nebenbuhlers, des italienischen Parisers
Boldini, so bewundernswürdig dessen Virtuosität auch
sein mag. Boldini ist sozusagen der Seiltänzer der
Malerei, und sein Pinsel führt einen abenteuerlichen
Tanz auf der Leinwand aus. Alles tanzt und hüpft,
nicht nur die Fuß- und Fingerspitzen, die Kleider und
die Augen des Modells, sondern auch die Möbel und
der Fußboden. Man mag sich zu dieser Akrobaten-
kunst stellen wie man will, sicher ist, daß das so

leicht keiner nachmacht, und daß wirklich ein außer-
ordentliches Können dazu gehört, um solche Sarabanden
hinzuknallen.

Nun könnte man noch von Lucien Simon und
Cottet, von Aman-Jean, Raffaelli, Castelucho, Besnard
und fünfzig anderen tüchtigen Künstlern reden, die
mit trefflichen Arbeiten vertreten sind, aber wozu?
Alle diese Leute sind uns bekannt und zeigen seit
Jahren gute, den heurigen in Qualität und Eigenart
entsprechende Arbeiten, und wenn man auf sie ein-
gehen wollte, müßte man ein dickes Buch vollschreiben
oder vielmehr mehrere Bände, sintemalen der Katalog
allein schon einen stattlichen Band füllt.

Der Ordnung halber sei auch noch die Sonder-
ausstellung von Jaques Emile Blanche erwähnt, ob-
gleich sie beträchtlich hinter den Erwartungen zurück-
bleibt, die man an den Namen dieses tüchtigen Porträ-
tisten zu knüpfen pflegt. Auch dem verstorbenen
Maler Guillaume Dubufe hat man einen Saal einge-
räumt. In der Skulptur ist der bogenspannende Her-
kules von Bourdelle die hervorragendste Arbeit. Der
Rodin des nämlichen Künstlers übertreibt das Charak-
teristische so stark, daß die Arbeit schon fast zur Kari-
katur wird, ähnlich wie dies auch bei dem Balzac
Rodins der Fall war.

Nebenan bei den Artistes francais kann man sich
das Wort des alten Spötters Degas nicht aus dem
Sinn schlagen: da ist mehr, also ist es schlechter.
Bei den Artistes francais ist wirklich zu viel Kunst,
zu viele Bilder, zu viele Skulpturen. Alle Denkmäler
der Welt, so weit diese von Paris beherrscht und be-
einflußt wird, werden hier ausgestellt, und man kann
hier in Gips sehen, was nachher in Bronze oder Mar-
mor in Boston, Bukarest, Kairo oder Buenos Aires
aufgestellt wird. Und da schon in Frankreich selbst
viel zu viele langweilige Statuen errichtet werden, so
ist es unerträglich, nun auch noch alle die für Amerika
und die östlichen Mittelmeerländer bestimmten monu-
mentalen Langweiligkeiten hier in Reih und Glied zu
erblicken. Hinter dieser Armee mag wohl auch die
eine oder andere gute Arbeit verborgen sein, aber es
ist mir keine als besonders nennenswert aufgefallen.

Und beinahe ebenso geht es dem nach hervor-
ragenden oder epochemachenden oder doch irgendwie
neuen und originalen Arbeiten fahndenden Besucher
in der Abteilung der Malerei. Dieser Salon ist wirk-
lich der Salon der Anekdote, der im kolossalen
Maßstab ausgeführten Illustrationen, des gemalten fait-
divers. Daß die allermeisten dieser Sachen mit ho-
netter Kunstfertigkeit ausgeführt sind, nützt uns auch
nicht viel, im Gegenteil sehnt man sich ein wenig
nach den Tollheiten der Unabhängigen zurück, an-
gesichts dieser wohlanständigen, zahlungsfähigen und
guterlernten Gesellentüchtigkeit. Staunen muß man
über die Nordamerikaner, die doch eine ganze Reihe
trefflicher Maler haben und nun bei Jean Paul Laurens
ein riesengroßes Wandgemälde bestellen, worauf die
Ubergabe von Yorktown in einem Stile zu sehen ist,
den man nicht anders als den Zinnsoldatenstil nennen
kann. Laurens, der ganz tüchtige akademische Ar-
beiten für das Pantheon, das Pariser Stadthaus und
 
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