Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 21.1910

DOI Artikel:
Ruhemann, Alfred: Brüsseler Brief
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.5952#0273

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
KUNSTCHRONIK

WOCHENSCHRIFT FÜR KUNST UND KUNSTGEWERBE

Verlag von E. A. SEEMANN in Leipzig, Querstraße 13
Neue Folge. XXI. Jahrgang 1909/1910 Nr. 33. 29. Juli.

Die Kunstchronik erscheint als Beibiatt zur »Zeitschrift für bildende Kunst« monatlich dreimal. Der Jahrgang kostet 8 Mark und umfaßt 40 Nummern.
Die Abonnenten der »Zeitschrift für bildende Kunst« erhalten die Kunstchronik kostenfrei. — Für Zeichnungen, Manuskripte usw., die unverlangt
eingesandt werden, leisten Redaktion und Verlagshandlung keine Gewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E.A.Seemann,
Leipzig, Querstraße 13. Anzeigen 30 Pf. für die dreispaltige Petitzeile, nehmen außer der Verlagshandlung die Annoncenexpeditionen an.

BRÜSSELER BRIEF
Die belgischen Salons des verflossenen Winters
und Frühjahrs bewegten sich in demselben Ton, der
sie seit Jahren beherrscht und, leider, gleichförmig er-
scheinen läßt. Wie sich der belgische Künstler gibt,
so bleibt er. Nichts kann ihn zwingen, aus sich her-
aus zu gehen. Er setzt seinen Werken einen Fabrik-
stempel auf, und diesen Stempel, diese Werke erkennt
man auf tausend Schritte. Man wird sich selten darin
irren, man wird aus weitester Entfernung stets erkennen
können, welchen Künstler man vor sich hat. Der
und jener wird dann wohl auch einmal in seiner ge-
wohnten Note einen höheren Ton anschlagen, er wird
von Fall zu Fall einen gelungenen Wurf zu verzeich-
nen haben — eine jede gute Technik wird sich stets
zu einer noch besseren auswachsen können — aber
die bekannte Grundnote bleibt doch dieselbe. Infolge
dieses Umstandes bietet sich selten die Gelegenheit,
von hier aus über die alljährlichen landläufigen Salons
in ausgedehnter Weise berichten zu können. Den
Kunstkennern und Sammlern besagen die bedeutenderen
Namen unter den belgischen Künstlern nichts Neues,
und dem größeren Publikum, das sie auch kennt, ist
es wie den ersteren völlig gleichgültig, ob Herr Khnopff
oder Herr Gilsoul oder Herr so und so sich diesmal
selbst übertroffen oder einmal ein ganz besonders
schönes Bild hervorgebracht haben. So lange keine
wirklichen Offenbarungen zu verzeichnen sind, besser
kein Aufhebens machen und den knappen Raum un-
serer »Kunstchronik« interessanteren Mitteilungen vor-
behalten! Wenn ich heute trotzdem zu einer längeren
Auseinandersetzung das Wort ergreife, so geschieht
es nicht, weil irgendeiner der letzten belgischen Sa-
lons eine Ausnahme von der Regel gemacht und den
nun schon seit so langer Zeit sehnsüchtigst erwarteten
höheren Wurf und die große Überraschung uns ge-
bracht hätte. Ein eingehenderer Bericht zwingt sich
mir lediglich deshalb auf, weil infolge der hiesigen
Weltausstellung sich ein internationaler Salon hier auf-
getan hat, der eine gewisse Beachtung verdient. Um
ihn herum lassen sich dann noch einige andere künst-
lerische Ereignisse streifen, deren Gesamtheit immer-
hin einen gewissen Einblick in das augenblickliche
künstlerische Leben Belgiens und seiner Hauptstadt
gestattet.

Ehe ich zu dieser Materie komme, würde ich es
für ein Unrecht halten, über gewisse voraufgegangene

künstlerische Ereignisse zu schweigen, die jedenfalls
vorteilhaft über das landläufige Niveau der hiesigen
Kunstregungen emporragten. Einmal war es die Son-
derausstellung der Werke unseres Henri Thomas, den
uns eigentlich — der Segen kommt ja stets von draußen
— Paris hat erst kennen lehren. Wir wußten aller-
dings, daß dieser realistische Nachfolger eines Rops,
der der modernen Dirne ein neues Relief zu geben
verstanden, der vor keinem Wagnis in Farbe und
Zeichnung zurückschreckt, seit mehreren Jahren bereits
aus dem Rahmen der belgischen Durchschnittsmalerei
und Durchschnittsschule herausgetreten war. Aber Paris,
wo das Genre von Thomas ganz besonders gefallen
mußte, mußte auch ihm erst den Stempel des Genies
aufdrücken, ehe er in Brüssel volle Anerkennung ge-
funden hat. Nach Thomas wäre dann noch an den
diesmaligen Salon der »Libre Esthetique« zu erinnern,
dessen Begründer und Leiter, Octave Maus, wenigstens
den Mut hat, durch Heranziehung des heterogensten
ausländischen Elementes den Sauerteig des belgischen
Kunststillstandes vorteilhaft aufzurühren. Leider ohne
praktischen Erfolg, denn selten wird ein einheimischer
Künstler vom Auslande eine Lehre annehmen. Daher
dann das ewige Einerlei in der Technik der belgischen
Kunst. Der Salon der »Libre Esthetique« hatte dies-
mal die Entwickelung der Landschaftsmalerei in Belgien
und Frankreich auf sein Programm gesetzt. Ein inter-
essantes und sehr lehrreiches Thema, das nur den
einen Mangel hatte, gezwungenerweise lückenhaft zu
bleiben oder nicht das Beste vom Besten zu bringen.
Weiter folgten noch die Jahressalons der »Art Contem-
porain« in Antwerpen und der »Societe des Beaux Arts«
in Brüssel. Beide wollten uns die Geschichte des
belgischen Porträts an schlagenden Beispielen aufrollen
und beweisen, daß die Porträtkunst, wenn auch nicht
eine Stärke der belgischen Kunst, so doch auch eine
nicht zu gering zu veranschlagende Seite derselben sei.
Beide genannten Salons bildeten entsprechenderweise
daher so gut wie einen einzigen, mit dem alleinigen
Unterschiede, daß die Brüsseler Gesellschaft noch ein
Ensemble von Werken von Emile Wauters und Jean
de la Hoese zusammenstellte und damit eine bemer-
kenswerte künstlerische Tat vollbrachte. Wauters, in
der Tat einer der elegantesten Porträtisten unserer
Zeit, wenngleich auch als Physiognomist nicht immer
sehr glücklich, zeigt, wenn man eine Reihe seiner
Schöpfungen nebeneinander sieht, so recht erst den
 
Annotationen