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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 22.1911

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Schmidt, Karl Eugen: Die Münchener Kunstgewerbler in Paris
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https://doi.org/10.11588/diglit.5953#0015

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Die Münchener Kunstgewerbler in Paris

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Im übrigen sind die Nanziger die einzigen Franzosen,
die man von Rechtswegen mit den Münchenern vergleichen
dürfte, weil sie die einzigen sind, die mit vereinten Kräften
einem gemeinsamen Ziele entgegengearbeitet und einen
einheitlichen Plan ausgeführt haben. Und dieser Vergleich
würde dann allerdings weitaus zugunsten der Münchener
ausfallen. Was nämlich die Münchener Abteilung aus-
zeichnet, das ist der einheitliche Plan eines geschlossenen
Ganzen. Bei den Franzosen hat — abgesehen von der
soeben erwähnten lothringischen Ausnahme — jeder einzelne
Künstler für sich allein gearbeitet, und den allermeisten
haben dabei keine großen Geldmittel zur Verfügung ge-
standen. Wenn man von den Münchenern in die franzö-
sischen Räume kommt, glaubt man, einen Besuch bei den
armen Verwandten zu machen. Das scheint mir aber auch
wirklich das einzige zu sein, wodurch die Münchener sich
vor den Franzosen auszeichnen: die geschlossene Organi-
sation, die Gemeinsamkeit im Handeln, das zielbewußte
gemeinschaftliche Hinarbeiten auf ein einziges Ziel. Dazu
kommt dann noch die Unterstützung, welche die Münchener
ohne Zweifel nicht nur bei den ausführenden Fabrikanten,
sondern auch bei den städtischen und staatlichen Behörden
gefunden haben.

Die Münchener konnten also ein geschlossenes Ganzes
mit ausreichenden Mitteln schaffen, etwa das luxuriöse Heim
eines reichen Mannes mit Vestibül, Empfangssaal, Salon,
Speisezimmer, Bibliothek, Musiksaal, Schlafräumen, Bade-
zimmer, und daran schließt sich eine Sonderausstellung des
Künstlertheaters und eine reiche Kollektion von Arbeiten
der kunstgewerblichen Schulen und der königlichen Por-
zellanmanufaktur. Bei den Franzosen hat jeder für sich
seinen Raum hergerichtet, also das nichts in der Art einer
Gesamtwohnung zustande kam. Ebensowenig wurden den
französischen Künstlern Gelder aus öffentlichen Mitteln zur
Verfügung gestellt, und nicht einmal die Fabrikanten scheinen
sich der Sache angenommen zu haben. Über den mangeln-
den Unternehmungsgeist der französischen Fabrikanten
klagen die Pariser Kunsthandwerker ja oft genug, und sie
haben nicht unrecht. Die französischen Möbelfabrikanten
sind seit beinahe hundert Jahren auf ihre sogenannten
Meubles de style eingeschworen, auf Henri deux und Louis
seize besonders, und dabei bleiben sie. Moderne Zimmer-
einrichtungen sind darum in Frankreich beinahe unbekannt.
Die reichen Leute lassen nicht sowohl neue Möbel machen
als vielmehr von den Händlern möglichst echte alte Stücke
auftreiben, und ein wahrhaft vornehmer und reicher Fran-
zose hat in seiner Wohnung kein Stück, das nicht minde-
stens hundertundzwanzig Jahre alt ist oder doch so alt
aussieht. Die nicht reiche, sondern nur wohlhabende Bour-
geoisie kauft neue Imitationen dieser alten Stilmöbel, und
die geringere Bourgeoisie wie der Arbeiterstand begnügen
sich mit noch schlechteren und billigeren Nachahmungen
dieser Stile, wenn sie nicht mit den schlichten Tischen und
Schränken aus weißem Buchenholz vorlieb nehmen. Von
einer modernen Möbelindustrie ist in Frankreich nicht die
Rede, nur von einer Aufputzung und Nachahmung alter Stile.

Faßt man das zusammen: die fehlende Organisation,
der Mangel an öffentlicher wie an industrieller Unter-
stützung auf französischer Seite, das Vorhandensein und
starke Einwirken dieser Faktoren auf der Seite der Münch-
ner, so darf man sich nicht wundern, wenn der Vergleich
zugunsten der letzteren ausfällt. Eher könnte man sich
darüber wundern, daß der Sieg der Deutschen und die
Niederlage der Franzosen nicht weit entschiedener ausge-
fallen ist. Aber davon ist keine Rede, weder von einem
Siege noch von einer Niederlage, und das zeigt am besten,
was die Franzosen leisten könnten, wenn sie unter glei-
chen Bedingungen wie die Münchner arbeiteten. Sieht

man nämlich ab von dem deutschen Ensemble und dem
französischen Durcheinander, wie von der französischen
Armseligkeit gegenüber dem deutschen Reichtum, dann
findet man, daß jedes einzelne französische Stück den Ver-
gleich mit jeder deutschen Einzelheit trefflich aushält.
Auch zwei oder drei ganze Räume auf der französischen
Seite sind außerordentlich hübsch und werden manchem
Beschauer besser gefallen als die deutschen Räume. Aber
das ist Geschmackssache und hängt außerdem mit dem
Geldbeutel des Beschauers zusammen. Die deutschen
Zimmereinrichtungen sind offenbar auf das reiche kosmo-
politische Publikum berechnet, auf welches es in Paris
einzig und allein ankommt, indem, wie schon ausgeführt,
die reichen Franzosen eine möglichst echte alte Einrich-
tung auch der schönsten neuen weit vorziehen. Die fran-
zösischen Kunstgewerbler denken bei ihren Arbeiten viel
mehr an das kleine Häuflein der sogenannten Kenner und
Dilettanten als an die breite Schicht wohlhabender Leute.

In Deutschland hat sich infolgedessen das moderne
Kunstgewerbe außerordentlich schnell entwickelt, ist in die
breitesten Kreise eingedrungen, hat die sogenannten altdeut-
schen Stilmöbel, die man in Frankreich Henri deux nennt,
gänzlich verdrängt und ist schließlich eine große Industrie
geworden. In Frankreich haben sich die Fabrikanten wie
die Käufer von Anfang an der neuen Bewegung feindlich
gegenübergestellt und auch bei dieser Gelegenheit wieder
einmal den Beweis geliefert, daß das französische Volk
weit zäher am alten festhält als irgend ein anderes, und
daß man trotz Bastillezerstörung und Republikerklärung
in Frankreich letzten Endes überraschend konservativ ist.
Es ist auch durchaus unwahrscheinlich, daß die jetzige
Münchner Ausstellung daran irgend etwas ändern werde.
Sonst müßte ja schon die Weltausstellung von 1900, wo
nicht nur die Deutschen, sondern auch die Engländer mit
weit zahlreicheren modernen Zimmereinrichtungen er-
schienen waren als jetzt die Münchner, den Umschwung
herbeigeführt haben. Damals gab es auch noch einige
Industrielle wie Bing, die sich der modernen Möbelindustrie
zugewandt hatten, aber sie machten so schlechte Geschäfte,
daß sie froh waren, wenn sie sich mit heiler Haut aus der
Geschichte ziehen konnten.

Einzig die Nanziger haben sich dank ihrer, den deut-
schen Einrichtungen ähnlichen Organisation halten können,
und es scheint, als ob die Lothringer wirklich nicht gleich
den anderen Franzosen die alten Stilmöbel den neuen Ein-
richtungen vorzögen, denn ohne eine solche freundliche
Aufnahme bei der wohlhabenden Bourgeoisie wäre auch
das Nanziger Kunstgewerbe ohne Zweifel längst einge-
schlafen. Wenn man nun aber die wirklich recht plumpen
und rundum häßlichen Möbel der Nanziger auf dieser Aus-
stellung sieht, muß man sich im Grunde sehr wundern,
daß gerade diese Sachen sich als lebensfähig erwiesen
haben. Mit diesen Arbeiten kann sich die Münchner Ab-
teilung freilich getrost vergleichen lassen. Wenn man aber
fünf oder sechs der Franzosen, die sich ihr Extrawürstchen
gebraten haben, zu gemeinsamem Handeln vereinigt und
ihnen die Geldmittel und sonstige Unterstützung gewährt
hätte, deren sich die Münchner und wahrscheinlich auch
die Nanziger zu erfreuen hatten, dann wäre die Frage des
Vorranges wahrscheinlich zugunsten der Franzosen ent-
schieden worden.

Das Kunsthandwerk nimmt im heurigen Herbstsalon
einen so großen Raum ein, so daß auch in der Besprechung
Malerei und Skulptur zu kurz kommen müssen. Und doch
haben die Maler einige hervorragende Arbeiten aufzu-
weisen. Maurice Denis hat zum ersten Male eine deko-
rative Malerei ausgestellt, die ihm allgemeinen Beifall ver-
dienen muß. Er hat einen ganzen Saal für einen Freund
 
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