Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 22.1911

DOI Artikel:
Schmidt, Karl Eugen: Pariser Brief
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.5953#0197

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
ACAD.LESEH.

KUNSTCHRONIK

WOCHENSCHRIFT FÜR KUNST UND KUNSTGEWERBE

mm«

Verlag von E. A. SEEMANN In Leipzig, Querstraße 13

Neue Folge. XXII. Jahrgang 1910/1911 Nr. 24. 28. April 1911.

Die Kunstchronik erscheint als Beiblatt zur »Zeitschrift für bildende Kunst« monatlich dreimal. Der Jahrgang kostet 8 Mark und umfaßt 40 Nummern.
Die Abonnenten der »Zeitschrift für bildende Kunst« erhalten die Kunstchronik kostenfrei. — Für Zeichnungen, Manuskripte usw., die unverlangt
eingesandt werden, leisten Redaktion und Verlagshandlung keine Oewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E.A.Seemann,
Leipzig, Querstraße 13. Anzeigen 30 Pf. für die dreispaltige Petitzeile, nehmen außer der Verlagshandlung die Annoncenexpeditionen an.

PARISER BRIEF

Die Unabhängigen, die sonst den Reigen der Früh-
jahrsausstellungen zu eröffnen pflegen, sind diesmal
zurückgeblieben, freilich durch die Not gezwungen.
Weder Staat noch Stadt haben ihnen in diesem Jahre
ein geeignetes Lokal zur Ausstellung überlassen wollen
oder können, und eine Weile schien es, als ob über-
haupt kein Salon der Unabhängigen zustande kommen
solle. Eine solche Eventualität wäre höchst bedauer-
lich gewesen, und vermutlich geht es den meisten
langjährigen Besuchern der Pariser Ausstellungen wie
dem Schreiber dieser Zeilen, der weit lieber die bei-
den großen offiziellen Ausstellungen der Artistes
francais und der Societe nationale missen würde als
den Salon der Unabhängigen. In der Tat ist nichts
ermüdender in seiner wechsellosen Eintönigkeit als
diese offiziellen Kunstausstellungen. Sicherlich sind
sie sehr interessant für den deutschen Künstler oder
Liebhaber, der alle zehn Jahre einmal nach Paris
kommt, wo dann manches neu und überraschend
wirkt. Sieht man diese Veranstaltungen aber alljähr-
lich fünf, zehn, fünfzehn oder gar zwanzig Jahre
lang, so wird die Langeweile Trumpf, und man fühlt
wenig Veranlassung, jedes Jahr zu verzeichnen, was
die einzelnen bekannten Maler ausgestellt haben, zu-
mal man da doch nur wiederholen müßte, was man
schon zwanzigmal gesagt hat. Händler und Publikum,
— wenn nicht eigne Trägheit und Bequemlichkeit —
zwingen den Maler, bei seiner einmal anerkannten
Spezialität zu bleiben und jahraus jahrein so ziemlich
das gleiche Bild zu wiederholen, und elender noch
als ein solches Handwerk ist das des Schriftstellers,
der das Inventar aufnehmen soll. Darum eben liebe
ich die Unabhängigen mehr als die Leute in den
offiziellen Salons. Die Unabhängigen werden zwar,
soweit sie zu Ruhm und Markt gelangen, in fünf,
zehn oder zwanzig Jahren um kein Haar besser sein
als die Offiziellen, sie werden ihre Manier haben und
nicht mehr bei den Unabhängigen, sondern bei den
Artistes frangais oder in der Societe nationale aus-
stellen, aber einstweilen suchen sie noch, und bei
dieser Suche bringt doch jedes Jahr eine oder zwei
neue interessante Erscheinungen, bei denen man gerne
haltmacht.

Im gegenwärtigen Jahre ist die Societe nationale
den behinderten Independants zuvorgekommen. Den
Clou für das Publikum bilden wie immer die kleinen

anzüglichen Scherze von Albert Guillaume, der ein
ebenso genialer Maler wie Zeichner ist und den
Leuten eingeht wie Selterswasser mit Zucker. Vor
seinen Bildern steht das getreue Volk stets in dicken
Haufen geschart, also daß man kämpfen muß wie
ums tägliche Brot, um eines Eckchens bemalter Lein-
wand ansichtig zu werden. In dem neulich eröff-
neten Salon der humoristischen Sezessionisten, —
denn wir haben jetzt auch eine Sezession der Witz-
blattzeichner in Paris —, ist Guillaume nicht ver-
treten, und darum revanchiert er sich kräftig in der
Nationale. Seine Konkurrenten sind gewöhnlich Jean
Veber und Jean Beraud. Wenn man den Lauf der
Welt und der sogenannten Kunst nicht kennte, möchte
man sich gerne ein wenig wundern über die Lauf-
bahn Berauds. Als er vor zwanzig Jahren biblische
Bilder in modernem Gewände malte, hielt man ihn
für einen Neuerer und Bahnbrecher, und Beraud,
Roll, Besnard, Puvis de Chavannes wurden in einem
Atem genannt. Heute glaubt kein Mensch, daß eine
solche Zusammenstellung jemals möglich gewesen
sein soll.

Roll, der so schöne Freilichtstudien gemalt hat
wie nur einer, wird nun auch alt, was schließlich das
einzige Mittel ist, wenn man lange leben will. Er
hat einen mittelamerikanischen Nationalhelden gemalt,
der von den Gobelins als Geschenk der Republik
Frankreich an ihre amerikanische Kollegin ausgeführt
werden soll: der kühne Reiter sieht aus, als ob er
von Detaille wäre, nur nicht so gut gezeichnet. Der
Vorgänger Rolls in der Präsidentschaft der Societe
nationale Carolus Duran ist ihm schon längst auch
im Altwerden vorangegangen, und man kann nur be-
dauern, daß den Meistern der offiziellen Kunst nicht
wie Generälen und anderen Beamten eine Alters-
grenze gesetzt wird, nach welcher sie den Abschied
nehmen müssen. Freilich kann man dagegen Tizian
und Harpignies und viele andere große Künstler an-
führen, die auch mit neunzig Jahren noch tüchtige
Arbeiten lieferten, aber das sind doch immer nur
Ausnahmen, welche die Regel bestärken. Besnard,
der erste Vizepräsident der Gesellschaft, ist nicht ge-
altert, aber er hat doch mit den Jahren seine Ge-
mütsart verändert. Früher dachte er nur daran, uns
durch rauschende Farbenpracht zu entzücken, er
schwelgte ordentlich in brausender Farbenmusik, und
es schien ihm ganz einerlei zu sein, ob er dabei die
 
Annotationen