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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 22.1911

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Wiener Brief
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Wiener Brief

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ragender besonderer Bedeutung. Dagegen muß an-
erkannt werden, daß das Niveau ein hohes, der Durch-
schnitt der malerischen Qualität ein durchaus guter
war. Das zeigte sich vor allem in einer großen Reihe
ausgezeichneter Interieurs und Stilleben, von denen
einige weit über dem gewöhnlichen Durchschnitt
standen. Ich nenne die Interieurs von Rud. Nißl,
besonders das Rokoko-Interieur von einer Menzelschen
Delikatesse, die niederösterreichischen Bauernstuben
mit ihren derben Farben von Leonh. Schuller, die
köstlichen Marionetten von Max Lenz, die »Blaue
Vase« von Abrah. Neumann, und die Frucht- und
Blumenstücke von Herrn. Grom-Rottmayer, Ant. Kersch-
baum, Louise Frankel-Hahn und Grete Wien-Veit.
Daß gerade das Stilleben oder die stillebenartig be-
handelte Landschaft und das Porträt (ich nenne die
Landschaften von Max Lenz, die drei delikaten Por-
träts von Schmoll von Eisenwerth) die tüchtigsten
Künstler interessieren und daß gerade hier die besten
Leistungen entstehen, ist kein Zufall, sondern natür-
liche Entwickelung. Eine Zeit, die nicht mehr auf
die zeichnerischen oder plastisch-räumlichen Qualitäten
in der Malerei Gewicht legt, sondern den rein male-
rischen, optischen Qualitäten nachgeht, wird an dem
reinen Stück Malerei, am sonst interesselosen Objekt
lernen und an der gelungenen Bewältigung des
Problems seine Freude haben. In allen Zeiten, wo
die optische »reine« Malerei besonders hoch stand,
bei den Römern, im 17. Jahrhundert, bei den Fran-
zosen des 19. Jahrhunderts bemühten sich die Besten
um ähnliche Aufgaben. Diese Tatsache beweist schon,
daß man diese Künstler nicht mit dem geringschätzigen
Wort »Techniker« abtun darf. Ein Rosenbusch von
Manet hat für die Entwicklung der Malerei eine
größere Bedeutung als die riesigen historischen Fresken
oder die großen Idealgemälde jener Zeit. In diesem
Sinne sind auch die Arbeiten eines jungen, bisher un-
bekannten Künstlers, Felix Albrecht Harta, die gewiß
zum Bedeutendsten der Ausstellung gehörten, einzu-
werfen. In einigen Bildern, besonders in der »Grünen
Schaukel«, zeigt sich zwar ein starker Einschlag von
van Gogh, in seinen letzten Bildern, z. B. in der
»Winterlandschaft aus Ober-St. Veit«, geht er in den
Bahnen eines noch jüngeren Künstlers, Oskar Ko-
koschka (vgl. Kunstchronik Nr. 17, Sp. 265), aber aus
seinen Brügger Bildern und vor allem wieder aus
seinen beiden Stilleben (eines mit Fischen und eines mit
einem gerupften Huhn) spricht eine derart ursprüng-
liche und temperamentvolle Kraft, neue Probleme an-
zupacken und durchzuführen, daß man mit Vertrauen
und Hoffnung seiner weiteren Entwicklung entgegen-
sehen kann.

Den stärksten und unmittelbarsten Talenten pflegte
man sonst in den Ausstellungen der Vereinigung
»Hagenbund« zu begegnen. Diesmal war man einiger-
maßen enttäuscht. Die besten Bilder kamen diesmal
von auswärts, so die in brennenden Farben leuchten-
den Stilleben von Gustav Gwozdecki (Paris), die
merkwürdig schematisierten und doch in ihrer schein-
baren Primitivität raffinierten Werke des Ungarn Lenö
Remsey (zwei Porträts und Magdalene zu Füßen

Christi), die unter van Goghs Einfluß entstandenen
Marinen von Wenzel Hablik (Weimar) und endlich
eine Reihe von Bildern des jungen Tschechen Jakub
Obrovsky. Der letztgenannte hat in manchen Arbeiten
noch mit der mehr zeichnerischen Manier seines
Meisters Svabinsky zu kämpfen, von Svabinsky stammen
auch die kräftigen und doch kalten anilinartigen Farben
(besonders beim Bilde »Zigeuner im Grünen«); in
einigen Bildern, wie in der Landschaft mit Staffage,
zeigt sich aber ein höchst beachtenswertes Streben
zu einem neuen großfigurigen Idealbilde zu gelangen.
Unter den Plastiken sind die Arbeiten von Karl Ste-
molak zu nennen, die freilich nicht über das hinaus-
gehen, was Hanak uns besser gibt.

Bei dem schwachen Interesse, das die Kunstver-
einigungen fremder Kunst zuwenden, bleibt es den
Kunstsalons überlassen, die Vermittler zu bilden. Über
die bedeutende Tätigkeit der Galerie Miethke, die in
kunstpädagogischer Hinsicht weit über die Tätigkeit
einer Kunsthandlung hinausgeht, ist fallweise be-
richtet worden. Der Salon Miethke ist aber auch
deshalb wichtig, weil er der Vermittler zwischen einer
Gruppe unabhängiger Künstler, der sogenannten
»Klimtgruppe«, und dem Publikum ist. Zuletzt wurde
eine Kollektivausstellung von Bildern Kolo Mosers
aus den letzten Jahren veranstaltet. Moser hatte noch
nie seine Bilder öffentlich gezeigt, um so interessanter
war die Schau. Die Scheu des bedeutenden Archi-
tekten und Kunstgewerblers, als Maler vor die Öffent-
lichkeit zu treten, entsprang vielleicht einer strengen
Selbstkritik, die diese Werke nicht allzu hoch ein-
schätzt. Man sieht die verschiedensten Einflüsse, die
oft glücklich verarbeitet sind, besonders in manchen
Stilleben, im allgemeinen wird man aber dabei bleiben,
in Kolo Moser auch fernerhin den bedeutenden Kanst-
gewerbler zu erblicken. Auch in der Galerie Arnot
hat man in den letzten Ausstellungen manche interes-
sante Bilder, besonders französische Provenienz sehen
können.

Am 13. Juli wurde hier eine seltene Feier be-
gangen. Oberbaurat Professor Otto Wagner hat seinen
siebzigsten Geburtstag gefeiert. Die meisten, die das
hören, werden erstaunt sein zu hören, daß der Mann,
der noch heute ein Objekt heißester Liebe und tiefsten
Hasses ist, den die jungen und jüngsten österreichi-
schen Architekten nicht nur als Lehrer und Meister,
sondern auch als einen der Ihren verehren und der
in unerschöpflicher Arbeitskraft an den größten Auf-
gaben schafft, bereits in so hohem Alter steht. Es
zeigt sich wieder, daß ein Genie nicht an Jahre ge-
bunden ist, daß ein wirklich Großer kein Abwärts
kennt, daß seine Entwicklung nur mit dem Tode ein
Ende hat. Es ist bewunderungswürdig, die Entwick-
lung dieses Architekten an der Hand seiner Werke
zu verfolgen. Ein Schüler van der Nülls und Siccards-
burgs ist er in einer Periode aufgewachsen, die im
»Stilbauen« ihr Heil und ihren Ruhm sah. Auch
seine ersten Bauten sind im Stile der italienischen
Renaissance gehalten. Dann aber befreite er sich
langsam von diesen Fesseln und versuchte es, aus
dem Zwecke der Bauten heraus eine neue Baukunst
 
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