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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 23.1912

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Haupt, Richard: Die Kunst in Gotland
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https://doi.org/10.11588/diglit.5954#0116

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KUNSTCHRONIK

WOCHENSCHRIFT FÜR KUNST UND KUNSTGEWERBE

Verlag von E. A. SEEMANN in Leipzig, Querstraße 13

Neue Folge. XXIII. Jahrgang

1911/1912

Nr. 14. 26. Januar 1912.

Die Kunstchronik erscheint als Beiblatt zur »Zeitschrift für bildende Kunst« monatlich dreimal. Der Jahrgang kostet 8 Mark und umfaßt 40 Nummern.
Die Abonnenten der »Zeitschrift für bildende Kunst« erhalten die Kunstchronik kostenfrei. — Für Zeichnungen, Manuskripte usw., die unverlangt
eingesandt werden, leisten Redaktion und Verlagshandlung keine Gewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E.A.Seemann,
Leipzig, Querstraße 13. Anzeigen 30 Pf. für die dreispaltige Petitzeile, nehmen außer der Verlagshandlung die Annoncenexpeditionen an.

DIE KUNST IN GOTLAND

Ringsum an unseren Gestaden der Ostsee in breitem
Gürtel stehen die Fragezeichen. Taufsteine, Weihbecken,
Säulen, Feldkreuze, Denk- und Grabsteine, Bausteine. Ein
weißgrauer, zur Zerklüftung neigender Kalkstein, oder
dichter roter, oder auch ein schöner rotbunter Marmor.
Solcherlei Steine gibt es im Boden aller dieser Länder
nicht. Und sie haben auch keinen Kalk zum Mauern.

Aber solche Steine gibt es auf der Insel Gotland.
Und sie war schon in grauen Zeiten ein Mittelpunkt des
Ostseeverkehrs, von dem und zu dem er seine Richtungen
nahm auf allen Seiten.

Ein Stück von gotländischem Kalkstein ist im Schutte
der uralten Altenlübecker Kirche gefunden. Aus Kalkstein
von Ootland ist das Petriportal am Dome zu Schleswig
(etwa 1140), ist daselbst der Dreisitz zum Teil (nach 1260),
sind in Schleswig 27 Taufsteine, in Holstein und Lauen-
burg 16, und ungezählte weiter nach dem Osten hin. Die
Lübecker Marienkirche hat daraus Portale und Sockel. Ein
ganz eigenartiges Portal ist am Heiligengeistspital eben-
dort. Zahllose Klöster haben ihre Säulen mit den eigen-
tümlichen Kugelknospenknäufen nur von Gotland, zahl-
reiche Kirchen einzelne Teile. Es gibt überhaupt einen
langen Zeitraum hindurch, vom groben Granit abgesehen,
keinen anderen Haustein als den aus Gotland geholten.

Daß das Steinhauen dort auf Gotland blühte, und zwar
in Zeiten, da man im Dänischen Kirchen aus Lehm, Granit,
Kalksinter baute, und da der Ziegelbau seinen Anfang
nahm, darauf wirft ein Licht die Nachricht, daß 1185, da
die Deutschen anfingen sich in Livland festzusetzen, die
Steinhauer für die Steinbauten aus Gotland geholt wurden.
Von da und nirgend sonst hat man nach allen Seiten den
Mörtelkalk bezogen. So der große Waldemar von Däne-
mark (1158—82), da er die Dannewerks-Mauer baute.

Für jeden, der sich in diesen Landen mit der Ge-
schichte der Baukunst abgibt, und für die Geschichte von
Hunderten von Orten, ist ein Fortschritt, der Erkenntnis zu
erhoffen aus der Lösung der Frage nach der Art der Be-
ziehungen zu Gotland, und nach dem Verhältnis der ver-
schiedenen Arbeiten aus gotländischem Steine (es kommt
auch Sandstein vor, so zu Stargard i. P.) zueinander und
zu ihrem Heimlande. In den Kreis der gleichen Unter-
suchung gehört daneben auch eine Erforschung der Kunst-
geschichte der Insel selbst, unter besonderer Berücksich-
tigung jener Beziehungen.

Es wäre also einerseits der gesamte Bestand außer-
halb Gotlands festzustellen. Das ist für Dänemark und
alle unsere deutschen Ostseelande jetzt bereits möglich;
dank dem Fortschreiten der Verzeichnung der Denkmäler
stehen die Zeichen, die auf Gotland deuten, für die For-
schung bereit.

Für die anderseits vorzunehmende gründliche Durch-
forschung der Insel selber ist gerade jetzt ein guter Schritt
getan. Dr. J. Roosval hat es unternommen, den vorhandenen
Bestand an Kirchen neu zu durchmustern und hat uns das
Ergebnis in einem sehr schönen Buche vorgelegt1). Wir
begrüßen es mit besonderer Freude und wollen im nach-
folgenden etwas über den Inhalt und die daraus zu
ziehende Belehrung mitteilen.

Die Insel ist an Kirchen reich. Von den städtischen,
in der Stadt Wisby, abgesehen, sind ihrer 91. Nur ganz
wenige sind gründlich verdorben. Die andern bieten der
Betrachtung einen außerordentlich umfangreichen Stoff.

Wer die Baukunst der dänischen Länder und auch
Holsteins etwas kennt, wo die Zahl der romanischen
Kirchen überwältigend ist, kommt mit einer Erwartung
nach Gotland, die sich nicht im geringsten erfüllt. Nach
dem, was uns alle namhaften Denkmäler sagen, hat die
gotländische Baukunst fast ausschließlich im 13. und 14.
Jahrhundert geblüht.

Auswärtige Einflüsse haben wohl in dieser Blütezeit
nach der Stadt hereingespielt, wie das bei ihrer Stellung
als Hansestadt und bei den Beziehungen ihrer Bevölke-
rung, namentlich nach Westfalen hin, nicht anders sein
konnte, und von ihr ist dann davon manches weiter aufs
Land hinausgestrahlt. Ein anderer Angriffspunkt für ge-
wisse ausländische, namentlich zisterziensische Einflüsse
ist die Abtei Roma (gegründet 1164) gewesen. Im ganzen
aber finden wir die Insel als ein Gebiet, das in seiner
Abgeschlossenheit, bei einer sehr selbständigen Bevölke-
rung und im Besitze der trefflichsten Bausteine, eine ganz
eigenartige Richtung der Baukunst herausgebildet und zähe
bewahrt hat. Das Christentum soll zuerst, im 11. Jahr-
hundert, aus Norwegen gekommen sein. Sicher ist, daß
eine ganze Reihe von Motiven von romanischer Bau- und
Formenkunst hier begierig und mit Verstand aufgenommen
worden ist. Wie es aber in Deutschland enggeschlossene
Bezirke gibt, deren Dialekte noch auf dem Standpunkte
des Althochdeutschen stehen, so hat man sich hier in
engem Kreise herumgedreht. Allerdings hat der runde
Bogen dem spitzen mit der Zeit weichen müssen, über-
haupt die Gotik sich nicht ausschließen lassen; aber die
Formen und die Gedanken des romanischen und des Über-
gangsstils sind immer wieder hereingedrungen und hervor-
gebrochen, bis zu dem jähen und alles abschließenden
Ausgange, den die Verwüstung und Eroberung der Insel
durch Waldemar Atterdag von Dänemark 1361 herbei-
führte. Da sind noch im 14. Jahrhundert wirklich Säulen

1) Die Kirchen Gotlands. Ein Beitrag zur mittelalter-
lichen Kunstgeschichte Schwedens. Von Johnny Roosval.
231 Seiten. Gr. 8°. Mit zahlreichen Illustrationen. (Leipzig,
E. A. Seemann.) M. 20.—.
 
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