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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 23.1912

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Literatur

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Daß der Verfasser die ältere ostasiatische Landschaft
außer Betracht läßt, ist vollauf gerechtfertigt durch den
Umstand, daß Ostasien erst sehr spät von Einfluß auf die
westliche Entwicklung wird. Ja, wir glauben sogar, daß
es überflüssig war, wenn der Verfasser sich mit der Kunst
des Euphrat- und Nillandes beschäftigte, da trotz Jagd-
darstellungen, Architekturen, ja selbst Terrain und vereinzelt
Vegetabilischem von Landschaft im eigentlichem Sinne
keine Rede ist. Erscheint doch selbst die landschaftliche
Bedeutung der ältesten Griechenkunst (Kreta und Mykenä)
überschätzt. Noch im historischen Hellas ist die Kunst
fast ganz an die Menschendarstellung geknüpft, wenn auch
selbst in der Vasenmalerei gelegentlich landschaftliche
Hintergründe, freilich ohne Spur von Perspektive, versucht
werden müssen, um dem Gegenstand gerecht werden zu
können. Monumentale Wandmalerei mit landschaftlichen
Gründen wird zwar in klassischen Berichten erwähnt, ist
aber leider nicht erhalten. Der berühmte Bilderzyklus der
Lesche der Knidier zu Delphi, der übrigens nicht allein
steht, läßt auf landschaftliche Gründe beiderseits von den
Figurengruppen schließen, wobei aber an Tiefenwirkung
durch Unterscheidung von Raumzonen nicht zu denken ist
(Übereinander statt perspektivischem Hintereinander). Illu-
sionsmalerei tritt erst in der Szenenkunst des Agatharchos
von Samos in Kraft, welche, wenn auch zunächst auf archi-
tektonische Darstellungen beschränkt, nicht ohne perspek-
tivische Wiedergabe gedacht werden kann. Zu breiterer
Anwendung derselben scheint es erst in hellenistischer und
der damit zusammenhängenden römischen Kaiserzeit in
der Wandmalerei gekommen zu sein. Das Figürliche tritt
dann auch gelegentlich als Staffage zurück, wie dies die
esquilinischen Odysseelandschaften der Vatikanischen Biblio-
thek zur Erscheinung bringen. Das Landschaftsbild nimmt
aber immer mehr dekorativen Charakter an und wird in
der Wandmalerei der Wohnräume und Gräber flüchtig und
summarisch. Die Landschaft als organisches Ganze ver-
mochte den antiken Maler nicht in gleicher Weise zu inter-
essieren, wie die Menschen und Tierwelt.

Das Mittelalter zeigt fast ein Jahrtausend lang Rück-
schritt oder besten Falles Reproduktion antiker Vorbilder.
So die Virgilhandschrift der Vaticana oder die Ilias der
Ambrosiana. Höher steht die Wiener Genesishandschrift,
der es nicht an plastischer Modellierung fehlt. Am höchsten
aber das Pariser Psalter aus dem 10. Jahrhundert, Bibl.
Nat. cod. gr. 13g. Im germanischen Norden ist im Gegen-
satz zu den Mosaiken Italiens von Wandmalerei der karo-
lingischen Periode nichts erhalten, und an den Miniaturen
fast nichts Landschaftliches, während in der ottonischen
Periode systematisch gemusterte oder goldene Hintergründe
an die Stelle der Landschaft treten. Unter den Wand-
malereien nimmt S. Georg in Reichenau-Oberzell die erste
Stelle ein, ohne übrigens in der Landschaft Erhebliches
darzubieten. Nicht viel mehr leistet die spätere romanische
Epoche und erst im gotischen Zeitalter beginnt in Frank-
reich die Emanzipierung von der leeren byzantinischen
Schablone zugunsten einer naturgemäßeren Darstellung
von Erdformen und Bäumen. Während in Deutschland
die Manessehandschrift von 1330 (Universitätsbibliothek
Heidelberg) wenigstens nach Charakterisierung des Laub-
werks ringt, geht der französische Miniaturist der 1375
vollendeten Übersetzung des Augustinus in Paris bereits
an die perspektivische Vertiefung des Bildraumes, worin
der Handschriftenschatz Philipps des Kühnen von Burgund
weitere Erfolge erzielt.

Aber weit voran ging Italien in der Wandkunst, in
welcher Franz von Assisi, Dante, Petrarca, Boccaccio durch
ihr Naturgefühl dem Einzug der Natur in die Malerei den
Weg bahnen. Der architektonische und landschaftliche

Hintergrund wird mit Giotto zur Regel, freilich nicht in
unmittelbarer Wiedergabe eines bestimmten Naturaus-
schnittes, sondern in Typen, nicht als Stimmungsfaktor,
sondern als füllende Komposition ohne inneren Zusammen-
schluß mit der figürlichen Darstellung. Noch weniger als
Oiotto stellten die Sienesen die Raumprobleme in den
Dienst der Erzählung, wenn auch Ambr. Lorenzetti in der
architektonischen Szenerie Erhebliches leistet. Einige tos-
kanische Schöpfungen heben sich jedoch vorteilhaft ab von
der relativen Leere der Giottesken: so der Triumph des
Todes und die Anachoreten im Campo santo zu Pisa und
die Gemälde der spanischen Kapelle in S. Maria Novella
zu Florenz.

Im Norden war den schönen burgundisch-niederlän-
dischen Livres d'heures, deren Kalenderbilder schon zu
lebendigen Veduten geworden, durch die Gebrüder van
Eyck eine glänzende Tafelmalerei gefolgt, welche zwar
noch zu keinem organischen Ganzen gelangte, aber durch
den Eintritt der Ölfarbe in den Malmittelkreis eine tonigere
Naturwahrheit begünstigte. Erheblichen Vorschub leistete
den Bestrebungen Jan van Eycks die holländische Land-
schaftschule besonders durch Dirk Bouts und Geertgen
van Harlem, anmutig ergänzt durch den in Brügge tätigen
Deutschen (Mainzer?) Hans Memling. Die Meister des
Breviarium Grimani der Markusbibliothek zu Venedig
zeigen ähnliche Bestrebungen und verwandtes Beiwerk
auch die französischen Miniatur- und Tafelmeister Jean
Fouquet von Tours, Enguerrand Charonton von Laon, Nie.
Froment von Aix und Simon Marmion von Amiens.

Deutschland bleibt etwas zurück, doch dürfte der Ver-
fasser den Lucas Moser von Weil und den in Ulm tätigen
Hans Multscher unterschätzen. Obenan stand damals der
Schweizer (?) Konrad Witz durch seine Raumbehandlung
und Beleuchtungseffekte, die der Verfasser zutreffend
würdigt, wie der schwäbische Stecher Martin Schongauer,
im Kölner Gebiet der Meister des Marienlebens, dem sich
jedoch die Meister der hl. Sippe und von S. Severin nicht
gleichwertig anschließen. Auch die Nürnberger Hans
Pleydenwurff und Mich. Wohlgemut bringen es zu keinen
neuen landschaftlichen Werten.

In Italien steht der landschaftliche Hintergrund im
Quattrocento seit Masaccio beträchtlich über jenem der
Giottesken. Des Meisters Ausmalung der Brancacci-Kapelle
im Carmine zu Florenz zeigt wirklichkeitsgemäße Raum-
durchbildung mit Licht und Luft als verbindende, trennende
und gliedernde Faktoren. Er ist der neue Raumbildner
und Vertreter des sympathetischen Naturgefühls, dem das
florentinische und umbrische Quattrocento folgt, teils die
Perspektive, teils die Stimmung und poetische Natur-
behandlung kultivierend. Licht- und Luftwirkung steigerte
der Umbrer Pier della Francesca, so daß er der Ahnherr
der Freilichtmalerei genannt werden konnte. Jeder der
großen florentinischen Quattrocentisten trug zur Weiterent-
wicklung bei, wie auf den Spuren des Gentile da Fabriano
die Umbrer bis Perugino der Stimmung zunehmend Rech-
nung trugen. In Florenz erscheinen besonders Filippo
Lippi und Sandro Botticelli als die Maler der Naturbeseelung.

An der Schwelle des Cinquecento steht Fra Barto-
lommeo. Des Frate großzügige Andachtskunst findet im
architektonischen Hintergrund Angemesseneres als in der
Landschaft, wenn er auch in dieser den geistigen Gehalt
der Szene in lebendiger Empfindung aufzunehmen, zu ver-
stärken und zu einem neuen, inneren Verhältnis zu ver-
tiefen strebt. In Lionardo, dem Denker und Forscher,
geht auch der Dichter Hand in Hand. Dazu gehören als
Orundfaktoren Farbe, Licht und Schatten: Lionardo wird
zum bahnbrechenden Meister des Helldunkels und erweist
sich durch seine zauberhaft poetischen Lichtwirkungen als
 
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