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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 23.1912

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Schumann, Paul: Ausstellung für Kunstunterricht, Zeichnen und angewandte Kunst Dresden 1912
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https://doi.org/10.11588/diglit.5954#0328

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633

Ausstellung für Kunstunterricht,

Zeichnen usw. Dresden igi2

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Flächen sind die Kennzeichen der Lokomotiven,
Wagen, Häuser, Türme usw., die unter den Händen
seiner Schüler entstehen. Dieser Kinderkunst darf
man nachrühmen, daß sie dem kindlichen Wollen
und Können, der Fähigkeit des Kindes, die großen,
augenfälligen Formen zu sehen, durchaus entgegen-
kommt und daß sie von schädlicher Verlinderung
und Mißleitung des Interesses weit entfernt ist. Eine
Gesamtleistung auf diesem Gebiete hatte das fürstliche
Landesseminar zu Rudolstadt ausgestellt: eine Ecke
einer Bauernstube für den Zeichensaal, deren Möbel
als gemeinsame Arbeit der Schülerwerkstatt im Jahre
1911/12 hergestellt und durch einige Zutaten, näm-
lich Erzeugnisse heimatlichen Gewerbefleißes zum
lebendig wirkenden Gesamtbild ergänzt waren. Ein
noch zweifelhafter Versuch, die Werkstattübungen in
Fühlung mit dem Zeichenunterricht in den Dienst der
Heimatkunde und der Heimatpflege zu stellen. Eine
vollständige Werkstatt für Schülerübungen an höheren
Lehranstalten hatten daneben die Dresdner Zeichen-
lehrer P. Groß und Fritz Hildebrand aufgestellt, ein-
gerichtet nach den Grundsätzen, welche diese beiden
Förderer des Werkunterrichts in dem Buche »Ge-
schmackbildende Werkstattübungen« (Leipzig, Dürr)auf-
gestellt haben. Die ausgestellten Werkzeuge und Hilfs-
maschinen bezogen sich auf Holzbearbeitung, Ver-
arbeitung von Papier und Pappe, Metallarbeit, Buch-
und Kunstdruck, Photographie. Die beiden Lehrer,
die diesen Unterricht an der Annenschule (Realgym-
nasium) und an der Oberrealschule zu Dresden
eingeführt haben und eifrig fördern, machen mit Recht
darauf aufmerksam, daß es sich nicht empfiehlt, die
ganze Fülle der Techniken an höheren Schulen auf
einmal einzuführen, sondern sie sozusagen allmählich
zu erobern. Die mit ausgestellten Arbeiten der beiden
Schulen (sowie die Osterausstellungen, die wir gesehen
haben) zeigen, wie eifrig die Schüler auf diese An-
regungen eingehen und wie segensreich der Unterricht
ist, der die Handfertigkeit, das technische Geschick
fördert und die Achtung vor Handwerk und Technik
weckt und trägt. Auch das Großherzogliche Lehrer-
seminar zu Weimar gewährte die gleiche Erfahrung:
plastische Versuche, Linoleumschnitte, Lithographien
usw., alle nach eigener Wahl und ohne Korrektur
von den Schülern außerhalb des Unterrichts gefertigt,
zeigten, wie anregend der Unterricht sein muß, um
die Schüler zu solcher freier Betätigung zu veranlassen.

Die umfängliche Ausstellung der Schulen des
Auslandes gab die willkommene Möglichkeit des
Vergleiches mit Deutschland. Mancherlei Bemerkungen
drängten sich dabei auf. Vor allem die unerfreuliche
Beobachtung, daß die volkstümliche Eigenart fast
überall zurückgeht und einer internationalen Gleichheit
der Auffassung und Lebensweise weicht, die die Welt
immer einförmiger und langweiliger machen muß.
In drastischer Weise sprach Prof. Karl Groß in dem
erwähnten Vortrag von einem »charakterlosen, inter-
nationalen Stilisierungswahnsinn«. Schon in Hamburg
fängt das an: die Ausstellung der kunstgewerblichen
Lehranstalten zu Hamburg, wo zwei Professoren aus
Wien die Fachklassen für graphische und für textile

Kunst leiten, machte ganz den Eindruck, als sei man
in eine Filiale von Wien hineingeraten. Verwundert
fragte man sich: wo bleibt die Hamburger Heimat-
kunst? Auch Rußland, Rumänien, Japan verfallen
mehr und mehr dem Einfluß Westeuropas und ver-
lieren ihre nationale Eigenart. Die Vereinigten Staaten
von Nordamerika machen Anleihen in Japan und
Frankreich. Daß Belgien sich an Frankreich anlehnt,
ist nichts Neues. Aber auch Dänemark und Schweden
treten uns nicht so entschieden national entgegen, wie
wir es von diesen nordischen Ländern erwarten
durften. Wie kräftig und erfrischend mutet uns gegen-
über der Allerweltskunst, wie sie die stilgerechte Ver-
arbeitung der Naturmotive hervorbringt, die slowakische
Bauernornamentik aus Mähren an, eine Volkskunst, die
dort von einem national-tschechischen Verein und den
Lehrern mit allen Mitteln gehalten und gefördert wird!
Auch Finnland wahrt entschieden seine Eigenart. Und
Großbritannien zeigt, wenn auch nicht gerade Volks-
kunst, so doch geradezu vorbildliche kunstgewerbliche
Erzeugnisse einer Kultur, die ihrer Kraft, ihres Könnens,
ihres Geschmacks mit ruhiger Sicherheit bewußt ist.

Sieht man von dem schweren Gebrechen man-
gelnder oder schwindender völkischer Eigenart ab, so
wird man gern den großen Ernst und Eifer aner-
kennen, mit dem alle die genannten Staaten an der
Geschmackbildung durch Schulen arbeiten. Glänzend
und geschmackvoll war die ungarische Ausstellung;
die österreichische Ausstellung zeigte wieder, wieviel
höher dort auch in den Mittelschulen der Zeichen-
unterricht gewertet wird als bei uns in Deutschland;
in der Schweiz müht man sich ehrlich und erfolg-
reich mit der Lösung zeichnerischer Aufgaben zum
Besten der allgemeinen und der fachlichen Bildung.
In Nordamerika entwickelt man einen vornehmen
Geschmack und tüchtiges praktisches Können. Von
Amerika aus sind entscheidende Anstöße zur Reform
des Zeichenunterrichts ausgegangen. Die amerika-
nische Ausstellung, die sich von der einfachen Land-
schule bis zur Universität erstreckte, war besonders
imposant und einheitlich. Daß auch Frankreich
durch einen sicheren Geschmack sich auszeichnet,
ist allbekannt; die stilisierten Formen der Orna-
mentik verraten die Eleganz einer langbewährten
Übung; nur in den Gobelins waltet, wie schon lange,
die unstilistische malerische Freiheit der Ölgemälde.
Die Ausstellung der Ecole des beaux arts in Paris
endlich zeigt, daß die Schüler dort keineswegs mit
den Ergebnissen van Goghs anfangen, sondern in der
solidesten, sagen wir meinetwegen akademischen Weise
im Zeichnen, Komponieren und Malen geschult werden.

Angesichts der Ergebnisse der Ausstellung drängen
sich zwei Fragen auf: wie kann gegenüber der inter-
nationalen Strömung die nationale Eigenart gewahrt
oder wiedererweckt werden? Und: sind wir mit der
schematischen Stilisierung der Naturformen auf dem
richtigen Wege?

Eine besondere Lösung derartiger Fragen ver-
suchte die Sonderabteilung Zeichnen und Werktätig-
keit im Unterrichtswesen. Hier war, durch Prof.
K. Groß angeregt und in Verbindung mit einer großen
 
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