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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 24.1913

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Die Sommerausstellung der Berliner Sezession
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KUNSTCHRONIK

Neue Folge. XXIV. Jahrgang 1912/1913 Nr. 32. 9. Mai 1913

Die Kunstchronik und der Kunstmarkt erscheinen am Freitage jeder Woche (im Juli und August nach Bedarf) und kosten halbjährlich 6 Mark.
Man abonniert bei jeder Buchhandlung, beim Verlage oder bei der Post. Für Zeichnungen, Manuskripte usw., die unverlangt eingesandt werden,
leisten Redaktion und Verlagshandlung keine Gewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E. A.Seemann, Leipzig, Hospitalstr. 11 a.
Abonnenten der Zeitschrift für bildende Kunst erhalten Kunstchronik und Kunstmarkt kostenfrei. Anzeigen 30 Pf. die Petitzeile; Vorzugsplätze teurer.

DIE SOMMERAUSSTELLUNG
DER BERLINER SEZESSION
Mit besonderer Spannung hat man in Berlin dies-
mal der Sezessionsausstellung entgegengesehen, weil
es sich nun zum ersten Male zeigen sollte, ob die
Körperschaft, die das künstlerische Gewissen der
deutschen Hauptstadt darstellt, und deren Schicksale
darum niemandem gleichgültig sein können, mit ihrer
im letzten Winter vollzogenen Neuorganisation auf
dem rechten Wege war oder nicht. Um es gleich
zu sagen: diese erste Probe aufs Exempel ist glänzend
gelungen, die Ausstellung eine geradezu brillante
Leistung, und was sich auch gegen die Form, in der
jene Umwälzung im Dezember 1912 geschah, sagen
ließ und läßt, — den Erfolg hat sie, vorläufig wenig-
stens, absolut auf ihrer Seite. Das ist nichts Geringes.
Es ist festzustellen, daß durch jene Wahl des Kunst-
händlers Paul Cassirer zum Präsidenten der Sezession
und durch den damit verbundenen festen Zusammen-
schluß ihrer führenden Persönlichkeiten die Vereinigung
vor dem Debacle bewahrt geblieben ist, das drohend
über ihr zu schweben schien; mehr: daß sie aus den
schweren Krisen, die bei ihr an der Tagesordnung
waren, und die allerdings auch heute noch nicht auf-
gehört haben, mit neuer Kraft und Jugend auferstanden
ist. Sie trug bedenkliche hippokratische Züge, und
immer wieder hieß es: das ist der Anfang vom Ende!
Aber sie lebt noch; ja: lebt munterer als seit Jahren,
ihren Widersachern und Neidern, den akademischen
Reaktionären und der höfischen Kunstkamarilla zürn
Trotz und zum Ärger. Was dies für das Berliner,
ja für das deutsche Kunstleben bedeutet, ist in wenigen
Worten nicht zu sagen. Wir brauchen diese Instanz
wie das liebe Brot; ohne sie würde man an der Spree
ebenso in den Sumpf geraten, wie es an der Isar in
dem Augenblick geschah, da die Münchner Sezession
sich sozusagen »ins Privatleben zurückzog« und ihre
Kampfmission aufgab. Wir brauchen insbesondere
dies Gegengewicht gegen die systematische Protektion
minderer und halber Kunst, die in Berlin von den
offiziellen Stellen betrieben wird, gegen die program-
matische Feindseligkeit, die allen neu anstürmenden
Bewegungen bei uns von den staatlichen Instanzen
entgegengebracht wird. Wir brauchen diesen Tummel-
platz der Jugend, der aufstrebenden Talente, diese
korporative Bindung aller Talente, die den künstle-
rischen Ausdruck unserer Zeit bedeuten, zu einer
potenten und einflußreichen Organisation.

Demgegenüber werden die prinzipiellen Bedenken
schweigen müssen, die sich gegen jene Wahl Paul
Cassirers erhoben. Es war durchaus richtig, daß man
diesen ungewöhnlichen Schritt mit der größten Skepsis
beurteilte. Ein gesundes Gefühl sträubt sich dagegen,

einen Kunsthändler, der zu den einzelnen oder, viel-
leicht noch weniger sympathisch, zu »einzelnen« Mit-
gliedern einer Vereinigung in kaufmännischen Be-
ziehungen steht, als repräsentativen Vertreter derselben
Künstler zu sehen. Aber man kommt mit dieser sehr
vernünftigen Theorie in diesem Spezialfall offenbar
nicht aus. Es scheint denn doch, als wenn das Ge-
schick, das Temperament, die organisatorische, aus
stellungstechnische und Regenten-Fähigkeit Cassirers,
seine Energie und Initiative zu beträchtlich sind, um
allein nach dem sonst üblichen Maßstab gemessen
zu werden. Und man wird sich allmählich an den
Gedanken gewöhnen, daß, wie die Dinge einmal
liegen, dieser Mann tatsächlich, und vielleicht allein
das Zeug in sich hatte, die Sezession zusammenzuhalten.
Die bedeutenden Künstler ihres Kreises können und
wollen sich dieser schwierigen Arbeit nun einmal
nicht unterziehen, das haben sie oft genug betont.
Sie haben mit ihrem Schaffen zu tun, das ihnen
wichtiger ist als Organisationsfragen, und niemand
wird ihnen das verübeln. Darüber allerdings gibt es
leider keinen Zweifel: daß diejenigen im Rechte waren,
die voraussagten, die Präsidentschaft Cassirers trage
den Keim zu allerlei neuen Konflikten in sich. Diese
Prophezeiung ist prompt eingetroffen. Bei der Jurie-
rung der eingelaufenen Werke zu der am 26. April
eröffneten Ausstellung haben sich Vorgänge abgespielt,
die wieder lauten Tumult hervorgerufen haben und
eine neue Krisis heraufbeschwörten. In dem Bestreben
nämlich, nun wirklich eine gute Ausstellung zustande
zu bringen, hat die Jury mit äußerster Strenge ihres
Amtes gewaltet. Sie hat dabei nicht weniger als
sechsundzwanzig Mitglieder der Sezession selbst mit
ihren Arbeiten zurückgewiesen. Und da es nun der
Zufall wollte, daß ein ansehnlicher Prozentsatz dieser
Sechsundzwanzig sich aus Gegnern der Wahl Cassirers
zusammensetzt, so hat man gegen die Aufnahme-
kommission, die unter Slevogts Vorsitz amtierte, den
hanebüchenen Vorwurf erhoben, daß die Ablehnung
dieser Mitglieder eine Art Rache für ihre damalige
Opposition bedeute. Gegen Fritz Stahl, der im »Ber-
liner Tageblatt« dieser Auffassung öffentlich Ausdruck
gab, und gegen den verantwortlichen Schriftleiter des
Blattes haben nun die Mitglieder des Vorstandes und
der Jury kurzerhand die Beleidigungsklage erhoben,
so daß wir also diese Fragen wahrscheinlich dem-
nächst der Entscheidung eines Schöffengerichts unter-
breitet sehen werden. In Wahrheit aber sind mit
jenen Angehörigen der »Opposition« auch zahlreiche
andere Künstler zurückgewiesen worden, sie sind sogar
in der Majorität; ja es befinden sich unter den Refuses
Leute, die dem Vorstande und besonders Cassirer
persönlich und freundschaftlich nahestanden! Anderer-
 
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