Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 25.1914

DOI Artikel:
Kongress für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.6191#0034

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
KUNSTCHRONIK

Neue Folge. XXV. Jahrgang

1913/1914

Nr. 4. 17. Oktober 1913

■ >w„„h. (im Inli und Aueust nach Bedarf) und kosten halbjährlich 6 Mark.
Die Kunstchronik und der Kunstmarkt erscheinen am Freitage jeder Woc^e >™ Ju Manuskripte usw., die unverlangt eingesandt werden,
Man abonniert bei jeder Buchhandlung, beim Verlage oder be! der Post, r u « cnnu g , f E.A.Seemann, Leipzig, Hospitalstr. IIa.

leisten Redaktion und Verlagshandlung keine Gewähr. Alle Briefschaften und Se^angen sina zu p[ dje Petitzeile. Vorzugsplätze teurer.

Abonnenten der Zeitschrift für bildende Kunst erhalten Kunstchronik und Kunstmarm Kostenfrei.

KONQRESS FÜR ÄSTHETIK UND ALLGEMEINE
KUNSTWISSENSCHAFT
Vom 7.-9. Oktober tagte in Berlin der erste Kon-
greß für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft.
Er darf nachträglich so genannt werden, da er nicht
der einzige bleiben soll. Der Erfolg des Unternehmens
verbürgt seine Dauer. So konnte beschlossen werden,
es von nun an zur ständigen Einrichtung werden zu
lassen, und da zwei Einladungen vorliegen, die gleiche
Berücksichtigung erforderten, wurden für das Jahr
1915 Wien, für 1917 Paris als Kongreßstadt bestimmt.
Leider mußte damit zugleich das Gesetz der Ein-
sprachigkeit, das diesmal mit aller Strenge durch-
geführt wurde, aufgehoben werden. Es war von vorn-
herein anzunehmen, daß es sich nicht mehr als einmal
werde erreichen lassen, auch die ausländischen Ge-
lehrten, die in nicht geringer Zahl erschienen waren,
zu deutscher Sprache zu verpflichten. Es war erstaun-
lich genug, daß es einmal gelang, ausgezeichnete eng-
lische und französische Forscher auf die Rednerliste
zu setzen, die sich der drakonischen Maßregel zu fügen
imstande waren.

Die Aufgaben und das Arbeitsgebiet dieses
neuen Kongresses umschrieb in seiner gehaltvollen
Eröffnungsrede Herr Professor Dessoir, dessen orga-
nisatorischer Tätigkeit in der Hauptsache das Zu-
standekommen des Unternehmens zu verdanken ist.
Den Kongressen, die der Geschichte der einzelnen
Künste dienen, will dieser eine Vereinigung der ver-
schiedenen Richtungen der Kunstwissenschaft entgegen-
stellen, er will den Forschern, die aus den Einzel-
disziplinen kommen, das Gesamtgebiet vor Augen
führen und so sie durch das Bewußtsein einer Ge-
meinschaft in ihrer Tätigkeit fördern.

Der Philosophie bleibt die Aufgabe, das Ge-
biet des Ästhetischen abzugrenzen von dem Reli-
giösen und dem Wissenschaftlichen. Die geistige
Funktion reiner Betrachtung charakterisiert das ästhe-
tische ^Verhalten. Aber nicht allein aus der Art der
Betrachtung erwächst dem Seienden ästhetische Be-
deutung. Sachliche Merkmale scheiden gewisse Natur-
gegebenheiten und menschliche Erzeugnisse von
anderen und erheben sie zu ästhetischen Objekten,
die notwendig eine ästhetische Auffassung bedingen.

Geschichte der Kunst und systematische Kunst-
wissenschaft sind auf einander unmittelbar bezogen.
Werden gewisse menschliche Produkte als Kunst-
gegenstände bezeichnet, so liegt dem ein Begriff der
Kunst zum Grunde. Der Forscher sucht diesen Be-
griff aus dem Tatsachenmaterial abzuleiten, aber für
dessen Sichtung braucht er ihn schon als Voraus-
setzung. So kann es kommen, daß alle kunst-
wissenschaftlichen Gattungsbegriffe zugleich als leere

Schemata befehdet und unbedenklich verwendet werden.
Es ist notwendig, diese Begriffe unter steter Kontrolle
an den historischen Tatsachen zu entwickeln, die
Tatsachen aber mit Hilfe der Systematik zu durch-
leuchten.

Zur Systematik gehört in erster Reihe die Psycho-
logie. Das ästhetische Aufnehmen und das künst-
lerische Schaffen wird von ihr nach streng exakten
Methoden untersucht. Aber auch der experimentierende
Psychologe bedarf des ästhetischen Urteils zur Her-
stellung eines Versuchsgegenstandes, der mehr ist als
nur ein nichtssagendes Anregungsmittel. Mit Hilfe
von Funktionsbegriffen hat die allgemeine Kunst-
wissenschaft eine Strukturlehre der ästhetischen Gegen-
stände aufzubauen.

Die Historiker der einzelnen Künste andererseits
dürfen nicht übersehen, daß es nicht möglich ist, die
Methoden, die für die Darstellung politischer Vor-
gänge brauchbar sind, einfach zu übernehmen. Der
Biographismus in seiner äußerlichen Form enthält die
Gefahr schwerer Mißverständnisse. Selbstzeugnisse
von Künstlern sind nur mit Vorsicht zu verwenden
und nicht in unmittelbares Gleichnis zu ihrem Schaffen
zu setzen. Der psychologische Biographismus enthält
mehr Möglichkeiten fruchtbarer Erkenntnisse. Vom
stilistisch zergliederten Kunstwerk schließt er auf den
Urheber zurück. Aber dies darf nicht dazu führen,
jedes Kunstwerk aufzulösen in eine Summe individuell
geformter Einzelzüge. Ein echtes Kunstwerk ist eine
Schöpfung und keine Quersumme.

Im Gegensatz zu der materialistischen Orientierung,
die dem Geiste der älteren Naturwissenschaft ent-
spricht, setzt sich heute auch in den Kreisen der
Historiker die Erkenntnis durch, daß nicht nach Einzel-
formen die Stile zu sondern sind, vielmehr in der
künstlerischen Gesamtanschauung das Wesen des Stils
sich offenbart. Der geschichtlichen Forschung soll
in jeder Weise ihr Recht gewahrt bleiben, aber es
erhebt sich die Forderung, daß sie die systematischen
Begriffe, ohne die sie nun einmal nicht zu arbeiten
vermag, der dem Werke selber zugewandten Wissen-
schaft zu formulieren überläßt.

Zu diesem besonderen Problem des Verhältnisses
der Ästhetik zur allgemeinen Kunstwissenschaft äußer-
ten sich alsdann die Herren Utitz und Hamann in
eigenen Vorträgen. Utitz führte aus, daß alle Kunst
Gestaltung auf ein Gefühlserleben sei, derart, daß aus
dem Sinne der Gestaltung das Gefühlserleben zu er-
schließen sei. So suchte er das künstlerische gegen
das ästhetische abzugrenzen. Der Kunstgenuß kann
den Weg durch die ästhetische Betrachtung nehmen,
ist aber nicht auf sie beschränkt. Aber das ästhetische
Verhalten nimmt eine Vorzugsstellung gegenüber der
 
Annotationen