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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 25.1914

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Gronau, Georg: Raffaels Zeichnungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.6191#0166

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KUNSTCHRONIK

Neue Folge. XXV. Jahrgang 1913/1914 Nr. 21. 13. Februar 1914

Die Kunstchronik und der Kunstmarkt erscheinen am Freitage jeder Woche (im Juli und August nach Bedarf) und kosten halbjährlich 6 Mark.
Man abonniert bei jeder Buchhandlung, beim Verlage oder bei der Post. Für Zeichnungen, Manuskripte usw., die unverlangt eingesandt werden,
leisten Redaktion und Verlagshandlung keine Gewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E.A.Seemann, Leipzig, Hospitalstr. 11 a.
Abonnenten der Zeitschrift für bildende Kunst erhalten Kunstchronik und Kunstmarkt kostenfrei. Anzeigen 30 Pf. die Petitzeile; Vorzugsplätze teurer.

RAFFAELS ZEICHNUNGEN

Vor anderthalb Jahrzehnten erschien ein kleines
Buch, das den Titel führte: »Raffaels Zeichnungen.
Versuch einer Kritik der bisher veröffentlichten Blätter«.
Eine Erstlingsarbeit, aus dem Straßburger Seminar
Dehios hervorgegangen und von einleitenden Worten
des Mannes, der sie angeregt hatte, begleitet. In
diesen wurde genau bezeichnet, was das Buch geben
wollte: einen Katalog aller brauchbaren Nachbildun-
gen der für Raffael in Anspruch genommenen Zeich-
nungen und Verzeichnis der Literatur zu jedem Blatt.
An dritter Stelle waren die eigenen Urteile des Ver-
fassers hervorgehoben, die jedoch allein auf dem
Studium der Reproduktionen basierten, wozu Dehio
sehr richtig bemerkte, daß bei den meisten anderen
Urteilen der gleiche Fall vorläge. Als ein Vorzug
wurde mit Recht die chronologische Anordnung
hervorgehoben.

Fischeis Erstlingswerk ist seinerzeit recht günstig
aufgenommen worden; die Sorgfalt und Zuverlässig-
keit wurde allgemein anerkannt, und überall kann
man es seither als Hilfsmittel bei allen Untersuchun-
gen, die mit Raffaels Zeichnungen zu tun haben,
finden. Daß des Autors eigene Urteile nicht immer
angenommen werden konnten, wird keinen billig
Denkenden, der die besonderen Schwierigkeiten ein-
zuschätzen weiß, verwundern.

Seither ist der Verfasser seinem alten Thema nie
wieder untreu geworden. Ausgedehnte Reisen, fort-
gesetztes Studium der Originale, der dauernde Um-
gang mit dem reichen photographischen Material, das
im Berliner Kupferstichkabinett den Studierenden zur
Verfügung steht, haben sein Auge ununterbrochen
geschult; eine glückliche Anlage machte Beziehungen
und Zusammenhänge klar, die allen Vorgängern ent-
gangen waren. So entstand der Gedanke, jenem
ersten Versuch eine Arbeit größten Stiles folgen zu
lassen und das gesamte Material der erhaltenen
Raffaelzeichnungen vorzulegen, so wie man Dürers
und Rembrandts, Michelangelos und Holbeins, selbst
geringerer Meister zeichnerischen Nachlaß bereits
besitzt.1) Nur auf Grund eines solchen Corpus der
Zeichnungen wird die wissenschaftliche Diskussion
so fortgeführt werden können, daß man bleibende
Resultate erhoffen darf.

Der Groteschen Verlagsbuchhandlung, die sich
vielfach um die Förderung der Kunstwissenschaft ver-
dient gemacht und ihr große materielle Opfer gebracht
hat, wird es bleibend zum Ehrentitel gereichen, das
monumentale Unternehmen, das auf zwölf Portfolios

1) Raffaels Zeichnungen. Herausgeg. v. Oskar Fischel.
I.Abteilung. Q. Grotesche Verlagsbuchhandlg. Berlin 1913.

berechnet ist, in Angriff genommen zu haben. Ende
1913 ist «die erste Abteilung, die Zeichnungen der
umbrischen Zeit des Meisters umfassend, erschienen.

Zwei Momente erscheinen, rein äußerlich ge-
sprochen, als besonders dankenswert: einmal, daß von
dem in Lippmanns großen Publikationen angewandten
Prinzip der Publikation der Blätter nach den Samm-
lungen, in die sie der Zufall endlich verschlagen hat,
Abstand genommen worden ist, sondern daß die
chronologische Anordnung befolgt wurde, zu zweit,
daß die Blätter separat, nicht gebunden erscheinen,
wie leider in der Dürerpublikation. Nur auf diese
Weise ist der ernsthafte Benutzer in der Lage, sein
Material wirklich durch Vergleichen nutzbar zu machen.

Um die Qualität der Wiedergabe zu charakterisieren,
wird es genügen zu sagen, daß die Blätter meist nach
neuen Vorlagen in der Berliner Reichsdruckerei her-
gestellt worden sind, die Oxforder Blätter durch die
rühmlichst bekannte Clarendon Press. In ganz ver-
einzelten Fällen mußten vorhandene Abbildungen
dienen. Die Sorgfalt, das möglichste Erreichbare zu
gewinnen, ist so weit ausgedehnt, daß je nach der
äußeren Beschaffenheit des einzelnen Originals mit
mattem, rauhem oder glänzendem, glattem Papier ab-
gewechselt wurde. Der weitgehenden Unterstützung,
deren sich der Herausgeber namentlich in England
(Oxford und Windsor) erfreuen durfte, sei auch hier
besonders gedacht.

Wenn es über Raffaelische Zeichnungen Dis-
kussionen gegeben hat, so hat es sich fast immer um
die frühen Blätter gehandelt. Wenige Fragen sind
so kompliziert und bieten so ungewöhnliche Schwierig-
keiten, wie die Abgrenzung der raffaelischen Anfänge
gegen die andern umbrischen Meister, namentlich
Perugino und Pinturicchio. Gerade um diese Fragen
besonders drehen sich die Aufsätze Morellis, in denen
er glaubte, ein für allemal die Stilunterschiede der
Führer der umbrischen Schule und Raffaels festgelegt
zu haben.

In jener Erstlingsschrift war Fischel diesem großen
Anreger fast überall gefolgt; wer von den Jüngeren
in dem letzten Jahrzehnt des vorigen Jahrhunderts
hätte sich aber dieser blinden Hingabe nicht schuldig
gemacht! Es wird nicht uninteressant sein, statistisch
festzustellen, wie sich die Urteile unseres Autors von
1913 gegen die von 1898 verhalten. Der vorliegende
Band umfaßt 65 Tafeln, von denen die letzten von
60 ab hier ausscheiden: es sind die Blätter, die sich
auf die Libreria des Doms von Siena beziehen und
vom Verfasser dem Pinturicchio belassen werden. Auf
diese komme ich noch zurück. Von den verbleiben-
den 59 Tafeln fehlten im früheren Verzeichnis als
unpubliziert 18 (= 14 Blätter, 4 Vorder- und Rück-
 
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