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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 25.1914

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Wiener Brief
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https://doi.org/10.11588/diglit.6191#0174

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KUNSTCHRONIK

Neue Folge. XXV. Jahrgang 1913/1914 Nr. 22. 20. Februar 1914

Die Kunstchronik und der Kunstmarkt erscheinen am Freitage jeder Woche (im Juli und August nach Bedarf) und kosten halbjährlich 6 Mark.
Man abonniert bei jeder Buchhandlung, beim Verlage oder bei der Post. Für Zeichnungen, Manuskripte usw., die unverlangt eingesandt werden,
leisten Redaktion und Verlagshandlung keine Oewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E. A. Seemann, Leipzig, Hospitalstr. 11 a.
Abonnenten der Zeitschrift für bildende Kunst erhalten Kunstchronik und Kunstmarkt kostenfrei. Anzeigen 30 Pf. die Petitzeile; Vorzugsplätze teurer.

WIENER BRIEF
Die Wiener Kunstverhältnisse kann und muß man
reinlich in zwei Teile einteilen, deren einer die alte,
der andere die moderne Kunst betrifft. Ein merk-
würdiges Mißverhältnis besteht zwischen beiden. So
steril die moderne Kunst Wiens ist, so schwer junge
Talente sich in Wien durchzusetzen vermögen, so
schlecht der künstlerische Geschmack ist, der sich in
den modernen Architekturen offenbart, so eifrig ist im
Gegensatz zu all dem die Pflege der alten Kunst, das
Hängen an der alten Tradition. In der Richtung
kann man auch für das vergangene Jahr eine Reihe
erfreulicher Neuerungen konstatieren. Von der bisher
musterhaft durchgeführten Umgestaltung der Galerie
des Hofmuseums wurde an dieser Stelle von Fall
zu Fall ausführlich berichtet. Daneben wird hier
fleißig an der Bearbeitung des neuen Galeriekatalogs
geschaffen, der nach den modernsten Prinzipien in
großem Maßstab ausgeführt werden soll. Endlich
sollen die bei der Umgestaltung der Galerie aus-
geschiedenen Bilder, deren Zahl eine ganz statt-
liche ist, in einem Teil des neuen Burgtraktes zu
einer Sekundärgalerie vereinigt werden. Diese Ar-
beiten sollen demnächst begonnen werden. Die neue
Galerie wird sich an die estensischen Sammlungen
anschließen, die nach ihrer durchgeführten Ordnung
und Aufstellung gemeinsam mit der Sekundärgalerie
nun auch der Öffentlichkeit zugänglich gemacht
werden sollen. Es ist dies um so mehr zu begrüßen,
als dadurch auch ein bedeutender Bilderschatz —
besonders handelt es sich um Italiener aus altem
estensischen Besitz — auch zum erstenmal der wissen-
schaftlichen Bearbeitung freigegeben wird, der bislang
völlig brach gelegen hat. Die moderne Galerie, im
unteren Belvedere untergebracht, ist schon vor einiger
Zeit zur österreichischen Staatsgalerie umgewandelt
worden. Das Sammeln moderner soll mit dem alter
österreichischer Kunstwerke vereinigt werden. Ein
neues Haus wird die umgestaltete Sammlung erhalten,
und der große Schatz der in der Akademie der
bildenden Künste untergebrachten Gemäldegalerie soll
den Grundstein zu dieser Erweiterung bilden. Der Plan,
dessen Durchführung nach allen Anzeichen wir in
der nächsten Zeit bereits erleben werden, ist aus ver-
schiedenen Gründen auf das Lebhafteste zu begrüßen,
vornehmlich deswegen, weil sowohl die Räume der
Akademie als auch die des unteren Belvederes für
Galeriezwecke völlig ungeeignet sind. Und so wäre
mit dem einen neuen Haus gleich zwei Übeln auf
einmal abgeholfen und zudem die Basis zu einer
würdigen Sammlung alter österreichischer Kunstwerke
gegeben. Noch ein zweiter Museumsbau wird in
der nächsten Zeit in Wien entstehen. Die Albertina,

die bisher im alten Augustinerklostergebäude neben
der Augustinerkirche untergebracht war, wird ein
neues Heim erhalten. Die Grundtransaktion ist vor
kurzem perfekt geworden. Erzherzog Friedrich hat
das alte Gebäude angekauft, um an dessen Stelle den
Neubau aufführen zu lassen. Die Demolierung des
alten Klosters wird voraussichtlich im Sommer 1915
stattfinden.

Mit der bevorstehenden Demolierungdes Augustiner-
klosters wenden wir uns jedoch einer anderen Seite
des Wiener Kunstlebens zu, über die nicht so Rühm-
liches zu berichten sein wird, als über die Umgestal-
tungen der Museen. Das Kloster hat eine schmuck-
lose, einfache Fassade auf die Augustinerstraße hinaus,
die eine ruhige Folie zu dem gegenüberstehenden, weit
lebhafteren Lobkowitzpalais bildet. Nun soll es ver-
schwinden. Wenn es sich bei dieser Demolierung
um einen Einzelfall handeln würde, könnte man sich
leicht vertrösten. So ist es aber nicht. Wer heuer
nach den Sommerferien zum erstenmal im Herbst die
innere Stadt durchschritt, dem ist es klar zum Be-
wußtsein gekommen, daß es mit der alten Herrlich-
keit des schönen Wien endgiltig vorbei ist, vorbei
mit dem alten einheitlichen Stadtbild, vorbei mit dem
alten, intimen Gewinkel, den leichtgekrümmten,
schmalen Straßen mit ihren einfachen, harmonierenden
Fassadenreihen. Schon früher fiel bald da bald dort
ein altes Stück moderner Baulust zum Opfer. Nun
aber geht man im Großen zu Werke. Vor kurzem
wurde eine ganze Reihe von schönen alten Häusern
der Herrengasse — bisher eine der schönsten Straßen
Altwiens — demoliert, das alte Kriegsministerium am
Hof ist im Sommer verschwunden, am Graben werden
die Neubauten bald überwiegen und so steht es
allenthalben. Die jüngst neu ausgestaltete Zentral-
kommission zum Schutz der Kunstdenkmäler vermag
hier keinen Einhalt zu tun und muß ihre Wirksam-
keit auf die Provinz beschränken. Es scheint ein
Zeichen unserer Zeit zu sein, daß die alten Städte
auf Kosten moderner Anlagen zu verschwinden be-
ginnen, und wir können diesen Wandel auch ander-
orts verfolgen, doch mit dem wichtigen Unterschied,
daß anderwärts das Alte einer neu aufblühenden
Architektur Platz machen muß, während in Wien
davon nichts zu bemerken ist. Es wird entsetzlich
schlecht und uneinheitlich gebaut, als krasses Beispiel
sei das neue Kriegsministerium am Stubenring er-
wähnt, dessen protzige Fassade ebenso unmodern
als häßlich ist; die verschiedensten romantischen
Richtungen wetteifern in den geschmacklosesten
Fassadenbildungen, was modern scheinen will, ist
meist herzlich schlecht, und das wenige Gute geht in
der Masse des Minderwertigen unter. Schuld ist die
 
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