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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 25.1914

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Dreyfus, Albert: Die Ausstellung der Indépendants in Paris
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https://doi.org/10.11588/diglit.6191#0218

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KUNSTCHRONIK

Neue Folge. XXV. Jahrgang 1913/1914 Nr. 28. 3. April 1914

Die Kunstchronik und der Kunstmarkt erscheinen am Freitage jeder Woche (im Juli und August nach Bedarf) und kosten halbjährlich 6 Mark.
Man abonniert bei jeder Buchhandlung, beim Verlage oder bei der Post. Für Zeichnungen, Manuskripte usw., die unverlangt eingesandt werden,
leisten Redaktion und Verlagshandlung keine Oewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E.A.Seemann, Leipzig, Hospitalstr. 11 a.
Abonnenten der Zeitschrift für bildende Kunst erhalten Kunstchronik und Kunstmarkt kostenfrei. Anzeigen 30 Pf. die Petitzeile; Vorzugsplätze teurer.

DIE AUSSTELLUNO DER INDEPENDANTS
IN PARIS

Jedes Jahr, mit den Märzstürmen, kommen die lnde-
pendants ins Land. Diesmal sogar besonders früh, da das
Marsfeld, auf dem sie heuer ihre Baracken aufschlagen
durften, später von einer landwirtschaftlichen Ausstellung
benötigt wird. Ochsen, Schafe, Kühe haben vor den Künst-
lern das Vorrecht auf die warme Maiensonne. Es ist be-
greiflich. Findet eine hohe Obrigkeit doch nicht einmal die
Milch der frommen Denkungsart bei den Independants!

Ihr Herumziehen von Platz zu Platz, ihr Errichten von
glasüberdachten Zelten unter freiem Himmel hat ein Gutes
für die Independants mit sich gebracht: Die Beleuchtung
der Säle ist so ausgezeichnet, daß alle anderen Salons sie
darum beneiden könnten, besonders dieses Jahr, da sie im
Raum nicht beschränkt waren. Leider ist eine erhebliche
Diskrepanz zwischen dem guten Licht und dem meisten,
was sich in ihm darbietet.

Keine Kunstausstellung in Paris betritt man mit größerer
Sympathie als die der Independants. Hier können Künstler
sich in ihrer ganzen Neuheit, Unschuld, Gläubigkeit geben.
Und man darf nachsichtig sein gegen Unreife, jungendlichen
Uberschwang, Exzentrizität, wenn Ehrlichkeit des Strebens,
Verzicht auf Kompromisse und billigen Publikumserfolg
dafür entschädigen. Schade, daß man dieses Jahr so gar
nicht mit den Jungen und Jüngsten mitgehen kann.

Was sie vor allem charakterisiert, ist die prinzipielle
Abkehrvonder Natur und der Naturbeobachtung. Sie nehmen
damit dem Kunstwerk das Fundament, auf dem es sich,
wenn es auch noch so geistig sein will, aufbauen muß.
Sie verfallen in Abstraktion, ihre Kunst geht über die
Physik hinaus, sie wird Metaphysik. So setzt La Fresnaye
ein Stilleben und ein Porträt aus sich überschneidenden
reinen Farbflächen zusammen. Die reinen Farben lösen,
ihrem Charakter entsprechend, vielleicht allerhand vage
Empfindungen und Assoziationen aus, aber die künstlerische
Form zerbricht dabei. Noch weniger kümmert sich um die
Form der Simultanist Delaunay in seinem Riesenbild:
»Hommage ä Bleriot«. Aus der Leinwand heraus glüht hoch-
rot eine Aeroplanschraube; alles andere sind Wirbel farbiger
Ringe, aus reinen Regenbogenfarben zusammengesetzt:
metaphysische Seifenblasen. Ganz ins Abstrakte haben
sich auch die Synchromisten verloren, die anfänglich — in
ihrem Programm — versprachen, die Malerei auf eine ge-
sunde sensualistische Grundlage zurückzuführen. Die far-
bigen kaleidoskophaften Farbenstreifen, mit denen Morgan-
Russell seine meterhohe Leinwand ausstaffiert, üben eine
visuelle Wirkung, aber nicht die geringste künstlerische
Suggestion aus.

Der Kubismus ist also schon nicht mehr das Modernste.
Immerhin strömen ihm immer noch neue Anhänger zu.
Ob den Meistern aber nicht gerade vor diesen Adepten
bange ist, wenn sie sehen, wie man mittels der kubistischen
Formel Bilder zuwege bringt, ohne eine Spur von male-
rischem Temperament oder koloristischer Begabung? Andere,
wie Andre Lhote, sind durch den Kubismus hindurchge-
schritten, haben in ihm die Disziplin des solideren Auf-
baues gelernt, wie sie im Impressionismus abhanden ge-
kommen war, und wenden sich nun wieder einer Kunst

zu, die eine Einheit in der Natur als etwas Unteilbares
respektiert. Von den Führern des Kubismus haben nur
Gleizes und Metzinger ausgestellt. Beide bemühen sich
durch »die Rückkehr zur Farbe«, wie die Losung dieses
Jahr heißt, ihre Sache zu fördern. Die Unfähigkeit des
Kubismus, bei seiner Spalt- und Hackarbeit ein organisches
Kunstwerk ins Leben zu rufen, wird dadurch nur um so
ersichtlicher.

Halten sich unter den Kubisten schon Leger und
Le Fauconnier der Ausstellung fern, so ist auch diesmal
die ganze Reihe der Postimpressionisten ausgeblieben, die
in früheren Jahren der Independants vor allem ein Niveau
hoher Qualität gesichert haben: Marquet, Puy, Denis,
Manguin, Friesz usw. Sehr zum Schaden dieser Künstler-
vereinigung wird es immer mehr Sitte, ihre Ausstellungen
nur als Eingangstor in die Unsterblichkeit zu betrachten.
Hat man es passiert, d. h. besitzt man einen auch noch
so schäbigen Kunsthändlervertrag in der Tasche, so ver-
läßt man in unkollegialer Weise die Stätte, der man doch
seine ersten, oft entscheidenden Erfolge zu verdanken hat.
Die Kunstsalons, die sofort jedes auch nur halbwegs zu-
kunftverheißende Talent herausfischen, ihm dann oft selbst,
aus rein geschäftlichen Erwägungen heraus, das Aus-
stellen untersagen, drücken das Niveau der Independants
immer mehr herunter.

Von der alten Garde sind daher dieses Jahr nur wenige
am Platz. Signac, der Präsident, hat seine »Cite de Paris«,
die man schon bei Bernheim sah, geschickt, einen Gipfel-
punkt seiner starken eigenwilligen Kunst. Flandrin stellt ein
größeres Bild «Am Klavier» aus, in dem ein interessantes
Beleuchtungsproblem nicht ganz über die Massenverteilung
Herr geworden ist. Bonnard hat einen diskreten, für die
Independants zu diskreten »Garten im Abend« ausgestellt,
indessen Marval und Laprade durch gute Bilder ihrer schon
bekannten Art vertreten sind. Auch Valtat, Peske, Ceria,
Frl. Hassenberg zeigen tüchtige Arbeiten.

Von den jüngeren Künstlern, die in eigener Weise das
Werk und die Lehre Cezannes fortsetzen, sei vor allem
Henry Ottmann genannt. Sein Bild »Im Modistinnenladen«
mit seinen lang aufgerollten Bändern, seinem bunten Kram,
seiner sich spiegelnden Dame, hat koloristisch wie kon-
struktiv große Vorzüge. Ihm nahe steht Mainssieux mit
einer »Dame im Profil«. Der Schweizer Montag befreit
sich immer mehr vom Einfluß Manguins, während Picard
le Doux trotz reeller Qualitäten in seinen Porträts noch
sehr an Marquets Art sich anlehnt.

Der Südfranzose Andre Verdilhan bekundet in seiner
Zirkusszene und in seiner getönten Plastik »Ein kleines
Kind «ein angeborenes Stilgefühl und koloristische Be-
gabung bei noch ziemlich unzulänglichen Ausdrucksmitteln.
Es wird interessant sein, diesen Künstler, der außerhalb
aller technischen Probleme nach der Wiedergabe eines
eigentümlichen Weltbildes trachtet, zu verfolgen. Auch
Outrillo interessiert mehr durch seine Sensibilität als durch
neue Formversuche. Mit ziemlich altmodischer detaillierter
Technik malt er Vorstadtbilder, auf denen morsches Ge-
mäuer, verlassene Kreuzungspunkte, dahinschleichende
Vorstadtbürger erstaunlich suggestiv wiedergegeben sind.

Unter den deutschen Ausstellern nimmt Lehmbruck
 
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