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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 26.1915

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Fischel, Oskar: Die Madonna Daun
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Koch, Carl: Die deutsche Malerei von 1650-1800 auf der Ausstellung im Darmstädter Schloss
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https://doi.org/10.11588/diglit.6190#0035

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Die deutsche Malerei von 1650—1800 auf der Ausstellung im Darmstädter Schloß

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sie sich nicht ganz miteinander beschäftigen, die-
jenigen anzuschauen, für die sie gemalt sind. Bei
den Robbia-Madonnen läßt sich geradezu jedesmal
aus der Richtung des Blicks oder des Segens finden,
für welche Höhe sie gedacht waren. Das Kind der
Madonna Daun und ihrer Genossinnen in der Wiener
Akademie und der Sammlung Broicher blickt ganz
ziellos über die Ecke des Bildes weg. Sogar
Brescianino, der gewiß kein schöpferischer Genius
war, glaubte bei seiner Entlehnung in München diesen
Blick nicht verantworten zu können und hat ihn mehr
auf den Beschauer hingewandt.

Das Motiv von Mutter und Kind hat Raffael für
sich allein in der Landschaft auf mehreren Skizzen-
blättern studiert: im Louvre, der Albertina, der Ecole
des Beaux-Arts, bei Bonnat. Wenn er ein solches
Bild beabsichtigte, konnte das Auge des Kindes, diesen
Studien nach, nur den Beschauer suchen; aber als er
diese gemütliche Szene im großen Altarbild auf den
Thron erhöhte, fand er — in einer Kompositions-
skizze zu Chatworth und einem Blatt der Ecole des
Beaux-Arts — für das Köpfchen des Knaben eben
jene Wendung, die zu dem hohen Platz paßte und zu
den Heiligen am Fuß des Thrones und den An-
dächtigen vor dem Altar in Beziehung stand.

Wie die gleichzeitige Madonna Colonna sollte die
Madonna del baldacchino ein sonniges Bild werden.
Zum erstenmal hoben sich die Gestalten aus einer
lichtdurchfluteten Nische in voller Rundung heraus.
Deshalb waren schon alle Skizzen für das Bild in
leuchtendem Bister laviert. In der Ausführung sind
die hellen Untermalungen und transparenten Töne
ohne die endgültigen Lasuren geblieben. Eben darum
aber dürfen die Farben dieses für Raphaels malerische
Entwicklung unschätzbaren Altars nicht mit der gla-
sigen Paste des Halbfigurenbildes verglichen werden,
in der gerade die Plastik der Gestalten vollständig
ertrinkt.

Diese unerläßlichen Qualitäten Raphaelischer
Werke: die innere Motivierung und die Run-
dung der Umrisse fehlen jener Potsdamer Ma-
donna durchaus. So entsteht die Frage, mit welchem
Recht ein Bild, das sich so nah bei Berlin dem Urteil
der Kenner keusch entzieht, um sich nur hin und
wieder pikant enthüllen zu lassen, in einer wissen-
schaftlichen Zeitschrift Aufmerksamkeit erregen darf,
noch dazu unter dem usurpierten Namen der »Ma-
donna Solly«. Madonna Solly darf nur das stille und
tieftönige Bildchen der Jungfrau mit dem Andachts-
buche heißen, das nie einen Verteidiger brauchte und
in dessen Namen pietätvoll die Erinnerung an einen
Kenner von echtem Qualitätsgefühl weiterlebt.

Sonst pflegt man unverkäuflichen Bildern Broschüren
mit schönen Namen mitzugeben, die mit ungezählten
gelehrten Argumenten beweisen, daß der Anwalt —
»durch Mitleid wissend . . .« — mildernde Umstände
nötiger hat, als sein Klient. In einer Zeitschrift wie
dem Repertorium läßt sich ein Aufwand von 12 Seiten
für ein solches Nichts nur daraus erklären, daß
der Redakteur jetzt die deutsche Kultur an anderer
Stelle schützt. OSKAR FISCHEL.

DIE DEUTSCHE MALEREI VON 1650—1800 AUF
DER AUSSTELLUNG IM DARMSTÄDTER
SCHLOSS

Von Carl Koch

L

Das Wesentliche an der Ausstellung deutscher
Kunst aus den Jahren 1650—1800, die sich in diesem
Sommer in Darmstadt unter dem Protektorat des Groß-
herzogs von Hessen aufgetan hatte, war die große
Gemäldeschau. Eine Auswahl von Handzeichnungen
schloß sich an. Plastiken, hauptsächlich Werke der
Kleinkunst, warben ebenfalls um Würdigung, während
die Miniaturen und die Edelmetall- und Elfenbein-
arbeiten, von denen schöne Exemplare zu sehen waren,
stets ihre Liebhaber besessen haben. Die leider zu früh
in ihrer Wirkung unterbundene Ausstellung lebt in
einem zweibändigen Illustrationswerk fort.

Um den Haupteinwand vorwegzunehmen, der sich
dem aufdrängt, der diese Gemäldeschau studiert, so
erscheint die Wahl des Jahres 1650 als des Anfangs-
datums recht willkürlich. Deutsche Maler stehen in
der Epoche der großen Barockkünstler kräftig inner-
halb der europäischen Kunstbewegung. Die Zeit
um 1650, politisch die des großen Friedensschlusses,
bedeutet kunsthistorisch keinen Abschnitt, sondern
trifft die Entwicklung auf ihren Höhen. Werke zweier
wesensverschiedener Zeitalter umschließt der Rahmen
dieser Ausstellung. Während das 18. Jahrhundert hier
vor uns entsteht, sich reichhaltig entfaltet und eine
besondere Beleuchtung erfährt durch den Kontrast zu
dem vom 17. Jahrhundert Gebotenen, muß doch eben
dieses letztere Stückwerk bleiben. Dazu kommt, daß
für diesen Teil die Lücken im Material am empfind-
lichsten sind.

Der Leiter der Ausstellung, Professor Georg Bier-
mann, hatte gewiß recht, wenn er glaubte, durch sie
den Anstoß zu einer neuen Würdigung unserer künst-
lerischen Vergangenheit zu geben. Das Zusammen-
tragen einer solchen Fülle von Werken aus teils ganz
verschlossenem Besitz und der Appell an die Anschau-
ung an Stelle der verstaubten Methoden bedeutet eine
frische, befreiende Tat. Diese Zeiten waren bisher mehr
ein Gegenstand historisch-antiquarischen Interesses.
Das lähmende Gefühl, daß es an originellen, bemerkens-
werten Leistungen allzu sehr fehle, schreckte bis heute
von einer durchgreifenden Beschäftigung mit den
Kunstwerken ab. Nur die zweite Hälfte des 18. Jahr-
hunderts, die im hellen Lichte des nationalen Auf-
schwungs steht, war besser daran. Einige dieser
Künstler sind in letzter Zeit hoch eingeschätzt worden.
Doch zu einer rechten Würdigung fehlte auch da,
daß man sie als die Höhepunkte einer eigenwertigen
deutschen Produktion ansieht.

Allerdings stand die deutsche Malerei dieser Zeiten
im Schatten des Auslandes, von wo die bewegenden
Taten ausgingen. Doch besagt dieses Zurückstehen,
wie wir sehen werden, nicht, daß es hier eine selb-
ständige Auseinandersetzung mit dem Zeitgeist nicht
gab. In beiden Jahrhunderten brachte Deutschland
 
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