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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 26.1915

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Clemen, Paul: Die belgischen Baudenkmäler
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KUNSTCHRONIK

Neue Folge. XXVI. Jahrgang 1914/1915 Nr. 10. 4. Dezember 1914

Die Kunstchronik und der Kunstmarkt erscheinen am Freitage jeder Woche (im Juli und August nach Bedarf) und kosten halbjährlich 6 Mark.
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leisten Redaktion und Verlagshandlung keine Oewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E.A.Seemann, Leipzig, Hospitalstr. 11 a.
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DIE BELGISCHEN BAUDENKMÄLER
von Paul Clemen

H.1)

Das Gesamtergebnis meiner im Auftrage des Reichs-
amts des Innern gemachten Feststellung ist, daß
nirgendwo auf belgischem Boden unersetzliche archi-
tektonische Werte zugrunde gegangen sind, daß kein
einziges der großen Monumente der flandrischen und
brabantischen Kunst zerstört und daß bei allen den
Denkmälern, die unter dem Kriege zu leiden gehabt
haben, die Substanz des Bauwerkes selbst erhalten
ist. In keinem einzigen Falle haben die den Bau-
werken durch das Bombardement oder die Feuers-
brunst zugefügten Beschädigungen das Bilden von
Setzungen und Senkungen, von bedrohlichen Rissen
in Mauern und Gewölben zur Folge gehabt. In
keinem Falle stehen der völligen Wiederherstellung
vom konservatorischen wie vom technischen Stand-
punkte Schwierigkeiten entgegen.

Die Schäden können mit relativ beschränkten
Kosten beseitigt werden. Bei allen Bauwerken ist
Fürsorge getroffen, daß — soweit die erste provi-
sorische Sicherung in Betracht kommt, durch Auf-
führen von Notdächern, vorläufiges Schließen der
Mauerlücken, Verschalen der offenen Fenster, Abdecken
der Gewölbe und Mauerkronen -— diese Arbeiten
noch vor Beginn des Winters in Angriff genommen
werden. Es kann sich jetzt naturgemäß nur um diese
Notverbände handeln, für die systematische Wieder-
herstellung ist die Zeit noch nicht gekommen.

Es ist nur ein ganz kleiner Ausschnitt aus der
belgischen Karte, innerhalb dessen diese Zerstörungen
liegen: die Linie an der Maas, der Weg von Lüttich
nach Brüssel, das Schlachtfeld um Antwerpen, die
Rückzugslinie der Verbündeten gegen Westen. In dem
ganzen übrigen Belgien, so weit es von uns besetzt
ist, ist zurzeit nichts von Beschädigungen wichtiger,
in öffentlichem Besitz befindlicher Baudenkmäler zu
verzeichnen. Relativ am meisten gelitten haben unter
den belgischen Städten Löwen, Mecheln, Lier, Dinant.

In Löwen ist bei der Feuersbrunst, die den schmalen
Streifen vom Stadtzentrum bis zum Bahnhof verheert
hat — entsprechend einem knappen Sechstel des
ganzen Stadtumfangs — die gotische Peterskirche von
dem Flugfeuer ergriffen worden. Der Brand hat die
Dächer über dem Langhaus und Querschiff wie über
den Seitenschiffen verzehrt. Die Gewölbe haben aber
standgehalten, nur im Chorabschluß sind die Kappen
und Gewölbeanfänger völlig heruntergebrochen. Der
achtseitige hölzerne, geschieferte barocke Vierungsturm,
der das Glockenspiel enthielt, ist dabei natürlich auch

1) Vgl. auch Nr. 9 vom 27. November.

zusammengestürzt. Das Mauerwerk des Hauptturmes,
der schon 1606 seine Spitze verloren hat, ist aber
unverletzt. Der Brand hat in den südlichen Kreuzarm
hineingeschlagen und dort den Renaissancewindfang
wie den an der Ostwand stehenden barocken Altar
zerstört. Ebenso ist das erste östliche Joch des süd-
lichen Seitenschiffes von dem Feuer ergriffen worden.
Die starke Hitze hat hier wie an der Ostmauer des
Kreuzarmes die Hausteinverkleidung völlig ausgeglüht,
doch ist der Kern des Mauerwerkes nicht angegriffen.
Der eine freistehende Pfeiler trägt noch ganz sicher.
Die Ausstemmung und Auswechslung der zerstörten
Hausteine ist deshalb eine ganz einfache und unbe-
denkliche Maßnahme. Unter der Leitung des er-
fahrenen Architekten Piscador von Löwen wird bereits
ein solides und kräftiges Notdach über dem ganzen
Bau in flacher Neigung ausgeführt.

Das Rathaus zu Löwen, das Werk Matthäus de
Layens, unter den spätgotischen Rathausbauten Belgiens
die reichste, aber nicht als Komposition die voll-
endetste Schöpfung, die in ihrer Überhäufung mit
plastischem Schmuck eher einem kostbaren Reliquien-
schrein als einem baulichen Organismus gleicht, ist
dank der aufopfernden Bemühungen des Komman-
danten der deutschen Truppen, der die westlich an-
grenzenden Häuser sprengen ließ, völlig erhalten
geblieben.

Der schmerzlichste Verlust in ganz Belgien ist der
Brand der Löwener Universitätsbibliothek, die, als das
Feuer einmal die im Westen unmittelbar anstoßenden
Häuser ergriffen hatte, nicht zu retten war — keine
Einrichtung war getroffen, den Büchersaal, der seine
großen Fenster unbeschützt gegen die Nachbarhäuser
wandte, vor den Flammen zu bewahren. Das Mauer-
werk des gotischen Unterbaues, der der ehemaligen
Tuchhalle des Jahres 1317 angehört, mit der reiz-
vollen durchlaufenden gotischen Blendenarchitektur
über den großen Portalen des Erdgeschosses, ist aber
ebensogut erhalten wie das barocke, erst 1680 auf-
geführte Obergeschoß mit den beiden Giebeln. Auch
die alte Inneneinteilung des ehemals zweischiffigen
Raumes ist erhalten, nur zwei Säulen würden hier
auszuwechseln sein. Untergegangen ist natürlich auch
das Holzwerk der barocken Treppe und die barocke
Ausstattung des großen oberen Büchersaales mit seinen
Schätzen an Büchern und Handschriften.

In Mecheln haben bei den wiederholten Be-
schießungen von belgischer wie von deutscher Seite
die beiden gotischen Hauptkirchen, die Metropolitan-
kirche St. Romuald wie die Liebfrauenkirche jenseits
der Dyle verschiedentliche Schäden erlitten. Der mäch-
tige unvollendete 97 m hohe Westturm von St. Romuald
trägt deutliche Spuren von Schrapnellschüssen, die an
 
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