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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 26.1915

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Wallerstein, Victor: Eine Gruppe deutscher Gemälde des 15. Jahrhunderts
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Mitteilungen aus ausländischen Kunstzeitschriften, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.6190#0080

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141

Mitteilungen aus ausländischen Kunstzeitschriften

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lieh nicht zugehörig gewesen zu sein, denn die Da-
tierung des Altares — die deutlich auch vom Rahmen
der Mitteltafel zu lesen ist — das Jahr 1519, kann
für die Flügel nicht zutreffen.

Die Außenseiten dieses Flügels tragen Darstellungen
des Ölbergs und der Geißelung Christi, während auf
den Innenseiten die lebensgroßen Einzelgestalten der
Heiligen Andreas und Bartholomäus gemalt sind.
Die Außenseiten sind flüchtiger ausgeführt und
weniger gut erhalten, weswegen sie auch für den
Vergleich erst in zweiter Linie in Frage kommen

Die Flügel sind später entstanden als die früher
besprochenen Tafeln. Die Formen sind im Vergleiche
zu diesen reicher und stellenweise auch weicher,
fließender geworden. Die Ausführung geht auch auf
das Kleine und Zierliche ein. (Die Photographien
zeigen diese Unterschiede viel stärker als die Originale.)
Die Farbenskala wird durch ausgiebige Verwendung
von Weiß umfangreicher und fester gebunden.

Die allgemeine Auffassung aber, die diesen beiden
Tafeln zugrunde liegt, ist dieselbe wie in den Tafeln
von Stuttgart und Lichtenstein. Der Hauptton liegt
auf der Darstellung der menschlichen Figur. Die
körperlichen Massen werden nicht der Tiefenrichtung
nach, sondern so angeordnet, daß eine abgewogene
Aufteilung der Fläche zustande kommt. Von ob-
jektiv naturalistischen Beobachtungen gibt der Maler
nur so viel wie auf den Bildern von Lichtenstein und
Stuttgart.

Im einzelnen ist zuerst auf die Verwandtschaft im
Faltenwurf hinzuweisen. Dieselben röhrenarlig quer
zur Hauptachse gelegten und an den Enden ge-
brochenen Faltengruppen (hl. Andreas, schlafender
Jünger, Ölberg und Apostel im »Pfingstfest«) wobei
die großen unten abschließenden Gewandbogen,
(Christus, Ölberg) der in wenigen lebhaften Wellen
fallende Mantel des hl. Bartholomäus für die spätere
Entstehung sprechen.

Gemeinsam ist ferner in allen Bildern der schema-
tische Aufbau des Schädels, der besonders betonte
Einschnitt zwischen Augenbogen und Jochbein, der
stark vorgeschobene Unterkiefer (Andreas, Berlin und
der Apostel rechts von Maria, Pfingstfest) und der
Bart mit seinen scharfen gliedernden Furchen (Andreas,
Berlin, Apostel »Pfingstfest«) endlich die unorganische
Auffassung des Haupthaares, das wie eine Pelzkappe
behandelt erscheint (Bartholomäus, Berlin und vier
Apostel Pfingstfest).

Eine Übereinstimmung zeigt sich auch in den
Händen. Nicht nur darin, daß diese in allen Bildern
besonders stark betont werden, sondern auch in deren
eigenster Form und Bewegung. In allen Händen ist
eine gewisse Ähnlichkeit der Zeichnung und Ärmlich-
keit der Gesten zu merken. Ist dem Maler einmal
eine gelungen, so hält er sie fest und verwendet sie
immer wieder (Dreikönigsbild: Josef und der jüngste
König, »Pfingstfest«: Maria und der dritte Apostel
rechts, Andreas und Bartholomäus). Die Zeichnung
der Augen, Ohren (Josef, Anbetung und Andreas
Berlin) und Nase sind sehr ähnlich, wenn auch nicht
identisch. Sie ist auf den Berliner Flügeln summarisch,

aber doch reicher und schärfer als auf den übrigen
Bildern, Einzelheiten, die auf die spätere Entstehung
weisen. Übereinstimmend hierzu, reicher und viel-
fältiger, aber in der allgemeinen Auffassung gleich
sind die Blumen des Grundes auf dem »Pfingstfest«
und unseren Flügeln, beide Male rein dekorativ ver-
streut.

Was die Farbenkomposition betrifft, ist es auf-
fallend, wie sowohl auf dem Ursulabilde, als auch
auf der Geißelung in Berlin die spitzen Mützen mit
ihrer roten Farbe in den blauen Himmel ragen, wie
die farbigen Schuhe, übrigens von derselben Form
und fast in denselben Falten, den Grund farbig be-
leben sollen. Die Vorderseiten der Berliner Tafeln
zeigen, wie zwei der übrigen Bilder, Goldgrund.

Das sind Einzelheiten, die nicht mehr durch die
gleichzeitige Entstehung allein zu erklären sind; deren
Übereinstimmuug muß zu mindest auf einem engen
Zusammenschluß der Schulen oder Werkstätten beruhen,
aus welchen diese einzelnen Bilder hervorgegangen
sind. Wie diese Gruppe von Werken örtlich einzu-
ordnen ist, läßt sich mit Bestimmtheit nicht sagen.
Zunächst weist der äußere Umstand, daß drei der
Bilder in Stuttgart und in der Nähe von Stuttgart
aufbewahrt werden, auf Schwaben hin. Man wird sie,
da sie bisher wenig beachtet wurden, von weit her
nicht herangeholt haben. (Meine Anfragen nach In-
ventarnotizen blieben von allen Seiten unbeantwortet.)
Dieser Zuschreibung widerspricht auch stilistisch nichts.
Die allgemeinen Verwandtschaften mit dem weiteren
Kreise Multscherscher Kunst wie die Naturauffassung,
die diese vertritt, ist durchaus ähnlich. Die Behand-
lung der farbigen Flächen als wenig abgestufte und
nur durch eigenen Zusammenhang beeinflußte Werte,
hat sich besonders in der schwäbischen Kunst bis in
die zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts erhalten.

Vielleicht wird es möglich sein, noch mehr Werke
dieser Gruppe anzureihen und dann gleichzeitig Näheres
über den Maler oder die Werkstatt zu erfahren.

VICTOR WALLERSTEIN.

MITTEILUNGEN AUS AUSLÄNDISCHEN KUNST-
ZEITSCHRIFTEN

II1)

In »De Gids«, der altbekannten holländischen lite-
rarischen Monatsschrift, schreibt der Maler und Kunst-
historiker Dr. Jan Veth, der sich schon früher um die
Nachtwache-Frage bemüht hat2), immer behauptend, Rem-
brandts Meisterwerk sei unbesehnitten zu uns gekommen,
einen Aufsatz, den er »Altes und Neues über Rembrandts
Nachtwache« nennt. Anlaß dazu gaben zwei Studien des
Direktors des Rotterdamer Museums, F. Schmidt-Degener,
in der Januar- und August-Nummer von »Onze Kunst«
über die Beziehungen zwischen dem bekannten Gemälde
in grau »Die Einheit des Landes« und der Nachtwache,
und über die Frage der Verstümmelung der Nachtwache.
Dr. J. Veth bewundert den leidenschaftlichen Spürsinn
seines jüngeren Kollegen und die Geschicklichkeit seiner

1) Vgl. auch Nummer 3.

2) 1899 veröffentlichte Dr. Jan Veth »Een Bydrage
over Rembrandt« Amsterdam, Verlag Scheltema & Holkema.
 
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