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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 26.1915

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Tietze, Hans: Ernst Heidrich: ein Gedenkwort
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https://doi.org/10.11588/diglit.6190#0094

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KUNSTCHRONIK

Neue Folge. XXVI. Jahrgang 1914/1915 Nr. 13. 25. Dezember 1914

Die Kunstchronik und der Kunstraarkt erscheinen am Freitage jeder Woche (im Juli und August nach Bedarf) und kosten halbjährlich 6 Mark.
Man abonniert bei jeder Buchhandlung, beim Verlage oder bei der Post. Für Zeichnungen, Manuskripte usw., die unverlangt eingesandt werden,
leisten Redaktion und Verlagshandlung keine Gewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E. A. Seemann, Leipzig, Hospitalstr. 11 a.
Abonnenten der Zeitschrift für bildende Kunst erhalten Kunstchronik und Kunstmarkt kostenfrei. Anzeigen 30 Pf. die Petitzeile; Vorzugsplätze teurer.

ERNST HE1DRICH

Ein Gedenkwort
von Hans Tietze

Am 4. November hat Ernst Heidrich bei Dix-
muiden den Tod fürs Vaterland erlitten. Obwohl der
Zufall wollte, daß wir niemals zusammengetroffen
sind, ist mir doch, als wäre mir ein lieber, eng ver-
trauter Freund gestorben. Ich meine, daß es vielen
ähnlich zumute sein muß. Denn mein Gefühl baut
sich nicht auf persönlichen Umständen auf, auf seinen
Briefen etwa, in denen er mit unvergleichlich warmer
Herzlichkeit auf die Interessen des anderen einzugehen
verstand und besonders gern das Gemeinsame von
Arbeitszielen dort hervorhob, wo der Ausgangspunkt
ursprünglich ein ganz verschiedener gewesen war,
sondern dieses über bloße wissenschaftliche Verehrung
weit hinausgehende Mitempfinden bei der erschüt-
ternden Todesnachricht erwächst aus den einzigartigen
Eigenschaften Heidrichs als Schriftsteller und Forscher.
Was er mir durch diese ist, war er den vielen, an
die sich seine Bände in der Diederichsschen Samm-
lung »Die Kunst in Bildern« wandten; denn er besaß
in höherem Grade als gegenwärtig ein anderer unseres
Fachs die Gabe, zu einer großen Gemeinde zu sprechen,
Dinge zu sagen, die über einen engen Kreis beruflich
Interessierter hinaus der Allgemeinheit zu wissen not-
tut. Er war so einfach, daß es keiner Fachkenntnisse
bedarf, ihm zu folgen; er war so geistvoll, daß alles,
was er darstellte, völlig neu und ursprünglich gesehen
erscheint; er war so zwingend ehrlich, daß man den
Menschen hinter jeder Zeile fühlt und stark emp-
findet, wie durchaus überzeugt jedes Wort ist; und
er war endlich ein so glänzender Schriftsteller, daß
seiner gedrängten und vornehmen Sprache stets Wen-
dungen von packender Anschaulichkeit zur Verfügung
standen. Diese außerordentlichen Tugenden haben
Heidrich zum vorzüglichsten Erzieher der Nation auf
dem Gebiet der Kunstgeschichte bestimmt. Populär
sein hieß ihm nicht halbe Arbeit, sondern doppelte
Pflicht; was für einen weiten Kreis bestimmt war,
mußte sorgsamer erwogen, peinlicher ausgefeilt, klarer
durchleuchtet, lebendiger dargestellt sein. Daß Heidrich
zwischen Zunftgenossen und großem Publikum keinen
Unterschied machte, in einem Ton zu Gelehrten und
Ungelehrten sprach, macht seine Bücher zu wert-
vollem Gemeinbesitz des deutschen Volkes; der Spe-
zialist wird reich durch sie gefördert, der Laie findet
in ihnen den zuverlässigen Freund, der ihm — höchst
ungleich den verzückten Schwarmgeistern, die die
Führung auf diesem Gebiet an sich gerissen haben —
den Weg zum geschichtlichen Begreifen großer künst-
lerischer Geschehnisse der Vergangenheit bahnt.

Die Fähigkeit, sein reiches Wissen zu einem Stück
Menschlichkeit umzuschmelzen, erschöpft nicht, was
Heidrichs Tätigkeit über die engen fachwissenschaft-
lichen Grenzen zu einem kulturellen Wirken erhebt.
Die gleiche Ehrlichkeit und das gleiche Verantwortungs-
gefühl haben ihn innerhalb der sich stark zersplittern-
den Kunstgeschichte seine wissenschaftliche Richtung
finden lassen; zu gewissenhaft, um ein Parteimann,
zu großherzig, ein Zelot zu sein, hat er sich keiner
der Tendenzen, die um die Herrschaft innerhalb unserer
Disziplin kämpfen, blind hingegeben, sondern ver-
sucht, das Wertvolle von links und rechts zu nehmen
und zu verwenden. Seinem gesunden Menschen-
verstand entging nicht, daß diese Gegensätze vielfach
scheinbare sind und daß sich hinter dem wild wuchern-
den Gestrüpp von Schlagwörtern und Parteirufen ein
weites Gelände erstreckt, das allen, die guten Willens
sind, woher immer sie kommen, Platz zu ehrlicher
gemeinsamer Arbeit bietet. Durch sein Beispiel war
Heidrich zum Führer derer bestimmt, die eine solche
Ralliierung aller tüchtigen Kräfte in der Kunstgeschichte
für möglich und notwendig halten; seine eigene Arbeit,
die von Wölfflins künstlerischer Erfassung des ge-
schichtlich gegebenen Stoffes herkommt, die sich in
ehrlichem Ringen mit der unerbittlichen Teleologie
und dem strengen Objektivismus Riegls auseinander-
zusetzen trachtet und einen der wertvollsten Versuche
darstellt, das künstlerische Geschehen im Sinne Dehios
aus seinen geschichtlichen Bedingungen begreiflich zu
machen, ist ein in die Zukunft deutender Beweis da-
für, daß sich die scheinbar auseinanderstrebenden
Forschungsweisen synthetisch zusammenfassen lassen.
In der klaren Persönlichkeit Heidrichs waren die
Widersprüche mühelos aufgelöst; in seinem Werk läßt
sich das stetige Ausreifen und Ausweiten dieser neuen
und fruchtbaren Auffassung Schritt für Schritt verfolgen.

Die »Geschichte des Dürerschen Marienbildes«
(Leipzig 1906) trägt noch die Zeichen der Jugend-
arbeit an sich. Nicht daß hinter den mit sorgfältig
geschulter Feinfühligkeit durchgeführten Analysen der
Dürerschen Mariendarstellungen das gänzlich verborgen
bliebe, was für Heidrich später besonders charakte-
ristisch ist, aber das Einzelproblem, an dem er hier
das Herüberwachsen des mittelalterlichen Geistes in
die moderne Gesinnung schildert, ist doch einerseits
zu speziell, um einer eindringenden Darlegung des
riesenhaften Ereignisses als Fundament dienen zu
können, andrerseits zu eng mit reinen Fragen der
formalen Gestaltung verknüpft, als daß diese nicht
immer wieder das Übergewicht gewinnen oder zu-
mindest beanspruchen sollten. So liegen die Er-
klärungen von Formproblemen und Ausdrucksbe-
strebungen, die im einzelnen schon überraschend
 
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