Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 26.1915

DOI Artikel:
Eisler, Max: Das Marktbild von Ypern
DOI Artikel:
Verschiedenes / Inserate
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.6190#0210

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
401

Nekrologe

402

Renaissance nicht bestehen. In der Beseitigung beider
leistet die neue Baukunst prinzipielle Arbeit: dort
Einfluchtung und Gradlegung, hier Aufhebung des
Zusammenhanges zwischen zwei besonderen Raum-
bildern, Abschluß im Sinne einer in sich ruhenden
und ganzen Einheit. An Stelle des ununterbrochenen
gotischen Flusses, der von der organischen Vorge-
schichte des Stadtbildes her das Ineinandergreifen und
Übergehen von Glied zu Glied, also den überall
gegenwärtigen Zusammenhang des ganzen Stadtkörpers
vor Augen hatte, setzt die Renaissance die Heraus-
arbeitung des in sich geschlossenen, aus sich selber
als Ganzes ansprechenden Raumstückes. Das Trennende
wird betont, das Verbindende zum untergeordneten
Motiv.

Dieser Gang des raumbildlichen Geschehens ist
besonders frappierend, wo sich die Renaissance auf dem
Boden der gotischen Anlage mit ihrer Vorgängerin
auseinandersetzt und damit den Gegensatz schlagender
zu erkennen gibt als im Kreise ihres selbständigen
Schaffens. Der Fall des Yperner Marktplatzes gibt
ein besonders klares und mannigfaltiges Beispiel. Die
beiden Neubauten, auf denen die Umgestaltung des
alten Marktbildes beruht, sind das »Nieuwerk« und die
Conciergerie. Jenes 1620—24, wohl nach den Plänen
Jan Sporemans, diese 1633 errichtet, bilden beide
Architekturen eine baugeschichtlich zusammengehörige
Leistung der — wie auch sonst in den Niederlanden
— im ersten Drittel des Jahrhunderts kraftvoll gegen
die Gotik vorrückenden Renaissance, — das Zeichen
der neuen Kunsterhebung im Gefolge des nach ver-
nichtenden Revolutionen wiedergewonnenen Friedens
und der in ihm erstarkten und gesammelten stadt-
wirtschaftlichen Kräfte.

Indem das Nieuwerk, wieder als Anbau, in die
Fluchtlinie der Tuchhalle zurücktrat, wurde aus Hallen
und Marktplatz ein Gesamtraum, innerhalb dessen die
Baumasse des beherrschenden Blockwürfels in ein-
fache Gegenwirkung zu dem vorbei- und ausflutenden
Freiraume trat. Dieser in sich verselbständigten Raum-
einheit fehlte gegen die Kirche hin noch der Abschluß,
den jetzt die im Eck an den Norden des Nieuwerkes
anschließende Conciergerie besorgte. Der Hallenbogen,
der dort vom Markte zum Kirchenplatze führte, hob
das trennende Gelenk beider Räume auffälliger hervor,
als es ein blinder Abschluß erreicht hätte. Denn ge-
rade die Durchsicht unter der Bogenspannung machte
den Blick auf die Unterscheidung beider Räume be-
sonders aufmerksam. Der Fernsicht in der Hauptachse
aus dem Marktosten her erschien jetzt das überragende
Kirchenstück als deutlich abgetrennter Bestandteil eines
marktfremd gewordenen Sonderraumes.

Die Wandlung war schlagend. Das Nieuwerk
trat einerseits an Stelle einer marktteilenden kubischen
Funktion als untergeordnetes Schmuckglied, das dem
Ernst und der Macht des alten Austausches von Hallen-
und Freiraum zierlich widersprach und schon in seiner
äußeren Erscheinung als befremdliches und unorga-
nisches Füllsel erschien, und brachte andererseits, zu-
sammen mit der Conciergerie, eine neuartige kubische
Lösung, die hier ebenso dem Sinn des Gewordenen

zuwiderlief und als Verpflanzung eines auf dem Eigen-
boden des Stiles gewonnenen, im gotischen Bezirke
unangebrachten Prinzips anmuten mußte; denn die
Trennung von Markt- und Kirchenplatz, dem auch
das Rathaus angehörte, hob auch die bauliche Zu-
sammenfassung der stadlbildenden Kulturkräfte auf,
welche die Gotik im Kernraum ihrer Städte als ein
ineinander greifendes, ineinander wirkendes Ganze vor-
geführt hatte. Kultur und Kunst gehen jetzt getrennte
Wege. Nur mit solchen Opfern konnte hier die
Renaissance, die überdies den einfachen kubischen
Guß der Tuchhalle durch eine Freitreppe vor der
Frontmitte beleben zu müssen glaubte, ihr Ziel der

geschlossenen Raumeinheit verwirklichen.

* *
*

Wenn das Barock hier nicht — wie sonstwo —
bestimmend eingriff, so lag das in erster Linie an dem
allgemeinen Stillstand des Stadtlebens. Zu Anfang
des 17. Jahrhunderts zählte man etwa 5000 Einwohner.
Immerhin hat diese Stilart das Raumbild in ihrem
Sinne gefördert, indem sie der Leere des Marktostens
in einem breit gelagerten Kaskadenbrunnen ein Zentrum
der räumlichen Bewegung gab, das den lebhaften
kubischen Wechsel des der Monotonie des Grund-
rechteckes entgegenwirkenden Häuserkranzes in ge-
sammelte Spannung brachte.

Alles Spätere ist Niedergang. Altes wird abge-
räumt — wie die Hallenfreitreppe und das barocke
Bassin —, Neues nicht mehr hinzugefügt. Aber der
Große Markt von Ypern bleibt ein Prachtwerk der
Raumkunst, kraft der alle Verschleierung und Entstellung
überdauernden Grundzüge seiner gotischen Anlage.

Mehr als vier Jahrhunderte hat er den schlimmsten
äußeren Anfeindungen und den noch gefährlicheren
der sinkenden Stadtkultur standgehalten, seine Wesens-
züge schienen unverwüstlich. Jetzt hat ein Krieg, der
seinesgleichen nicht kennt, gerade diesen von alters-
her von jeder Heimsuchung bestürmten Ort seit Mo-
naten zur Stätte des erbittertsten Austrags genommen.

MAX EISLER- WIEN.

NEKROLOGE
Regierungsbaumeister Dr. Heinrich Kohl ist in der
Champagne gefallen. Kohl hatte sich gerade für Ge-
schichte für Architektur an der Technischen Hochschule in
Hannover habilitiert, als er ins Feld rückte. Er hat ein
Alter von 37 Jahren erreicht. Ein Schüler Otto Puchsteins
hat Kohl sich besonders bei den Aufnahmen der deutschen
Ausgrabungen im Orient hervorgetan. Zuerst war er im
Jahre 1900 bei den römischen Ruinen von Baalbek be-
schäftigt, und Baalbek galt auch seine letzte größere Arbeit,
die Darstellung der mächtigen arabischen Burg, die Kohl
im Zusammenhang der Burgbauten Syriens untersucht hat.
Neben der Tätigkeit im praktischen Baudienst galt Kohls
Interesse immer der archäologischen Arbeit im Orient. Die
antiken Ruinenstätten Syriens hat er studiert, in Palästina
mit Watzinger die alten Synagogen durchforscht, dann in
Petra und mit Puchstein im Auftrage des Deutschen Archäo-
logischen Instituts in Boghazköi, der Hauptstadt der He-
thiter, im Innern Kleinasiens gearbeitet.

Dr. Eduard Brenner, der Direktor des Wiesbadener
Museums, ist auf dem österreichischen Kriegsschauplatz
gefallen. Er stand seit September 1914 im Felde und war
 
Annotationen