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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 26.1915

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Schumann, Paul: Max Lehrs zum 60. Geburtstage
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KUNSTCHRONIK

Neue Folge. XXVI. Jahrgang 1914/1915 Nr. 38. 18. Juni 1915

Die Kunstchronik und der Kunstmarkt erscheinen am Freitage jeder Woche (im Juli und August nach Bedarf) und kosten halbjährlich 6 Mark.
Man abonniert bei jeder Buchhandlung, beim Verlage oder bei der Post. Für Zeichnungen, Manuskripte usw., die unverlangt eingesandt werden,
leisten Redaktion und Verlagshandlung keine Gewähr. Alle Brietschaften und Sendungen sind zu richten an E. A. Seemann, Leipzig, Hospitalstr. 11 a.
Abonnenten der Zeitschrift für bildende Kunst erhalten Kunstchronik und Kunstmarkt kostenfrei. Anzeigen 30 Pf. die Petitzeile; Vorzugsplätze teurer.

MAX LEHRS ZUM 60. GEBURTSTAGE

Max Lehrs, der Direktor des Kgl. Kupferstich-
kabinetts zu Dresden, wird am 24. Juni 60 Jahre alt.
Wer seine frische, lebendige, allem hoffnungsvoll Neuen
zugewandte Persönlichkeit kennt, wird besonders dank-
bar der großen Verdienste gedenken, die er sich in jahr-
zehntelanger erfolgreicher Tätigkeit um das Kabinett,
um die Kunstpflege Dresdens und um die Wissenschaft
erworben hat. Man tut Lehrs' Vorgängern in seinem
Amt durchaus kein Unrecht, wenn man sagt, daß sich
das Kabinett vor ihm in mehrfacher Beziehung in
einem jammervollen Zustande befand. Die kostbaren
Stiche der alten Meister, wie Dürer und Holbein, wurden
damals ohne jede Rücksicht auf fürsorgliche Erhal-
tung in Klebebänden aus rauhem Papier aufbewahrt,
so daß sich das Papier bei jedem Umwenden auf
den Stichen rieb und diese allmählich vernichtete.
Viele dicke Bände, in denen die kostbarsten Selten-
heiten ohne Ordnung aufgeklebt waren, lagerten un-
verzeichnet im Magazin und waren weder den Kunst-
freunden, noch der Wissenschaft zugänglich. Das
Kabinett selbst war zwar dem freien Besuch zugäng-
lich, aber man wurde dort mürrisch und widerwillig
aufgenommen und fand bei seinen Studien keinerlei
Unterstützung. Verlangte man Holzschnitte nach Lud-
wig Richter, so sagte einem wohl der Inspektor, man
solle doch lieber Raffael ansehen als solches kind-
liches Zeug. Einigermaßen geborgen war man nur,
wenn man dem alten Aufseher von Zeit zu Zeit ein
ordentliches Trinkgeld gab. Man wundert sich bei
diesen Umständen nicht, wenn das Kupferstichkabinett
in der Reihe der Dresdner Kunstsammlungen, wie
auch in der Kunstwissenschaft, keinerlei Rolle spielte.

In allen diesen Punkten hat Max Lehrs gründlich
Wandel geschaffen. Schon als Direktorialassistent
unter der Oberleitung Karl Wörmanns, dann aber als
selbständiger Direktor hat er das Kgl. Kupferstich-
kabinett zu einer Kunststätte ersten Ranges gemacht,
die wieder internationalen Ruf genießt. Wieder er-
schienen seit Lehrs' Amtsantritt Vertreter des Dresdner
Kupferstichkabinetts auf den großen Kupferstichver-
steigerungen, und ihre Ankäufe nötigten Achtung ab.
Vor allem wurden die verdorbenen Blätter der alten
Meister durch bessere Abdrücke ersetzt und ihr Werk
planmäßig durch Zukäufe ergänzt. Zugleich wurden
die alten magazinierten Bestände sorgfältig durchge-
sehen und dabei staunenswerte Entdeckungen gemacht.
So findet man jetzt im Kabinett, um nur ein Beispiel
zu geben, unvergleichliche Sammlungen von Stichen
des Meisters ES und Martin Schongauers, die teils
aus jenen alten, vorher nicht verwerteten Beständen
des Kabinetts, teils durch die neuen Ankäufe ent-

standen sind und jetzt einen bedeutsamen Ruhmes-
titel des Kabinetts ausmachen. Für die Geschichte
des Kupferstichs im 15. Jahrhundert ist das Dresdner
Kabinett durch Lehrs eine der wichtigsten Studien-
stätten geworden.

Außer den alten Meistern aber pflegte Lehrs mit
voller Hingabe auch die moderne Graphik. Als erster
unter den Verwaltern öffentlicher Kunstsammlungen
erkannte er, welche Blüteperiode der graphischen
Kunst um 1880 begann, erkannte er zugleich auch
die Notwendigkeit, die Erzeugnisse dieser modernen
Kunst zu sammeln, und alsbald ging er an diese
Aufgabe mit vollem Eifer und mit voller Liebe. Heute
sind, um nur einiges anzuführen, Köpping, Klinger und
Greiner, Geyger, Stauffer-Bern, Liebermann, Thoma
glänzend vertreten, von Whistler, Legros, Shannon,
Rops, Toulouse-Lautrec, Millet, Meryon, Manet, Lunois,
Steinlen, Forain, von den hervorragendsten hollän-
dischen und skandinavischen Meistern sind die be-
deutendsten Blätter vorhanden. Von Adolf Menzel, der
bis 1882 im Kabinett überhaupt nicht vertreten war,
besitzt dieses jetzt 500 Blatt. Die Werke der älteren
sächsischen Künstler, vor allem Ludwig Richters, der
bis dahin ganz ungenügend vertreten war, wurden
vervollständigt. Das Werk Hugo Bürckners — und
damit Rethel, Schwind, Führig, Hübner, Pletsch u.v.a. —
wurde um 2000 Blatt ergänzt, und damit wurde eine
Lücke ergänzt, die man im Dresdner Kabinett über-
haupt nicht vermutet hätte. Ferner erwarb Lehrs die
unvergleichliche Sammlung der Handzeichnungen und
Aquarelle Alfred Rethels, die zu den bedeutendsten
Werken der Kunst des 19. Jahrhunderts gehört.

Der Vollständigkeit wegen sei an dieser Stelle er-
wähnt, daß in der kurzen Zwischenzeit, die Lehrs als
Direktor des Kgl. Kupferstichkabinetts zu Berlin ver-
lebte, die wundervolle Sammlung von Aquarellen und
Handzeichnungen von Meistern des 19. Jahrhunderts,
besonders Ludwig Richters aus dem Nachlaß des Kunst-
sammlers Cichorius für das Dresdner Kabinett erworben
wurde. Als Ergebnis der Tätigkeit von Max Lehrs auf
diesem Gebiete kann man feststellen, daß man das zeit-
genössische Kunstschaffen in der Graphik nirgends so
eingehend studieren kann, wie im Dresdner Kabinett,
nirgends auch mit so hohem künstlerischen Genuß,
denn Lehrs hat mit dem feinsten Geschmack und mit
dem vollen Verständnis für das echt Künstlerische ge-
wählt und gekauft und alles Minderwertige unerbitt-
lich ferngehalten. Daß er es dabei verstanden hat,
dem Kabinett auch eine Menge von Freunden und
Stiftern zu erwerben und ihm eine Fülle von ge-
eigneten Geschenken zuzuführen, sei nur nebenbei
erwähnt.

Er hat es auch nicht versäumt, dem künstlerischen
 
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