Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 26.1915

DOI Artikel:
Panofsky, Erwin: Das perspektivische Verfahren Leone Battista Albertis
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.6190#0262

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
KUNSTCHRONIK

Neue Folge. XXVI. Jahrgang 1914/1915 Nr. 41/42. 6. August 1915

Die Kunstchronik und der Kunstmarkt erscheinen am Freitage jeder Woche (im Juli und August nach Bedarf) und kosten halbjährlich 6 Mark.
Man abonniert bei jeder Buchhandlung, beim Verlage oder bei der Post. Für Zeichnungen, Manuskripte usw., die unverlangt eingesandt werden,
leisten Redaktion und Verlagshandlung keine Gewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E.A.Seemann, Leipzig, Hospitalstr. 11 a.
Abonnenten der Zeitschrift für bildende Kunst erhalten Kunstchronik und Kunstmarkt kostenfrei. Anzeigen 30 Pf. die Petitzeile; Vorzugsplätze teurer.

Die nächste Nummer der Kunstchronik (Nr. 43) erscheint Anfang September

DAS PERSPEKTIVISCHE VERFAHREN
LEONE BATTISTA ALBERTIS

von E. Panofsky

Ein jüngst erschienener Aufsatz von G. J. Kernx)
gibt uns Veranlassung, eine Frage zu erörtern, die
trotz ihres nur kunsttheoretischen Interesses ziemlich
oft zur Diskussion gestanden hat, in der bisherigen
Literatur bald bejaht2), bald verneint8) worden ist,
und jetzt durch Kern endgültig im positiven Sinne
entschieden werden soll: die Frage, ob die perspek-
tivische Konstruktionsanweisung, dieAlberti im ersten
Buch seines Trattato della pittura mitteilt4), bereits
als eine Beschreibung des sogenannten »Distanzpunkt-
verfahrens« aufgefaßt werden könne, das in den übrigen
italienischen Kunst-Traktaten des 15. Jahrhunderts nicht
anzutreffen ist.

»Ich beschreibe ein Rechteck von beliebiger Größe,
das ich mir wie ein offenes Fenster vorstelle, durch
das ich die hier darzustellenden Dinge erblicke.....

Und mit dieser Elle [deren Größe = 1ja des für
einen Menschen angenommenen Maßes bestimmt wird]
teile ich die Grundlinie des Bildvierecks in soviel
Teile, als darin aufgehen; und diese Linie ist dann
jeder dazu parallelen Transversalen proportional. Dann
bestimme ich innerhalb dieses Vierecks an beliebiger
Stelle einen Punkt, der da liegt, wo der Zentralstrahl
[sc. das Lot vom Auge auf die Bildebene] hinfällt,
und daher »punto centrico« [sc. Augenpunkt] heißt.. ..

Nachdem ich, wie gesagt, den Augenpunkt fixiert
habe, ziehe ich von ihm gerade Linien zu jedem Teil-
punkt der Basis. Diese Linien zeigen mir, wie die
Transversalen, ständig sich verändernd, gleichsam bis
ins Unendliche einander folgen.............

Was aber die Abfolge der Transversalen betrifft,
so verfahre ich folgendermaßen: Ich nehme eine kleine
Fläche, auf der ich eine Gerade beschreibe; diese
teile ich in ebensolche Teile wie die Grundlinie des
Bildvierecks. Darüber bestimme ich dann einen Punkt,
der ebenso hoch über der Geraden liegt wie der
Augenpunkt über der Grundlinie des Bildvierecks,
und verbinde ihn mit jedem Teilpunkte der erstge-
nannten Geraden [Alberti fügt »prima« hinzu, weil

1) Der Mazzocchio des Paolo Uccello, Jahrbuch d. kgl.
preuß. Kunstsammlungen XXXVI, p. 13 ff. Wir haben uns
hauptsächlich mit dem p. 26 Gesagten auseinanderzusetzen.

2) Wiener, Lehrbuch d. darst. Geometrie, 1884, I, p. 12.
Janitschek, L. B. Albertis kleinere kunsttheoret. Schriften.
Wien 1877, p. 231 f.

Albertis perspektivisches Verfahren — das erste,
das uns überliefert ist — dient zur Lösung einer
Aufgabe, die sozusagen das Zentralproblem der flächen-
bildlichen Raumwiedergabe bedeutet und darin besteht,
die horizontale Grundebene des darzustellenden Rau-
mes in richtiger Verkürzung und Einteilung festzu-
legen, d. h. ein horizontales Quadrat, dessen Vorder-
seite der Bildebene parallel sei, in perspektivischer
Ansicht zu konstruieren und durch eine Reihe von
Tiefenlinien (»Orthogonalen«) und Horizontallinien
(»Transversalen«) in eine Anzahl kleinerer Quadrate
zu zerlegen.

Der Wortlaut des Textes, der die Lösung dieser
Aufgabe beschreibt, ist (nach Janitscheks Ausgabe,
deren Verdeutschung jedoch öfters geändert werden
mußte) folgender:

Scrivo uno quadrangolo di retti angoli quanto
grande io voglio, el quäle reputo essere una fenestra
aperta per donde io min quello que quivi sara
dipinto...........................

Et con queste braccia segnio la linea di sotto qua
giace nel quadrangolo in tante parti, quanto ne riceva.
Et emmi questa linea medesima proportionale a
quella ultima quantita, quäle prima mi si traverso
inanzi. Poi, dentro a questo quadrangolo, dove a
me paja, fermo uno punto, il quäle occupi quello
luogo, dove il razzo centrico ferisce; et per questo il
chiamo punto centrico..................

Adunque posto il punto centrico come dissi,
segnio diritte Iinee da esso a ciascuna divisione, posta
nella linea del quadrangolo, che giace. Quali segnate
linee a me dimostrino in che modo, quasi persino in
infinito, ciascuna traversa quantita segua alterandosi____

Ma nelle quantita transverse come I'una seguiti
l'altra cosi seguito. Prendo uno picciolo spatio nel
quäle scrivo una diritta linea, et questa divido in
simile parte, in quäle divisi la linea che giace nel
quadrangolo. Poi pongo di sopra uno punto alto
da questa linea, quanto nel quadrangolo posi el punto
centrico alto dalla linea che griace nel quadrangolo;
et da questo punto tiro linee a ciascuna divisione
segniata in quella prima linea. Poi constituisco quanto

3) Ludwig, Lionardo da Vinci, das Buch von der
Malerei. Wien 1881 f., III, p. 177. Staigmüller im Reper-
torium XIV, p. 301 ff.

4) In der in Anmerkung 2 namhaft gemachten Aus-
gabe von Janitschek p. 79 ff.
 
Annotationen