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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 26.1915

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Die Sommerausstellung der Münchener Sezession
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545

Die Sommerausstellung

der Münchener Sezession

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die heurige Ausstellung, so stellt sich sehr bald ein
schmerzliches Gefühl ein. Es ist bekanntlich die
letzte Veranstaltung, die die berühmte Münchener
Künstlervereinigung in dem Haus am Königsplatz
abhält. Sicher wäre man in Friedenszeiten mit einer
mehr oder weniger umfangreichen Retrospektive gekom-
men und hätte den Münchenern und allen Freunden
deutscher Kunst gezeigt, welch große Bedeutung der
Sezession für die Geschichte der Münchener Kunst
zukommt, und sicher hätten sich dann alle Mitglieder
besonders eifrig bestrebt, durch neue Werke darzutun,
daß diese Vereinigung ihre große und durch so lange
Zeit führende Rolle noch immer nicht verloren hat.
Nun ist's aber ganz anders gekommen. Weder eine
Retrospektive, weder große Kraftanstrengung, noch
auch, was in diesem Jahre ebenso verständlich gewesen
wäre, eine sehr weitherzige Jury. Wer weiß, ob sich
das Niveau der Ausstellung nicht gehoben hätte,
wenn man bei der Auswahl der Werke möglichst
milde vorgegangen wäre. So aber ist eine Auswahl
zustande gekommen, die man alles andere als ge-
wählt bezeichnen muß. Ja, es ist bitter, sagen zu
müssen, diese Sommerausstellung ist nicht allein die
schlechteste, die uns je in dem Kunsttempel am Königs-
platz geboten wurde, sondern sie zeigt auch mit er-
schreckender Klarheit, daß die alte Sezession ihre
große Rolle ausgespielt hat. Die Gründung der Neuen
Sezession hätte die Mitglieder der Alten dazu führen
müssen, nun ihre Kräfte besonders anzustrengen, nach-
dem die Tageskritik mit einer kleinen, lobenswerten,
leider jedoch nicht weit genug gehenden Ausnahme
die Künstler mit ewig gleichem Lobgesang einlullt,
anstatt sie zu neuen Taten anzuspornen. Es ist ein
verhängnisvoller Irrtum der meisten Münchener Tages-
und Kunstzeitschriften, daß sie fürchten, dem künstle-
rischen Ruhm Münchens und den merkantilen Inter-
essen der Künstler wie der Stadt selbst Abbruch zu
tun, wenn sie mit ihren Künstlern ins Gericht gehen.
Die Kritik dünkt sich hier mächtiger als die Kunst.
Läßt das Schaffen der Künstler nach, so hilft aller
Lokalpatriotismus nichts. Man denke an Düsseldorf.
In München ist's aber so geworden, daß man, um ein
Wort unseres Kaisers zu variieren, auf den Berliner
Renner einhaut anstatt das eigene, lässig gewordene
Pferd anzuspornen. Noch weniger als im Frieden
hat es in diesem ernsten Kriegsjahr einen Zweck,
mit diesen Dingen hinterm Berg zurückzuhalten, jetzt
ist, wie nie sonst, die Stunde da, den bequem ge-
wordenen Münchener Malern ein donnerndes »Wach
auf« zuzurufen!

Ich sage vor allem den Münchener Malern. Mit
der Plastik steht es glücklicherweise etwas besser, sie ist
auch auf der diesjährigen Ausstellung der erfrischende
Lichtblick, will man von den graphischen Arbeiten
absehen, jenem Gebiet, wo Gulbranssons unvergleich-
liches Genie alles andere überstrahlt.

Unter solchen Umständen ist es kein besonderes
Kompliment gegenüber den alten Führern, wenn man
sagt, daß ihre Werke nach wie vor noch zu den
besten gehören. A. v. Keller ist in seiner Art noch
jugendlich frisch, Habermanns Selbstporträt ist eine

höchst fesselnde, durchaus persönliche Leistung. Man
erwartet von diesen beiden ja keine neuen über-
raschenden Taten mehr. Bedenklicher schon steht es
mit Stuck. Ein ganzer Raum, von Stuck selbst ent-
worfen und mit solchen Dekorationen ausgeschmückt,
würde wohl etwas milder gegen den Künstler stim-
men. Warum Trübner zwei ältere mittelmäßige
Bilder mit dem neuen, bei näherer Betrachtung doch
recht äußerlichen und rohen Porträt seines Sohnes
in Rüstung geschickt hat, ist nicht recht klar. Des-
gleichen hätte man auf Corinths älteres, für den
Künstler durchaus nicht charakteristisches Hauptmann-
porträt verzichten können. Seine »Meeresstimmung«
ist wohl lebendig, aber doch zu wenig Bild. Ener-
gisch protestieren möchte ich aber gegen Hengelers
Kunst. Mit dieser schlecht zusammengebrauten Mix-
tur von Böcklin, Stuck, Stadler und Spitzweg schadet
dieser Maler dem Ruf der gediegenen und großen
Münchener Kunst mehr als irgend ein anderer. Neben
dieser schwächlich hingeschummerten »Kriegsfurie«
wirkt ein Stucksches Bild wie eine geniale Offenbarung.
Deutsches Gemüt und Patriotismus allein geben noch
lange nicht eine deutsche Kunst. Noch schlimmer,
aber weniger gefährlich sind die Malereien von
Fr. Naager. Wie wohltuend berührt dagegen die
gesunde, durchaus ehrliche und tüchtige Art eines
Josef Damberger, der mit seinen beiden Bauern-
mädchendarstellungen sich von seiner allerbesten
Seite zeigt.

Auch Samberger weiß wie immer sich in Re-
spekt zu setzen, wenn uns auch aus seiner virtuosen
Kunst zu wenig allgemein menschliche Töne ent-
gegenklingen. Das Porträt des Malers Schiestl möchte
ich als das gelungenste von allen betrachten, während
ich das vielbewunderte Bildnis des Königs Ludwig
fast als mißglückt bezeichnen möchte. Landen-
berger ist mit seinem »Kain« nicht sonderlich
glücklich gewesen und von seinen »Badenden Jungen«
kann man diesmal sagen, daß eine Sache nicht immer
besser wird, wenn man sie ständig wiederholt. Immer-
hin gehört, wie gesagt, die Gruppe Dam-, Sam-
und Landenberger zu den erfreulichsten Erscheinungen
der Ausstellung. In einiger Entfernung davon halten sich
wacker Schramm-Zittau, Hummel, H. Groeber
und E. R. Weiß, dessen »Porträt einer Bildhauerin«
besonders hervorgehoben sei. Auch des geschmack-
vollen Stillebens von R. Nissl wäre hier zu gedenken.
A. Faure ist wie immer interessant, doch ist er seit
einiger Zeit bedenklich stehen geblieben. Von einem
bedauerlichen Rückgang muß man bei Pietzsch reden,
das Weihnachtsbild hätte der Künstler besser über-
haupt nicht ausgestellt. Noch schmerzlicher aber ist
es, sagen zu müssen, daß der von Haus aus so
talentierte H. Knirr in einer Weise verflacht, die man
nie für möglich gehalten hätte. Das virtuos gemalte
Stilleben und die beiden Bildnisköpfe erinnern fatal
an Dinge, die man sonst in der Royal Academy in
London zu Gesicht bekommt. Über die Kriegsbilder
von Dill gehe ich lieber ganz mit Stillschweigen
hinweg. Von den Jüngeren fesselt vor allem J. Hüthers
»Requiem« trotz allem Manierismus. Spiros »Bach-
 
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