Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 27.1916

DOI Artikel:
Hampe, Theodor: Tagebuchblätter von einer Studienreise nach Russland (1913), [1]
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.6189#0159

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
KUNSTCHRONIK

Neue Folge. XXVII. Jahrgang 1915/1916 Nr. 33. 12. Mai 1916

Die Kunstchronik und der Kunstmarkt erscheinen am Freitage jeder Woche (im Juli und August nach Bedarf) und kosten halbjährlich 6 Mark.
Man abonniert bei jeder Buchhandlung, beim Verlage oder bei der Post. Für Zeichnungen, Manuskripte usw., die unverlangt eingesandt werden,
leisten Redaktion und Verlagshandlung keine Oewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E.A.Seemann, Leipzig, Hospitalstr. 11 a.
Abonnenten der Zeitschrift für bildende Kunst erhalten Kunstchronik und Kunstmarkt kostenfrei. Anzeigen 30 Pf. die Petitzeile; Vorzugsplätze teurer.

TAOEBUCHBLÄTTER VON EINER
STUDIENREISE NACH RUSSLAND (1913)

Von Theodor Hampe

Wenn ich mich entschlossen habe, die nach-
folgenden Tagebuchaufzeichnungen, die zunächst Ge-
dächtnishilfen für den eigenen Gebrauch sein sollten,
der Öffentlichkeit zu übergeben, so geschah dies in
erster Linie, um die Erinnerung an jene vorläufig
letzte Tagung des von Justus Brinckmann gegrün-
deten Internationalen Museumsverbandes, die in der
zweiten Septemberhälfte 1913 in Petersburg mit Ab-
stecher nach Moskau und Rückreise über Warschau
stattfand, auch in weiteren Kreisen wachzuhalten. War
es doch zugleich die letzte Tagung, die dem verehrten
Altmeister noch selbst zu leiten beschieden war, die er
noch mit der ihm eigenen Gründlichkeit und mit seiner
staunenswerten Kenntnis von Menschen und Dingen hatte
vorbereiten können. So seien diese Erinnerungsblätter
vor allem in Dankbarkeit seinem Andenken gewidmet.

Man erwarte indessen von den folgenden Notizen,
die wesentlich eine Art kunstgeschichtlichen Auszugs
aus meinem Tagebuch darstellen, nicht etwa tiefgründige
wissenschaftliche Untersuchungen und Betrachtungen.
Es sind, zumal die eigentlichen Verhandlungen unserer
Zusammenkunft in Petersburg als streng vertraulich
von jeder Veröffentlichung ausgeschlossen sein mußten,
im wesentlichen Augenblickseindrücke, die ich in meinen
Tagebuchblättern festhielt und denen dieser Charakter
auch bei ihrer Überarbeitung für den Druck durchweg
gewahrt bleiben sollte. So sind die vorgenommenen
Abänderungen zumeist geringfügig, und nur in wenigen
Fällen habe ich ein etwas näheres Eingehen auf Einzel-
heiten auf Grund anderer eigener Aufzeichnungen
für angezeigt gehalten. Dagegen hat die eigentliche
Reisebeschreibung starke Streichungen erfahren müssen.
Gleichwohl hoffe ich, daß auch in dieser Form die
folgenden Schilderungen nicht ganz ohne Nutzen sein
werden. Wie reife Früchte übrigens die gemeinsame
Studienreise der Wissenschaft bereits getragen hat, dafür
sind Arbeiten wie die über »Die Meißner Porzellan-
gruppen der Kaiserin Katharina II. in Oranienbaum«
von Karl Beding (Dresden, 1914) oder über »Wiener
Arbeiten in russischen Museen« von Julius Leisching
(in »Kunst und Kunsthandwerk« 1915) u.a.m. das
beste Zeugnis. Ich selbst, der ich in den russischen
Museen und Sammlungen vorwiegend der deutschen,
genauer der süddeutschen, besonders der Nürnberger
Kunst nachging, habe die Ergebnisse eigener An-
schauung u. a. in dem Artikel »Goldschmiedekunst«
in dem Hoopschen »Reallexikon der germanischen
Altertümer« (Straßburg, 1914) verwertet.

* •

Ich beginne den Auszug aus meinen Tagebüchern
gleich mit der Ankunft in Petersburg, die

Montag, den 15. September 1913 gegen
1/212 Uhr Mittags erfolgte. Spaziergang durch den
stattlichen Bogen des Generalstabsgebäudes, das ebenso
wie das gegenüberliegende Winterpalais, ein an sich
ganz wirkungsvolles, säulenreiches Werk Rastrellis,
blutrot angestrichen ist, zum Newakai. Miserables
Pflaster, das mit den winterlichen Eis- und Schnee-
verhältnissen zusammenhängen soll, die beispielsweise
Asphaltierung unmöglich machen. Für die Droschken
häufig holzgepflasterte Wege. Der breite Newastrom
von Schiffen nur wenig belebt. Admiralitätsgebäude
und Senats- und Synodgebäude klassizistisch, gelb
mit weißen Säulen; diese Art typisch für manche
ältere öffentliche Bauten, sauber und schmuck, doch
etwas spielerisch und uns fremd anmutend. — Fal-
conets Denkmal Peters des Großen von guter Wir-
kung wegen des vortrefflich modellierten Pferdes; die
Reiterfigur selbst etwas zu puppenhaft steif. Über die äs-
thetische Berechtigung solcher Verbindung eines Bronze-
standbildes mit einem Naturgranitblock (der bekanntlich,
il/2 Millionen Kilogramm schwer, 1770 mit un-
säglichen Mühen von der Kronstädter Bucht hierher
geschafft wurde) gingen unsere Ansichten einigermaßen
auseinander. Kollege B. fand sie künstlerisch widersinnig
und geschmacklos, während ich die Ansicht vertrat,
daß ein solches Denkmal nicht lediglich ein Kunstwerk
sein dürfe, sondern zugleich auch als mehr kultur-
geschichtlich, ethnographisch aufzufassendes Wahr-
zeichen Geltung haben müsse. Ebenso sind die
Meinungen der Kollegen über die kürzlich vollendete
deutsche Botschaft von Peter Behrens am Isaaks-
platz ziemlich geteilt. Die Russen finden dies Ge-
bäude nur öde und scheußlich und hoffen, daß ihre
Baukunst nie einen solchen Tiefstand erreichen werde.
Mir erscheint der Bau trotz einzelner Mängel — der
seitlich im stumpfen Winkel angebaute Flügel hätte
sich doch vermeiden lassen sollen; auch geht das Ge-
bäude nicht gut mit der mächtigen Rosselenkergruppe
in der Mitte des platten Daches zusammen: die großen
Figuren nehmen sich da gar zu isoliert aus — doch
als der originellste und edel stilvollste Bau, den Peters-
burg besitzt; und die ruhige, wesentlich auf Linien-
schönheit und Feinheit der Proportionen bedachte,
man könnte sagen, neuklassische Eigenart der Behrens-
schen Bauweise ist dem Werke überall aufgeprägt.
Wir besahen einige Tage darauf auch die Innenräume,
wo ich namentlich im Thronsaal (die Stühle gewiß
nicht von Behrens) und im Speisesaal den gleichen
Eindruck empfing.

Wir besuchten noch die lsaakskathedrale, deren
Inneneindruck jedoch gerade durch ein Baugerüst in der
 
Annotationen