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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 27.1916

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KUNSTCHRONIK

Neue Folge. XXVII. Jahrgang 1915/1916 Nr. 45. 22. September 1916

Die Kunstchronik und der Kunstmarkt erscheinen am Freitage jeder Woche (im Juli und August nach Bedarf) und kosten halbjährlich 6 Mark.
Man abonniert bei jeder Buchhandlung, beim Verlage oder bei der Post. Für Zeichnungen, Manuskripte usw., die unverlangt eingesandt werden,
leisten Redaktion und Verlagshandlung keine Gewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E. A. Seemann, Leipzig, Hospitalstr. 11 a.
Abonnenten der Zeitschrift für bildende Kunst erhalten Kunstchronik und Kunstmarkt kostenfrei. Anzeigen 30 Pf. die Petitzeile; Vorzugsplätze teurer .

LITERATUR

Hermann Fürbringer, Die künstlerischen Voraussetzungen
des Genter Altars der Brüder van Eyck. Leipziger Disser-
tation 1914.

F. Rudolf Uebe, Skulpturennachahmung auf den nieder-
ländischen Altargemälden des 15.Jahrhunderts. Leipziger
Dissertation 1913.

Karl W. Jähnig, Die Darstellungen der Kreuzabnahme, der
Beweinung und der Grablegung Christi in der altnieder-
ländischen Malerei. Leipziger Dissertation 1914.

Hermann Fürbringer geht einem Lieblingsproblem der
jungen Kunstforschung zu Leibe, der Aufteilung des Genter
Altars unter die Brüder Hubert und Jan van Eyck. Er
folgert mathematisch: der Genter Altar ist ein gegebenes
Ganze; wenn wir von diesem Ganzen eine gleichfalls ge-
gebene Größe = Jan v. E. subtrahieren, bleibt als Rest
mit zwingender Präzision Hubert v. E. übrig. Jans Kunst-
übung ist uns aus erhaltenen signierten und datierten
Werken überliefert; da diese Kunst aber Höhen und Un-
tiefen bedenklicher Art aufweist, da ihr Gang überall auf
Abwege und Unbegreiflichkeiten führt, mußte zunächst die
»Entwicklung« soweit normiert werden, daß sie sich einer
mathematischen Formel vergleichsweise gefügig zeigte.
Wenn es sonst als Forderung wissenschaftlicher Forschung
erschien, von den Dokumenten auszugehen und ein Datum
— solange es sich nicht als gefälscht erwies — für den
allein festen Punkt der Beurteilung anzusehen, werden hier
unzweifelhaft echte Daten zugunsten eines Schemas ver-
gewaltigt. Dazu bedient sich F. einer Hilfskonstruktion.
Jan v. E.s Signaturen schwanken im Wortlaut zwischen
»fecit«, »complevit«, fecit et complevit«, »fuit hic« usw.
F. erkennt in diesem Wechsel eine Gesetzmäßigkeit: nach
ihm bedeutet »fecit«, daß der Maler ein Bild angefangen,
»complevit«, daß er eine vor Jahren begonnene Arbeit
wieder aufgenommen und vollendet habe. Ergebnis dieser
Methode ist ein »Chronologisches Verzeichnis«, das Jans
Werk neuartig ordnet: zu Anfang und zu Ende der Reihe
steht beispielsweise die kleine Antwerpener Brunnen-
madonna, mit deren Anlage der Meister vor 1425 begonnen
habe, um sie 1439 fertig zu stellen — er arbeitete danach
während eines halben Lebens an einem Werk von 19 cm
Höhe und 12 cm Breite. An der Incehallmadonna malte
er von ca. 1425 bis 1432, an dem Brügger Frauenporträt
von 1432 bis 1439 usw. Kopien figurieren als gleichwertige
Glieder in der Kette der Originale; es entspricht dem
kunstfremden — um nicht zu sagen kunstfeindlichen —
Geist dieser Betrachtungsweise, wenn ein schwaches Stück
wie die Bonne d'Artois im gleichen Ton abgehandelt
wird wie das Arnolfinipaar — überall glaubt man, den
Verf. nicht mit Kunst, sondern mit präparierten Skeletten
hantieren zu sehen. Der gleiche Mangel an Ehrfurcht, der
sich vor den Objekten dartut, spricht aus der Wertung
vorfürbringerscher altniederländischer Kunstforschung. Die
einzige Autorität, die anerkannt wird, ist F.s Lehrer
Schmarsow; Von ihm übernimmt er den Gedanken, daß
die Rollenverteilung am Genter Altar unter die Brüder v. E.
sich aus der Herleitung Huberts von der Bildhauerkunst,
Jans von der Miniaturmalerei zwingend ergeben müsse.

F. löst mit Hilfe dieses Satzes spielend die Frage der sog.
eyckischen Miniaturen, um deren Erkenntnis und Gruppierung
sich Forscher wie Durrien, Hulin und Vitztum mühen
mußten: da Hubert v. E. seiner Herkunft nach Bildhauer
ist, kann er unmöglich für die Miniaturkunst in Frage
kommen. Die Arbeit ist weiter reich an widerlegbaren
Behauptungen; so läßt sich der Bemerkung zum Londoner
Turbanträger: es sei ein Selbstporträt, die Hände habe der
Meister zum Arbeiten gebraucht und daher fortgelassen —
ein ganzes Heer von Eigenbildnissen mit Händen entgegen-
stellen. Den befremdenden Gegensatz zwischen F.s Sicher-
heit im gedanklichen Konstruieren und seinem Versagen
bei einfachsten Dingen der Stilkritik hat schon Friedländer
hervorgehoben (Deutsche Lit. Zeitung 1915 Nr. 2). Die
Rothschildmadonna Jan v. E.s und die Berliner Karthäuser-
madonna des Petrus Christus, die die Forschung mühsam
auseinandergeschält hatte, werden von ihm wieder zu-
sammengeworfen und ein neuer Maler, der »Meister der
Rothschildschen Madonna« dafür bemüht. Diesem neuen
Meister gibt F. gleich — versuchsweise — auch die Stig-
matisation des hl. Franziskus in Turin (das Exemplar in
Philadelphia scheint ihm nicht geläufig), wieder unter Um-
gehung der dokumentarischen Beglaubigung (v. J. 1470,
von Weale beigebracht). Verräterisch wirkt vor allem das
Verzeichnis der Handzeichnungen: Das Porträt eines Mannes
mit Sendelbinde im Louvre, das nach F. »über Jans Können
hinausgeht«, ist dem Meister zu belassen. Die Anbetung
der Könige im Amsterdamer Kupferstichkabinett ist zwar
»echt«, doch nicht Eyck. Das Bildnis eines älteren Mannes
mit Pelzkragen in der graphischen Sammlung zu München,
das F. (nach dem Vorgang W. Schmidts) dem Jan geben
möchte, ist ein schwaches Machwerk. Das Frauenporträt
im Rotterdamer Boymans-Museum steht zeitlich Rogier
näher als Eyck. Die Bildnisse eines Mannes (mit Falken)
und einer Frau im Städelschen Institut zu Frankfurt a. M.,
die in der Tat in Jans Nähe zu rücken wären, werden
nicht erwähnt. Am Ende bleibt das Resultat der Arbeit
ein negatives: trotz aller Vergewaltigungen und Konstruk-
tionen ist die Scheidung der Hände im Genter Altar nicht
zur Evidenz gelungen; die weiteren Fragen, deren Be-
antwortung von dieser Zentralfrage abhängig ist — das
Verhältnis der Brüder zu einander, die Bedeutung Huberts,
der Nachweis anderer Werke Huberts — werden kaum
berührt. Es ist, als habe Dvorak F.s Arbeit vorausgeahnt,
als er 1909 schrieb: »ich fürchte, das Rätsel wird nie ge-
löst werden, doch nicht deshalb, weil das Problem nicht
zu lösen wäre« (Kunstgesch. Anz. I, p. 21).

Die Arbeit Uebes ist aus der gleichen Werkstatt her-
vorgegangen wie die F.s und hat mehr als eine Voraus-
setzung mit ihr gemein. Wieder wird beim Genter Altar
eingesetzt, wieder ist der Plan des Skulptors Hubert v. E.,
der den Altar in seiner Gesamtheit als bloße Skulptur-
nachahmung beabsichtigt habe, vom Anteil des Miniators
Jan, der im Laufe der Ausführung die Intentionen des
Bruders nicht mehr voll verstand, geschieden. Die wahr-
scheinliche Hypothese, daß der außen dargestellte Jodocus
Vydt nicht ursprünglich der Stifter war, sondern nur den
Auftrag zur Vollendung an den jüngeren Bruder gegeben
hat, fügt sich schwer diesen Voraussetzungen ein. Es
 
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