Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 27.1916

DOI Artikel:
Verschiedenes / Inserate
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.6189#0232

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
451

Literatur

452

bleibt auch bei Uebe ungeklärt, weshalb der »Bildhauer«
sich mit Beharrlichkeit auf dem Oenter Altar wie auf der
(zerstörten) Inschrift seines Grabsteins als »Pictor« be-
zeichnete, weshalb er sich des Umwegs über die gemalte
Skulptur bedienen mußte, statt wirklich skulpierte Arbeit
zu liefern, wie sie der Zeit ohnedies näher lag. Der
Beweis, daß am Oenter Altar in der Tat zum ersten Male
Bildhauerwerk mit den Mitteln der Malerei vorgetäuscht
wurde, wird nicht erbracht, und damit entgeht dem Verf.
die Sicherheit, die Aufteilung des Altars in der von ihm
beabsichtigten Weise zu rechtfertigen. Schon Dvorak be-
merkt in seiner Kritik Schmarsows, daß sich nach diesem
Prinzip eine ganze Reihe neuer Meister feststellen ließe,
da die meisten altniederländischen Altäre mit nachgemalten
Skulpturen und zugleich mit Tafeln ausgestattet seien, die
»rein malerisch« gestaltet sind, so daß sie unter zwei
Meister geteilt werden könnten. Oerade die Übung der
Skulpturennachahmung ist es, die Uebe sich in der Folge
als Thema gestellt hat, doch unterbleiben bei ihm glück-
licherweise weitere Teilungsversuche nach eyckischer Ana-
logie. Er führt zunächst aus, wie die erste Generation
(mit Ausnahme des »Miniators« Jan v. E.) bei der statua-
risch-plastischen Vorstellung stehen bleibt; der Meister
v. Flemalle und Rogier v. d. Weyden werden aus der Bild-
hauerschule von Tournai hergeleitet. Die zweite Generation
— Bouts — beginnt bewußt malerische Hilfsmittel heran-
zuziehen (Stoffimitation des polychromen Materials usw.).
Das Streben nach malerischen Effekten wird weitergeführt
durch Memling; Hugo v.d.Ooes gibt an Stelle der früheren
Skulpturennachahmung nur mehr ein Gemälde in grauen
Farben. Es folgt der Sieg des Malerischen mit Geertgen
tot Sint Jans und Gerard David, bei denen sich lebende
Modellfiguren in der vollen Farbigkeit ihrer Erscheinung,
nur in eine Nische gestellt, finden. Eine Auflösung in
anderem Sinne bringt Hieronymus Bosch. Die klare, in
ihren Resultaten einleuchtende Darstellung fußt im wesent-
lichen auf dem altbekannten Material, das schon bei Voll
zusammengestellt ist und das seither, den verschiedensten
Endzielen dienend, wieder und wieder abgerollt wurde.
Durch eine weitere Materialbasis wäre der Darlegung er-
wünschte Bereicherung geworden. Ich nenne aufs Gerate-
wohl weitere Beispiele altniederländischer Skulpturennach-
ahmungen: Rogiers Bladelinaltar hat auf den Rückseiten
der Flügel eine Verkündigung in Orisaille. Die Außen-
flügel des Triptychons im Buckingham-Palace, das auf Goes
zurückgeht, zeigen gleichfalls eine Grisailleverkündigung.
Eine Verkündigung des Ger. David, auch grau in grau,
kam von Willet Brighton in die Coli. Rod. Kann (Paris),
zuletzt bei Duveen-Grisaillen im Werk des Brügger Meisters
der Ursulalegende: 8 Figuren der Evangelisten und Kirchen-
väter auf den Außenflugeln des Ursulaaltars im Kloster
der soeurs noires zu Brügge und die Verkündigung auf
den Rückseiten zweier gleichfalls zum Ursula-Altar ge-
hörigen Flügel ebenda (Brügger Leihausstellung 1902,
Nr. 46 und 47). In deutlicher Absicht der Skulpturen-
nachahmung entstand die Folge der Grafen von Flandern
aus der Abtei der Duhes (dat. 1480, Brügge, seminaire
diocesan), die auch mit dem Meister der Ursulalegende
zusammen zu bringen ist. Ähnliche Vorliebe für Grau-
malerei eignet einem Niederländer um 1480—90, der von
Bouts mehr als von Rogier bestimmt ist; ich nenne von
seinen Grisaillen die Rückseiten des Hiobsaltars in Köln
(Museum Nr. 422) und zweier Tafeln der Coli. Cardon,
Brüssel (Brügger Leihausstellung 1902, Nr. 110). Beispiele
beim Meister der Virgo inter Virgines, dessen Werk gleich-
falls noch in den Rahmen der Arbeit gehört: die vier
Evangelisten auf den Außenflügeln des Altars in Salzburg
und die Verkündigung im Aachener Suermondt-Museum.

Durch die strenge zeitliche und örtliche Abgrenzung des
Themas läßt Uebe sich fruchtbare Ausblicke entgehen. So
wäre das Verkündigungsmotiv in seinen Abwandlungen
etwa bis zu Orleys Ste. Oudule-Triptychon zu verfolgen;
dem Thema der Schmerzensmutter in der Umrahmung
ihrer sieben Schmerzenmedaillons (grau in grau, auf der
Umseite die entsprechende farbige Darstellung der Freuden
Mariä) wäre von Isenbrant bis zum älteren P. Pourbus
nachzugehen. Beispiele aus der deutschen Kunst der Zeit
könnten das Bild weiter bereichern: ich erwähne die Nach-
bildung eines steinernen Kreuzigungsaltars aus der alt-
bayrischen Schule (Alte Pinakothek Nr. 1497) und in Lübeck
(Marienkirche) die Außenseiten des Greveradenaltars und
eines Diptychons vom ortsansässigen Maler Herrn. Rohde.
Auf französischer Seite wäre die Verkündigung auf den
Außenflügeln des Triptychons von Moulins niederländischen
Beispielen insonderheit verwandt. Es erhellt aus der Fülle
des vorhandenen Materials, daß Abweichungen von dem
allzu geradlinigen Aufbau die Darstellung der Wirklichkeit
nähergebracht hätten. Auch an anderer Stelle ließe sich
einhaken, um neues Material zuzuführen und damit viel-
leicht minder starre Resultate zu erzielen: Uebe bespricht
die Scheinskulptur auf Rogiers Marien- und Johannesaltar
— hier wären ein Tempelgang Mariä aus der Werkstatt
Rogiers (Escurial), vier Bilder aus dem Marienleben von
einem Löwener Meister — vielleicht von D. Bouts selbst
(Prado) — und das sicher dem Bouts gehörige Granada-
Triptychon einzufügen gewesen. — Zu den Ausführungen
im einzelnen: die Grisaillen des Meisters von Flemalle im
Prado — Jacobus maior und Sta. Fe (nicht Katharina) —
sind durchaus eigenhändig; sie gehören nach Winkler zu
dem schönsten, was der Meister schuf. Dirk Bouts »der
Jüngere« wird nach der Gewohnheit der Leipziger Schule
mit dem Meister der Perle von Brabant gleichgesetzt und
ihm u. a. der Hippolytus-Altar gegeben; dazu ist anzu-
merken, daß am Hippolytus-Altar die Aufteilung unter
Bouts und Goes, die für die Vorderseite vorgenommen
wurde, auch für die Grisaillen der Rückseite gültig ist.
Beim Brüsseler Sforza-Altar sind Vorder- und Rückseite
verschiedenen Meistern zu geben: die farbigen Innenseiten
zeigen die Art des Rogier, die Grisaillen außen den reifen
Stil Memli'igs. Alles in allem wäre dem Thema erweiterte
Bearbeitung, nähere Ausführung der von Uebe aufgestellten
Gesichtspunkte zu wünschen. Es ist sicher unrichtig, wenn
Uebe die grundlegenden Normen der Malerei des 15. Jahr-
hunderts aus der Plastik herleiten will, doch bleibt die
Frage der Skulpturennachahmung von allgemeinster Be-
deutung: Die Außenseiten altdeutscher und altniederlän-
discher Altäre zeigen in der Folge öfters stumpfere und
kältere Farben, während für das Innere leuchtendere und
wärmere gewählt werden; außen stehen gern größere
Einzelfiguren klar vor dem vergleichsweise glatten Grund,
wenn innen reiche kleinfigurige Darstellung die in die Tiefe
führende Landschaft füllt. Vielleicht wird es möglich sein,
diese Erscheinungen letzten Endes mit der Übung der
Skulpturennachahmung in Zusammenhang zu setzen.

Karl Jähnig bringt zum drittenmal die These von der
verschiedenen künstlerischen Herkunft der Brüder van Eyck;
auch er weiß Rogier und den Flemaller aus der Bildhauer-
schule von Tournai herzuleiten. Wieder tritt der jüngere
Dirk Bouts auf, wieder ist ihm ein stattliches Werk zuge-
teilt — darunter versuchsweise die Bouts-Pietä des Louvre
und die Beweinung Christi in London, die als Leinwand-
bild vielleicht fremdartig wirkt, doch als bedeutsame Er-
findung nnd Zeichnung dem »alten« Dirk zu belassen ist.
Von Rogiers Kreuzigungstriptychon der Wiener Galerie
bemerkt J., daß es »über Rogier hinausgeht«, und mit der
gleichen Wendung tut er die wichtige Grablegung der
 
Annotationen