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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 28.1917

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Münchener Brief
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KUNSTCHRONIK

Neue Folge. XXVIII. Jahrgang 1916/1917 Nr. 2. 6. Oktober 1916 ;J

Du Kunstchronik und der Kunstmarkt erscheinen am Freitage jeder Woche (im Juli und August nach Bedarf) und kosten halbjährlich 6 Mark.
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MÜNCHENER BRIEF

Die drei großen Sommerausstellungen der Künstler-
genossenschaft, der Sezession und der Neuen Sezession
haben erfreulicherweise auch ein überraschend gutes,
materielles Ergebnis gezeitigt. Der Glaspalast, der
stets eine große Verkaufsausstellung war, ist dieses
Jahr in noch weit stärkerem Maße von Käufern be-
glückt worden, als man hoffen durfte. Aber auch in
den anderen Ausstellungen, namentlich in der Neuen
Sezession, sind überraschend viele Verkäufe zustande
gekommen. Unter den Ankäufen, die der bayerische
Staat gemacht hat, sind hervorzuheben: auf der Aus-
stellung im Glaspalast: Josef Wenglein »Viehgrund
bei Pang«, H. Looschen »Konzert«, A. Laupheimer »Im
Kreuzgang« und die Bronze »Weibliche Figur« von
R. Knecht; auf der Sezessionsausstellung: A. von Keller
»Landschaft«, Th. Hummel »Stilleben«, W. Rösler »Am
Dorfbrunnen«, sowie die Terrakotta-Büste des Fräulein
Herz von A. von Hildebrand und die weibliche Terra-
kottafigur von A. Kraus; auf der Neuen Sezession
Feldbauer »Leibhusar«, O. Cöster »Kleine Landschaft«,
und die Bronzebüste des Malers Baron Habermann
von Bleeker.

Bei Helbing ist die Sammlung Schmeil aus Dresden
ausgestellt, die bekanntlich im Oktober in Berlin durch
Helbing und Cassirer zur Versteigerung gelangt. Über
die Sammlung selbst, die reich ist gerade an guten
Münchener Meisterwerken der letzten 40 Jahre, brauche
ich mich ja hier nicht näher zu verbreiten. Ich halte
es aber für meine Pflicht, meinem Bedauern — das
von sehr viel Münchenern geteilt wird Iebhaflesten
Ausdruck zu geben, daß die Sammlung nicht in Mün-
chen, sondern in Berlin zur Versteigerung gelangt.

Die Moderne Galerie Thannhauser hat uns eine
überaus dankenswerte Spitzwegausstellung beschert.
Man glaubt eigentlich jetzt Spitzweg gut zu kennen
und ist, nachdem Spitzweg sich einigen Jahren vom
Kunsthandel fast zu sehr »protegiert« wird, ein wenig
erstaunt, nochmals Spitzweg in einer umfangreichen
Ausstellung von nicht weniger als 70 Werken vor-
geführt zu bekommen. Aber diese Ausstellung ist
wirklich nicht nur deshalb sehr lehrreich, weil sie uns
einen nahezu erschöpfenden Überblick über die ver-
schiedenen Perioden und die verschiedenartige Schaffens-
weise des Meisters gewährt, sondern weil einige bisher
auch dem engeren Spitzwegforrscher- und Kennerkreis
ganz unbekannte Stücke das Gesamtbild von der
Kunst Spitzwegs sehr erheblich ergänzen und be-
reichern. Da sind zunächst verschiedene Bildchen,
wie »Beim Intrumentenhändler« und »Drei Nieder-
länder miteinander sprechend«, die deutlich von dem
fleißigen Pinakotheksbesuch Meister Spitzwegs und

von seinem Studium der Werke von Teniers und
Ostade Zeugnis ablegen. Höchst merkwürdig ist die
»Landschaft mit Reiter« (Nr. 24), die man zunächst
nicht für einen Spitzweg, sondern viel eher für eine
Arbeit aus dem Gefolge Constables halten möchte.
Das Bild »In der Küche« wirkt besonders überraschend,
es wirkt wie das Münchener Gegenstück zu ähnlichen
Arbeiten Menzels. Das beste Stück ist wohl der
»Klosterkeller«, für Spitzweg ungewöhnlich groß im
Format, ganz ungewöhnlich fein abgestuft in den
Tönen: das lebloseste ist mit größter Kunst hier leben-
dig gemacht. Mit Recht weist Uhde-Bernays in dem
Vorwort, das dem Katalog der Ausstellung vorangestellt
ist, daraufhin, wie sehr dieses etwa 1850 entstandene
Bild die ganze intime Kunst des Diezkreises bereits
vorwegnimmt und bereits an Schuch gemahnt. Auch die
sehr breit und fett gemalte sogen. »Teufelsbeschwörung«
verdient besondere Erwähnung. Neben unfertigen
Bildern, wie die »Siesta« und die »Storchenapotheke«
findet man reizende ganz kleine aber doch in ihrer
Art groß gesehene Landschaften, wie z. B. das Dörfchen
mit Baumgruppe (Nr. 20) und erquickende Genrestücke
wie dem köstlichen Kanonier (Nr. 71), jedoch auch
genug Mittelmäßiges, das man gerne vermißt hätte.

In noch viel höherem Grade gelungen als diese
Spitzweg-Ausstellung ist die große Marc-Gedächtnis-
ausstellung, die die Münchener Neue Sezession dem
allzu früh dahingerafften Vorkämpfer des Expressio-
nismus gewidmet hat. Die nach chronologischem Ge-
sichtspunkt erfolgte Aufstellung der 164 Nummern
umfassenden Arbeiten des Künstlers läßt uns nicht
nur die Entwicklung Marcs besser verstehen, sondern
sie gibt gewissermaßen überhaupt an einem erlesenen
Beispiel ein deutliches Bild von der Entwicklung, den
Idealen und Zielen der jungen deutschen Maler des
letzten Jahrzehnts. Marc, der Sohn eines mittelmäßigen
Münchener Malers, beginnt 1902 recht talentiert, aber
nicht übermäßig interessierend mit Bildnissen im Stil
der damaligen Durchschnittsmaler der Sezession. Die
Tierbilder, die er 1905—1908 schafft, lassen bereits
seine leidenschaftliche Liebe zur Natur erkennen, und
den dunklen Drang, von der etwas oberflächlichen
dekorativen Art der »Scholle« loszukommen und
rhythmische Gebilde von ganz anderen Linien und
Farbenklang zu schaffen, als die letzten Malergenera-
tionen überhaupt gedacht hatten. 1909 ist der Künstler
voll innerer Unruhe und läßt sich etwas von van Gogh,
Gauguin und dem Pointillisten verwirren. Das nächste
Jahr bringt dann die ersten Ansätze zu dem, was Marc
das »neue Bild« nannte: Eine dekorative Kunst voller
Musik in Linie und Farbe, jedem Naturalismus abhold
und doch aus gründlichstem Naturstudium erwachsen
das heftigste Streben, keine Naturausschnitte mehr zu
 
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