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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 28.1917

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Oskar Zwintscher
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https://doi.org/10.11588/diglit.6187#0099

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177

Oskar Zwintscher

178

OSKAR ZWINTSCHER

Es ist ein eigen Ding um den Geist der Zeiten
und um das Oesetz der Gegenwart, nicht immer
leichtes Glück, sondern oft harte Not und schwerer
Zwang. Nicht selten scheint es verlockend, sich in
eine Vergangenheit zurückzuträumen, die in ihrer Ab-
geschlossenheit wie eine Epoche reinen Friedens, wie
ein goldenes Zeitalter winkt. Aber es ist dem Schaffen-
den nicht ohne Gefahr, sich so beglückender Ruhe hin-
zugeben, denn das Leben meidet die Stätten der Toten.

Es heißt, man sollte denen, die dort hinausge-
gangen sind, nichts nachsagen als das Gute. Und
so dürfte der im vergangenen Jahre verstorbene
Dresdener Maler Oskar Zwintscher mit Schweigen
geschont werden, bliebe nicht das Werk, das in der
Berliner Kritik einen merkwürdig starken Widerhall
findet und mit überhebenden und verkennenden Worten
gefeiert wird. Die alten deutschen Meister werden
wieder einmal bemüht. Dürer, der jedem Kundigen
ein Kronzeuge fortschrittlichen Geistes ist, wird wie
so oft als der Abgott der Unzeitgemäßen zitiert, und
insbesondere soll der Geist des großen sächsischen
Meisters Cranach in Zwintschers Kunst seine späte
Auferstehung gefeiert haben.

Nun mag es wohl zutreffen, daß Zwintscher selbst
sich in diesem Sinne als den wahren Erben der echten
deutschen Tradition gefühlt habe, und Äußerungen,
die berichtet werden, weisen darauf hin, daß er den
»fremdländischen« Impressionismus mit Willen und
Bewußtsein ablehnte. Aber der Unvoreingenommene
wird in seinem Werke darum nicht die positive Be-
ziehung zu den alten deutschen Meistern, die von den
eilfertigen Bewunderern gerühmt wird, entdecken,
sondern nur eine eigensinnige Unzeitgemäßheit, die
ebenso falsch und unzutreffend durch den Vergleich
mit irgendeinem niederländischen, französischen,
spanischen, italienischen »Primitiven« charakterisiert
werden könnte. Leicht wird ein archaisierendes
Liebäugeln mit nationaler Vergangenheit als Zeichen
völkischer Gesinnung gedeutet, wird ein lebendiges
Zeitbewußtsein als verdammenswürdiges Kosmopoliten-
tum verurteilt. Aber niemals hat eine ernsthaft zeugungs-
kräftige Kunst den Blick nach rückwärts gewandt,
immer hat sie fest und entschlossen geradeaus und
in die Zukunft geblickt.

Der Gedanke, daß Dürer, da er die Tafel des
Stephan Lochner aufsperren ließ, nun von dem wel-
schen Wesen hätte abstehen und wieder malen sollen
wie der alte kölnische Meister, dessen Werk er ge-
wiß bewunderte, wird auch denen absurd erscheinen,
die sich heut nicht von der Vorstellung trennen wollen,
daß es möglich sei, in bewußtem Archaisieren schöpfe-
risch zu arbeiten, wie etwa Fritz Böhle es glaubte
und wollte. Gewiß mag schwachen Geistern es locken-
der scheinen, sich in ein abgeschlossenes Werk zu
versenken und einer fertigen Form zu vertrauen, als
sich dem ewig trügerischen Strome des Werdens zu
überlassen. Aber niemand hält das Rad der Zeiten,
wenn er für sich die selige Postkutsche wieder er-
stehen läßt. Der Forscher kann nicht unbeschadet
an den Errungenschaften seiner Epoche vorübergehen.

Und ebenso bleibt dem Künstler nicht die Auseinander-
setzung mit den Erscheinungen seiner Zeit erspart.

Der Satz brauchte im Grunde nicht bewiesen
zu werden, da die Geschichte ihn überall und zu
allen Zeiten bestätigt. Es müßte im Gegenteil der
Beweis denen zugeschoben werden, die behaupten,
die Kunst sei in der Gegenwart über die Jahrhunderte
hin örtlich, und sie sei nicht mehr zeitlich bedingt.
Denn nichts anderes bedeutet es, wenn schwächliche
Eklektiker wie Oskar Zwintscher mit anspruchsvollem
und lautem Beifall begrüßt werden und in den zu-
stimmenden Worten deutlich der Unterton einer Ab-
lehnung jeder Regung wahrhaft zeitgemäßen Kunst-
wollens zu vernehmen ist.

Nun ist es uns wohl bewußt, daß es nichts Un-
beweisbareres gibt als künstlerische Qualität, und es
wird niemand, der es nicht glauben will, zu über-
zeugen sein, wenn wir die Behauptung aufstellen, daß
Zwintscher ein schlechter Zeichner gewesen sei. Aber
Zeichnung bedeutet nicht photographisch treue Form-
wiedergabe allein. Zeichnenkönnen bedeutet Sinn
haben für die Zusammenhänge der Erscheinung, für
ihren lebendigen Ausdruck, für ihre rhythmischen Be-
ziehungen. Von all dem aber ist nichts in den trocken
empfindungslosen Modellabpausungen Zwintscherscher
Porträts. Man bekommt die Teile in die Hand, aber
niemals das einende Band. Und es ist geradezu ab-
surd, wie zusammenhangslos Kompositionen gebaut
sind, daß das Auge suchen muß, um hier ein
Stück und dort eines aufzulesen, aus denen der Ver-
stand einen Sinn erraten mag. Wenn aber Zwintscher
nicht einmal der Ruhm eines Zeichners zuerkannt
werden darf, nach dem er gewiß zuallererst selbst
langte, so noch viel weniger der eines Malers. Sind
seine Bleistiftstudien matt und ausdruckslos, so sind
seine Aquarelle pedantisch und nüchtern. Die Ölfarbe
ist niemals verarbeitet, sie bleibt immer eine zähe und
trockene Materie, und in großer Fläche wirkt sie wie
der Anstrich einer Wand. Es ist nicht einmal wahr,
daß dieser vorgebliche Realismus zur Wiedergabe
einer stofflichen Wirklichkeit gelangte. Seine Meeres-
wellen sind Perlmutterwände, seine Laubbäume sind
farbige Atrappen. Aber, so wird eingewendet werden,
nicht auf die Wiedergabe einer Realität war es hier
abgesehen, sondern auf eine Steigerung der Wirklich-
keit zum Phantasieerlebnis. Denn Zwintscher beschied
sich nicht als Porträtist, zu dem ihn eine Fähigkeit
pedantischer Einzelabschrift der Form wohl in einem
gewissen Maße geeignet scheinen ließ. Er stellte seine
Modelle gleichsam wie lebende Bilder, um allgemein
symbolhaft Gedanken zu versinnlichen. Er verfiel in
ähnliche Irrtümer wie Otto Greiner, der immerhin in
erheblichem Abstand mit ihm zu vergleichen wäre,
berührt sich nahe mit Sascha Scheider, dessen scha-
blonenhaft nüchterne Aktmodelle mit ihren anspruchs-
voll großartigen Gebärden vor Jahresfrist an dergleichen
Stelle im Künstlerhause zu sehen waren.

Aber malerische Phantasie bedeutet etwas anderes
als pedantische Konstruktion. Und es fehlt diesen sehr
künstlich erdachten und sehr kunstfremden Gebilden
überall der Funke des Lebens. Sie sind starre Masken
 
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