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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 28.1917

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Heise, Carl Georg: Glossen zu Propaganda "werdender Kunst"
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https://doi.org/10.11588/diglit.6187#0147

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KUNSTCHRONIK

Neue Folge. XXVIII. Jahrgang 1916/1917 Nr. 27. 1. April 1917

Die Kunstchronik und der Kunstmarkt erscheinen am Freitage jeder Woche (im Juli und August nach Bedarf) und kosten halbjährlich 6 Mark.
Man abonniert bei jeder Buchhandlung, beim Verlage oder bei der Post. Für Zeichnungen, Manuskripte usw., die unverlangt eingesandt werden,
leisten Redaktion und Verlagshandlung keine Gewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E. A. Seemann, Leipzig, Hospitalstr.IIa.
Abonnenten der Zeitschrift für bildende Kunst erhalten Kunstchronik und Kunstmarkt kostenfrei. Anzeigen 30 Pf. die Petitzeile; Vorzugsplätze teurer.

GLOSSEN ZUR PROPAGANDA
»WERDENDER KUNST«

Es wäre unbillig, zu verlangen, daß die Tages-
schriftstellerei zur Propagandierung umstrittener künst-
lerischer Werte der Gegenwart den Stempel abge-
klärter Besonnenheit trüge. Kühne Intuition, die in
solchen Fällen sicherer zu gehen pflegt als ängstlich
abwägende Gerechtigkeit, ist fast ausschließlich die
Gabe fanatischer Eiferer. In der Frühzeit einer neuen
künstlerischen Bewegung wird man das beste und im
Kern auch bleibende Urteil an entlegenem Ort mit
gewagter Pathetik aufgezeichnet finden. Daneben steht
die Fachpresse der älteren, herrschenden Richtung
zunächst mit gleichgültiger Geringschätzung, dann mit
gesteigerter Abwehr, endlich mit vorsichtigen, aber
selten glücklichen Versuchen abmildernder Anpassung.
Das sind Erscheinungen durchaus natürlicher Art mit
entwicklungsgeschichtlicher Berechtigung. Es wäre
töricht, sie anders zu wünschen.

Aber einmal kommt der Augenblick, wo die Zeit
sich erfüllt. Die bisher vereinzelten Künstler der
jüngeren Richtung fühlen ihre entscheidenden Gemein-
samkeiten, schließen sich zusammen, erkennen in ein-
zelnen Außenseitern der älteren Generation Vorkämpfer
und Führer. Auch das Publikum hat seine Stellung
gewechselt. Bei der großen Masse ist Gleichgültigkeit
und Verhöhnung einer willfährigen Neugier gewichen.
Die bisher nur tastende Fühlung fortschrittlicher Kunst-
freunde festigt sich zu warmer Bewunderung. Das
wachsende Interesse für die »Jüngsten« fängt an, die
Spekulationslust der Händler zu reizen. Oberflächliche
Modeprodukte drohen sich mit täuschender Geste
zwischen die ernsten Arbeiten ringender Talente zu
drängen und dem ungeübten Betrachter die reine Linie
ihres kühnen Aufstiegs zu verwirren. Jetzt ist der
kritische Augenblick gekommen, der mehr als ab-
wartende Beobachtung verlangt und allen ernstlich
um das Schicksal triebkräftiger Gegenwartskunst be-
mühten Menschen die Aufgaben des behutsamen
Gärtners, des feurigen Anwalts und des unbestech-
lichen Richters zur höchsten Pflicht macht.

In solchem kritischen Augenblick erscheint in
Weimar das erste Heft einer neuen Kunstzeitschrift:
»Das Kunstblatt«, herausgegeben von Paul Westheim,
das sich vorsetzt, der werdenden Kunst zu dienen.
Die Tatsache dieser Gründung und die Aufstellung
dieses Programms erwecken freudige Hoffnung; der
Geist aber, der die Propaganda "und die Ausführung
beherrscht, vernichtet sie jäh und fordert heraus zu
schärfster Entgegnung. Die Situation ist peinlich. Der
Werbezettel trägt unter anderen in recht zufälliger
Auswahl — wichtige Künstler fehlen — auch Namen,

die eine ernsthafte Vertiefung ihrer bisher noch wenig
zuverlässigen Würdigung in höchstem Maße ver-
dienen: Münch und Nolde, Marc und Kokoschka.
Übernimmt eine junge Zeitschrift die notwendige und
dankbare Aufgabe für so bedeutende, aber noch heiß
umstrittene Werte mutig einzutreten, so muß sie eines
heftigen Kampfes gewärtig sein, des letzten Ent-
rüstungssturms erbitterter Rückschrittler. Dieser Kampf
ist unerläßlich. Darum gilt es, von vornherein mit
gestrafften Kräften zu arbeiten, durch höchste An-
spannung jeden Anlaß zu außersachlicher Einwendung
zu vermeiden. Geschieht das nicht, so besteht die
Gefahr, daß die empörte Meute der sachlichen Gegner
sich allein auf die wunden Punkte der kunstkritischen
Aufmachung stürzt und daß das Kind mit dem Bade aus-
geschüttet wird. Es entsteht ein Gegen-und Durcheinander
von Kräften, die in gleicher Richtung interessiert sind,
durch das unzulängliche Bemühen des Herausgebers aber
in verschiedene Lager auseinandergetrieben werden. Die
gute Sache verliert den geschlossenen Aufmarsch ihrer
Vorkämpfer, die Stoßkraft zersplittert sich. Und sieht
man auf die Wirkung beim großen Publikum, für
dessen Erbauung und Förderung die Arbeit unter-
nommen wurde, so wird man statt der erstrebten
Klärung nur die alte Erbitterung und die alte Ver-
wirrung verstärkt finden. Eine solche Verwirrung
hervorzurufen, dafür scheint Westheims Zeitschrift
in höchstem Maße prädestiniert. Es soll nicht die
Aufgabe dieser Zeilen sein, schulmeisterlich die ein-
zelnen Beiträge zu tadeln oder zu beloben, sondern
aufbauend die Richtlinien festzustellen, die einer noch
so individuellen Propaganda zugrunde gelegt werden
müssen, wenn anders sie einige Aussicht auf befruch-
tende Wirkung für das geistige Leben der Gegenwart
haben soll. Es wird sich ergeben, wie weit die neue
Zeitschrift diesen notwendigen Forderungen entspricht.

Das sicherste Kriterium für Wert oder Unwert
eines fortschrittlichen Blattes mit dem Anspruch auf
Beachtung in weiteren Kreisen ist sein Verhältnis zur
Kunst der jüngsten Vergangenheit. Der Künstler mag,
befangen im Glauben an Neuheit und Gültigkeit der
eigenen Gestaltungskraft, sich bündig hinwegsetzen
über die Errungenschaften einer Generation von Voll-
endeten, die ebenso gerungen haben wie er, deren
völlig abweichende Anschauungen aber den seinen
schroff gegenüberstehen. Das ist sein gutes Recht.
Der Kunsthistoriker aber darf das nicht. Er verliert
den Anspruch auf maßgebliches Urteil über Wachsen
und Werden künstlerischer Werte, wenn er zugunsten
der Würdigung neuer Möglichkeiten die Errungen-
schaften der jüngstvergangenen Epoche billigem Spott
anheimgibt, wenn er Höhepunkte künstlerischer Ge-
staltung dort übersieht, wo sie seinem neuzeitlichen
 
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