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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 29.1918

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Nekrologe — Personalien — Ausstellungen

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NEKROLOGE

Im hohen Alter von 82 Jahren verschied am 26. Sep-
tember der Konservator des städtischen Museums in Kempen
(Rheinland) Konrad Kramer. Er hatte einen besonderen
Ruf als Restaurator und Sammler. Ein Teil seiner nieder-
rheinischen Holzskulpturen bildet den Grundstock der
plastischen Abteilung des Kaiser-Wilhelm-Museums in
Krefeld. Den Rest seiner aus kunstgewerblichen Alter-
tümern und Skulpturen bestehenden Sammlung stiftete er
der Stadt Kempen als »Kramer-Museum«.

PERSONALIEN

William Unger. Unter mannigfachen Ehrungen ist
dieser Tage in Wien der 80. Geburtstag (11. September 1917)
William Ungers, des Altmeisters reproduktiver Graphik,
begangen worden; die sinnigste Aufmerksamkeit war wohl
der Beschluß seiner Wohngemeinde Ober-St.-Veit, einen
Unger-Brunnen öffentlich aufzustellen, den die Bildhauerin
Heia Unger, des Gefeierten begabte Tochter, ausführen
soll. Auch für den Fernerstehenden ist dieser Tag ein
Anlaß, einen zusammenfassenden Blick über das so aus-
gedehnte Werk Ungers schweifen zu lassen; aus dem
Rückblick wird beinahe ein Blick historischer Erinnerung,
so weit sind diese Radierungen von aller Lebendigkeit
unserer Kunst entfernt. Fürs erste berührt ihr rein re-
produktiver Charakter seltsam; in der Wiedergabe von
Gemälden alter und moderner Meister hat Unger den
besten Teil seiner Tätigkeit entfaltet — hat er doch die
Meisterwerke vieler deutscher und österreichischer Galerien
radiert — aber auch wo er nicht nach einer solchen Vor-
lage arbeitete, bei Studienköpfen und Landschaften, schob
sich ihm zwischen den Natureindruck und die Radierung
ein Bild, so daß auch hier das Blatt nicht als Original-
graphik wirkt. Die der Radierung eigentümliche Sprache,
deren technische Mittel er mit vollster Meisterschaft be-
herrschte, hat Unger nicht anerkannt; die möglichste An-
näherung an eine Bildwirkung schwebte ihm als ein Ideal
vor, und deshalb hat er auch durch reichliche Anwendung
von Farben jene Farbigkeit, die der Eigenbesitz der Radierung
ist, in seinem Sinn zu ergänzen getrachtet. Nun ist es
weiter eigentümlich, wie diese selbstgewählte Beschränkung,
die als Selbstverstümmelung der Radierung empfunden wird,
die gewollte Wirkung auf uns heute verhindert; den farbigen
Radierungen scheint eine wesensfremde Buntheit zuge-
wachsen, die weiß-schwarzen werden den Farbenwerten
der Originale nicht gerecht, denen sie so unfrei gegenüber-
stehen; die Vorlagen sind wie durch einen Schleier gesehen,
der sie verwischt, ob Tizian oder Reynolds, Watteau oder
Hals, Rubens oder Rembrandt, alle wirken zunächst und
zumeist als William Unger; als ob die vergewaltigte Kunst
der Graphik sich rächen wollte, schiebt sich auch zwischen
Vorlage und Radierung ununterdrückbar die Persönlichkeit
des Interpreten ein. Diese künstlerische Persönlichkeit ist
eine'einheitlich geschlossene; an dem Besten aller ver-
gangenen Kulturen geschult stellt sie deren Einzelerzeug-
nisse wie die Dinge der Wirklichkeit in die feierliche Be-
leuchtung erhöhter Existenz. Ob Unger irgend welche
Gemälde wiedergibt, ob er strotzende italienische Land-
schaften radiert oder auch nur schlichte Motive nordischer
Heimat vorführt, immer sind die Formen wie gesteigert,
wie in einen üppigen Glanz getaucht; die Welt ist durch
ein buntes Glas hindurch gesehen und wenn der Schimmer,
der sie so verklärt, uns auch konventionell erscheint, ist
es doch der gleiche Idealismus, der der Kunst der großen
historisierenden Architekten des 19. Jahrhunderts, der
Malerei eines Lenbach oder Makart das Pathos schürt,
das man in ihren Werken hassen oder lieben kann.

Denn das Problem liegt nicht einfach so, daß man
aus alledem die Bedeutung eines Meisters wie Ungers
schlankweg leugnen könnte; eine solche blinde Unter-
werfung unter den gerade herrschenden Geschmack wäre
ein Gegenstück zum Standpunkt einer älteren Generation,
die aus der Tyrannei ihres — nicht minder gültigen —
Geschmacks unserer jungen Kunst das Lebensrecht ab-
spricht. In Wirklichkeit liegt das Problem viel tiefer. Die
Wirkung, die Ungers Radierungen auf uns ausüben, ist
offenbar von derjenigen sehr verschieden, die sie auf eine
frühere Zeit hatten; wir lesen und können wohl auch noch
gelegentlich hören, daß ihnen eine wunderbare Anpassung
an die Vorlagen, eine außerordentliche Feinheit, die Farben-
valeurs der Originale zu erfassen, nachgerühmt wird. Wieso
kommt es, daß unsere Väter dort die rauschende Farben-
fülle Rubens', die vornehme Tonigkeit Rembrandts, die
koloristische Vehemenz eines Hals sehen konnten, wo wir
nur das nivellierende Schillern Ungers wahrnehmen? Wir
sind nicht stumpfer als sie, aber sie waren nicht blinder
als wir. Sie sahen mit seinen Augen, weil er mit den
ihren sah; weil die Umsetzung, die er an den Vorlagen
vornahm, genau ihrem Kunstbedürfnis entsprach und weil
dieses das Festtägliche und Hochgemute forderte, das uns
als unmodulierter Klang so theatralisch dünkt. Ganz eben-
so waren ihnen die Köpfe, deren wachsige Süße uns
schreckt, erfreuliche Idealstudien, die Landschaften, die uns
einem konventionellen Bilde angeähnelt dünken, frische
Erfassung unmittelbarer Wirklichkeit. In der Konsequenz
dieses für uns heute nicht nachfühlbaren Standpunkts liegt
seine unbedingte Berechtigung; was uns Unnatur scheint,
war ihnen künstlerisch umgesetzte Natur, was uns Kon-
vention scheint, war ihnen persönlicher Ausdruck; ganz
ebenso wie sie, was wir Natur und Ausdruck nennen,
Unnatur und Schablone schelten.

Mit der Feststellung solcher Gegensätzlichkeit, die uns
gestattet, vor dem ehrwürdigen Jubilar William Unger
achtungsvoll den Degen zu senken, ist aber die Bedeutung
des Falles nicht erschöpft; die Stimme der Vergangenheit,
die sich so plötzlich mitten unter uns erhebt, mahnt noch
viel eindringlicher. Die Begriffe Natur und Stilform, die
die Angeln unserer, Kunstbetrachtung bilden, sind keines-
wegs so gegensätzlich, wie wir gelegentlich meinen; sie
sind,, Pole, aber eines Wesens. Natur wird Form, Eindruck
wird Ausdruck; wo eine Generation die — naturgegebene
oder künstlerische — Wirklichkeit bis in ihre Nuancen er-
faßt findet, wird die nächste nur der systematischen Um-
formung gewahr; und wo jene das Walten persönlicher
Erlebnisse erblickt, kommt diese über die",Feststellung kon-
ventionellen Sehens nicht]hinaus. Keine Skepsis und keine
ungebundene Willkürlichkeit des Kunsturteils soll daraus
gefolgert^werden, sondern nur tiefes Mißtrauen gegen die
wechselnden f Schlagwörter des Tages und unbedingte
Achtung vor aller ehrlichen künstlerischen Leistung. Sie
gebührt in vollem Maße dem überlebenden Patriarchen
einer abgeblühten Kunstperiode, der an seinem Festtage
wieder einmal unter uns tritt. Hans Tietze.

AUSSTELLUNGEN

Berliner Ausstellungen. (Große Kunstausstellung.)
Stiefmütterlich hat im Frühjahr die »Große Berlinert ihren
Herd verlassen und sich mit den illegitimen Töchtern,
den Sezessionen, ein friedliches Rendezvous am Rhein ge-
geben. Und jetzt beschert sie uns im Altweibersommer
noch eine natürliche Tochter, 'die sie in die Heimat
zurückschickt. Der Staat nahm sich dieses Kindes wohl-
wollender an als der Illegitimen, entschuldigte in der Er-
öffnungsrede ihr Auftreten bescheiden alsKriegshilfe, während
 
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