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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 29.1918

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Kunststeuern
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Cohen, Walter: Ludwig Scheibler
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https://doi.org/10.11588/diglit.6188#0186
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Kunststeuern — Ludwig Scheibler

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vermutlich das Zweite wählen. Aber er wird sich
nicht allein in diese Notlage versetzt finden. Sofort
nach Einführung der Steuer würde der Kunstmarkt
durch ein ungeheures Angebot überschwemmt werden.
Käufer würden fehlen, da niemand sich der Gefahr
des Kunstbesitzes wird aussetzen wollen. Die Folge
wäre ein rapider Preissturz. Das Ausland würde sich
begierig auf den deutschen Kunstbesitz stürzen, der
binnen kurzer Zeit abwandern müßte. Was aber in
deutschem Besitz bliebe, wäre dermaßen entwertet,
daß der Steuerertrag auf einen Bruchteil der erwar-
teten Summe reduziert würde. Die Steuer hätte die
milchende Kuh, von der sie zu leben hoffte, selbst
erschlagen und im ersten Jahre bereits mit Haut und
Haaren aufgefressen.

Man wird uns entgegenhalten, daß diese katastro-
phale Folge durch den Steuerermäßigungs- oder Frei-
stellungsparagraphen verhindert werden würde. Aber
hier ergeben sich wiederum andere unübersteigliche
Schwierigkeiten. Zunächst die Frage: Was ist eine
Sammlung? Gehören dazu 1 o Gegenstände oder 100?
Und ist eine Sammlung von 300 Objekten, unter
denen sich 6 von künstlerischem Interesse finden, als
Ganzes freizustellen? Aber wenn sich auf diese Fra-
gen vielleicht noch befriedigende Antworten finden
ließen, so bleibt die andere: Wer soll und wie soll
er entscheiden, wo »das künstlerische oder wissen-
schaftliche Interesse« beginnt und wo es endet?
Selbst die idealste und gewissenhafteste Sachver-
ständigenkommission würde eine unerhörte Bevor-
mundung des Sammlertums bedeuten. Wir erinnern
nur an Fragen der modernen Kunst, in der der
eine als Schmiererei verurteilt, was der andere als
höchste Offenbarung verehrt, der eine als jämmerlichen
Kitsch bezeichnet, was dem anderen als edelste Kunst
erscheint. Aber es steht im Bereiche der alten Kunst
nicht so viel anders. Und es wäre jedenfalls eine
unerhörte Ungerechtigkeit, wenn Werke holländischer
Meister des 17. Jahrhunderts von drittem oder viertem
Range oder saubere Dilettantenarbeiten unserer Zeit
frei blieben, während Bilder von Nolde und Heckel,
Münch und Matisse steuerpflichtig wären, weil der
Kommission etwa die Richtung nicht paßte. Gerade
die selbständigen Sammler, auch innerhalb der alten
Kunst selbst, die gewohnt sind, eigene Wege und
der Allgemeinheit voran zu gehen, wären in Gefahr,
zu einer Steuer herangezogen zu werden, die den
Protzensammlungen erspart bliebe. Ja, es wäre die
Gefahr, daß gerade die Zahlungskräftigsten am leich-
testen und sichersten befreit würden, weil ihr Geld-
beutel es ihnen ohne weiteres erlaubte, nur solche
Dinge zu kaufen, deren »wissenschaftliches und künst-
lerisches Interesse« von vornherein feststeht, während
der kleinere Sammler, der selbständig kauft, Gefahr
läuft, mit seinen bescheideneren Stücken keine Gnade
vor der hohen Kommission zu finden. Man würde
schließlich zu dem umgekehrten Prinzip gelangen wie
bei der jetzt geplanten Kunstumsatzsteuer, die die
billigen Stücke freiläßt, nämlich zu einer Freistellung
aller teuren Stücke. Und wenn die Steuer sich bei
rücksichtsloser Durchführung selbst aufzehren müßte,

wie wir oben zeigten, so würde sie bei Anwendung
dieses Ausnahmeparagraphen wiederum sich selbst
illusorisch machen und zugleich zu unerträglichen
Ungerechtigkeiten führen.

Daß schließlich die Freistellung des Geschäftsbe-
sitzes zu Umgehungen der Steuer führen würde, sei
nur nebenbei angemerkt. Denn schließlich würden es
viele Sammler vorziehen, sich in das Gewerberegister
eintragen zu lassen und damit eine immerhin mäßige
Steuer zu zahlen. Fast jeder kommt gelegentlich in
die Lage, Stücke abzustoßen. Wird ihm heute aus
diesem Grunde zuweilen leichthin der ganz grundlose
Vorwurf des Händlertums gemacht, so würde er dann
diesen Namen gern auf sich nehmen, wenn er als
Kunsthändler von einer Steuer befreit bliebe, die ihm
als Kunstsammler die Erhaltung seines Besitzes un-
möglich machte.

So viele Paragraphen, so viele Bedenken. Wir
können und wollen nicht glauben, daß ein solcher
Antrag jemals Gesetz werden sollte. Dann mag man es
lieber treiben wie die Bolschewisten und alles Privat-
eigentum konfiszieren. So bliebe wenigstens der
Allgemeinheit erhalten, was dieses Gesetz außer Landes
treiben müßte. Aber noch sind wir nicht so weit.
Und wenn ein Abgeordneter der Linken, die sich doch
so gern ihrer kulturellen Bestrebungen rühmt, in einer
Zeitung, die nicht minder damit zu prunken pflegt,
solche Anträge im Ernste zu vertreten unternimmt,
so trauen wir unserer Regierung, die sachverständige
Berater in ihrer Mitte zählt, niemals zu, daß sie so
unüberlegt und so offen kunstfeindliche Gesetzmacherei
üben wird. ,

LUDWIG SCHEIBLER

Am 7. Juni begeht in selbstgewählter Einsamkeit,
zu Friesdorf bei Godesberg a. Rh., Ludwig Scheibler
seinen 70. Geburtstag. Oft bin ich als engerer Lands-
mann von Fachgenossen gefragt worden: was macht
Scheibler? Daß ein anerkannt erfolgreicher Gelehrter
so plötzlich und fast unvermittelt sich zum Schweigen
verurteilt, das vertraute wissenschaftliche Handwerks-
zeug in die Ecke stellt und mit einer Art von er-
bittertem Fanatismus neuen Forschungsgebieten, in
erster Linie der Musikwissenschaft, sich zuwendet, er-
schien nicht nur merkwürdig, sondern sogar rätselhaft.
Zuviel Persönliches spielte herein, als daß das »Warum«
befriedigend beantwortet werden könnte. Dies darf
jedoch ausgesprochen werden, daß ein Bedauern um
das, was der Wissenschaft durch jenen Selbstverzicht
verloren ging, nicht mit einem Bedauern des verdienst-
vollen Mannes^ verbunden werden darf. Viel heitere
Gelassenheit, Überlegenheit des Urteils und eine ab-
solute Geringschätzung von Titeln und von allem, was
den Lebensweg des modernen Kunstweisen mit farbigen
Wimpeln und Illuminationsgerüsten einfaßt, ist diesem
Gelehrten und freien Manne, dem Kinde des Revo-
lutionsjahres 1848, zu eigen. Es wäre nicht in seinem
Sinne, heute ein Feuerwerk abzubrennen, nachdem es
auch an absichtlichem Dunkel, seinen Verdiensten
gegenüber, nicht ganz gefehlt hat.

Scheiblers Ruhm begründete seine Doktorarbeit.
 
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